Mit wenigen Handgriffen baut Architekturprofessor Ariel Auslender mit Studierenden das Papierhaus auf.
Im Papierhaus wohnen
Leicht, stabil, günstig: Bauen mit Papier hat viele Vorteile. Wissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt experimentieren am Haus der Zukunft / Papierkonzerne sind interessiert
Das erste Papierhaus sieht noch aus wie ein großer, brauner Pappkarton. Zur Präsentation haben die Wissenschaftler der Technischen Universität (TU) Darmstadt das Haus ein paar Mal nach draußen geschleppt, auseinandergefaltet und wieder zusammengeklappt. Das haben die Faltstellen nicht gut verkraftet. Jetzt steht das Haus irgendwo zerknickt in einer Ecke. Reif für die Altpapiertonne.
Aber das ist gewollt. Ein Gebäude aus Papier ist nicht für die Ewigkeit gebaut. »Wenn es nicht mehr benutzt wird, kann es recycelt werden«, erklärt Maschinenbauprofessor Samuel Schabel vom Fachgebiet Papierfabrikation an der TU Darmstadt. Das erste Modell sollte als Notunterkunft nach einer Katastrophe dienen, etwa einem Erdbeben, als Ersatz fürs Zelt. Ein Jahr sollte es halten. So lange hat es nicht geschafft. Auch wetterfest war das Haus nicht. Und dennoch: »Wir haben gemerkt, dass das für viele ein spannendes Thema ist«, sagt Schabel. Deshalb widmen sich die Forscher jetzt noch einmal intensiv den Papierhäusern – mit großem Team und viel Geld.
Das LOEWE-Programm des Landes Hessen fördert das Projekt »Bauen mit Papier« mit 4,6 Millionen Euro über vier Jahre. Was für ein Gebäude die Wissenschaftler in ihrem Atelier austüfteln, wissen sie selbst noch nicht so genau. Fest steht nur: »Wir wollen ein Haus für Darmstadt bauen, nicht für die Wüste oder die Tropen«, sagt der Projektleiter. Wichtig ist also etwas Schutz gegen Kälte und Regen. Aber ob Gartenhütte oder Baubüro, ist erst einmal Nebensache.
Fotos 1–3: Ein Semester lang haben die Studierenden getüftelt. Die Idee des Pop-up-Hauses von Architekturstudentin Leila Chu (mit Professor Ariel Auslender) hat überzeugt. Nach ihrer Vorlage wurde der Prototyp angefertigt. Eine Trennwand teilt den Schlafbereich ab, an der Wand ist ein Regal integriert.
Fotos 4–6: Das geht auch ohne Anleitung. Der Aufbau erklärt sich von selbst. Das Haus lässt sich einfach auseinanderziehen. Dafür haben sich die Studierenden Tipps von einer Origamikünstlerin geholt.
Papier brennt und saugt
Das Team konzentriert sich zunächst auf Bauwerke für eine vorübergehende Nutzung, sprich ein Übergangsgebäude für Großveranstaltungen, Notunterkünfte oder Schulen. Zum einen, weil die Bauvorschriften dafür nicht so streng sind. Zum anderen wollen die Wissenschaftler klein anfangen. »Uns ist wichtig, erst einmal vorwärtszukommen«, betont Schabel. »Wir wissen, dass wir viel lernen müssen.« Die größten Herausforderungen? »Papier ist nicht wasserfest, sondern im Gegenteil sehr saugfähig. Und es brennt.« Auch ein mehrstöckiges Gebäude sei vorstellbar. Aber erst braucht es die Grundlagen.
»Bis jetzt gibt es kaum Erfahrungen mit Bauen mit Papier«, sagt der Professor für Fassadentechnik, Ulrich Knaack, vom Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften an der TU Darmstadt. Einzigartig an diesem Projekt sei, dass neben klassischen Baudisziplinen wie Architektur, Baukonstruktion oder Ingenieurstechnik auch Papierfabrikation und Chemie dabei seien. »Das macht die Arbeit spannend«, meint Knaack. Das Team besteht aus acht Professoren verschiedener Fachrichtungen, jeder mit einem Doktoranden, plus Studierenden. Sie experimentieren, welche Beschichtung optimal ist. Und welche Bauweise sich bei Papier am besten eignet. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Immer wieder neu probieren
Ein Stapel Kopierpapier zum Beispiel bilde einen massiven Block – »wie ein Ziegel«, so der Professor. Vorteil: So ein Klotz brennt nicht. Nachteil: Es braucht sehr viel Material. Eine andere Idee sei eine filigrane Konstruktion aus festen Papierrollen wie bei einem Fachwerkhaus. Oder aus Wabenpappe. Stabil und leicht, aber auch leicht brennbar. Deshalb probierten sie einfach aus, sagt Knaack. Sie bauen ein Haus, stoßen auf Schwierigkeiten – und versuchen es anders.
Zunächst braucht es auch ein Modellhaus, um überhaupt die Statik berechnen zu können. Messdaten für Stahl oder Holz könnten in Handbüchern nachgeschlagen werden, berichtet Schabel. »Für Papier gibt es so etwas noch nicht.« Weitere Fragen sind, wie die Platten verbunden werden können und wie das Gebäude isoliert wird. Nach dem Bau der Notunterkunft aus Pappe vor drei Jahren hätten sich große Papierkonzerne gemeldet und Interesse bekundet. Einige hätten selbst schon etwas rumprobiert, seien aber nicht weitergekommen. Dafür sei noch zu viel Forschung notwendig. Bislang spiele Papier beim Bauen kaum eine Rolle, so der Professor. Doch es finde gerade ein Umdenken statt. Kein Wunder. Der Werkstoff bietet viele Vorteile: Papier ist leicht, stabil, günstig – und ökologisch. Beim Bauen werde sehr viel Energie verbraucht, berichtet Schabel. Ein Betongebäude müsste 40, 50 Jahre genutzt werden, um eine »halbwegs akzeptable« Ökobilanz zu erzielen. Doch vor allem Gewerbeimmobilien stünden häufig leer. Schlecht für die Umwelt. Mit einem nachwachsenden Rohstoff könnte die Klimabilanz deutlich besser aussehen, sagt der Professor. Es gelte, darüber nachzudenken, wie die Welt länger mit ihren Ressourcen auskommen könne. Da biete Papier große Vorteile. Der Wissenschaftler sieht in der Forschung auch Chancen für mittelständische Unternehmen. Daraus könnten Betriebe entstehen, die Baustoffe aus Papier herstellten. Möbel aus Pappe seien schon seit einigen Jahren im Trend.
Wie werden Wände aus Pappe richtig stabil? Papierexperte Samuel Schabel probiert verschiedene Methoden aus. Mit wenigen Handgriffen zusammengefaltet, lässt sich das Papierhaus leicht transportieren.
Solides Einfamilienhaus aus Papier
Sein Kollege Knaack ist zuversichtlich, dass nach den vier Jahren auf Grundlage der Forschung ein solides Einfamilienhaus aus Papier gebaut werden kann. Mit guter Qualität und Sicherheit. Allerdings brauche es eine Diskussion darüber, ob dieses Haus 100 Jahre halten muss oder nur zehn – »und dafür auch nur ein Zehntel kostet«.