Auszeit

Stapper 
schlägt 
zurück

Kabarettist Robert Griess und sein klassenbewusster Prolet kommen zu den DruckerTagen nach Bielefeld | 
Lachen über die da oben | Wenn die Mittel- und die Oberschicht ihr Fett abkriegen |

Aus der Maschine zischt Nebel, aus den Lautsprechern wummert Rammstein »We’re all living in Amerika, Amerika ist wunderbar.« Schlagzeug, Becken scheppern, Rammstein brüllt. Licht an, er springt auf die Bühne, reißt sich die Trump-Maske vom Gesicht.

»Ja, so kommt das gut.« Daumen hoch, Richtung Tontechniker. Robert Griess, in Freizeithose und Strickjacke, checkt Ton, Licht, Requisiten. Musik, Bühnennebel, Verkleidungen – solche Mittel setzt er gern ein. Weil es untypisch ist fürs Kabarett. Er setzt gern ein, was keiner erwartet.

»FDJ-Makrele«

Griess schaut sich noch ein letztes Mal auf der Bühne um und geht in Gedanken sein Programm durch. Schal, Mütze sind da, der faltbare Kaktus; die Ukulele am Garderobenständer hängt er noch mal um, sodass er sie besser greifen kann, der … »Hier ist das Wasser für Sie, Herr Griess.« Die Frau von der Freizeitstätte in Düsseldorf-Garath reicht ihm das Glas auf die Bühne. Noch einen Untersetzer bitte. Sonst gibt’s wieder Mails von den Zuschauern: Herr Griess, das war eine sehr schöne Vorstellung, aber man kann doch kein Wasserglas auf einen Flügel stellen!

Noch 45 Minuten bis zur Vorstellung. 
Er geht die steile Treppe zur Künstlergarderobe hinunter. Erst mal essen. Quiche und Salat hat ihm die Frau hingestellt. Robert Griess gehört nicht zu den Künstlern, die ihre Veranstalter mit exotischen Wünschen in den Wahnsinn treiben. Kein Luftbefeuchter mit Eukalyptusextrakt für die Stimme, kein Biosaft von ungewachsten Blutorangen aus Guatemala. »Ein Bügeleisen. Super, braucht mein Hemd.« Setzt sich, zieht die Brille ab, reibt die Augen, 25 Auftritte im Januar. Fast jeden Tag. »Das kann man gut packen, wenn man auf sich aufpasst.« Noch 15 Minuten. Er lehnt sich zurück, plaudert, packt einen Müsliriegel aus, einen Kaffee hätte er bitte gerne noch, geht das, lächelt nett und schließt die Tür von innen.

Nebel, Rammstein, Schlagzeug, Licht, Maske, Applaus! Von Trump zu Obama. 
Von Obama zu Merkel. »Die FDJ-Makrele.« Worauf die Dame in der zweiten Reihe einen spitzen Schmerzenslaut ausstößt. 
Böser Blick vom Nachbarn. Kabarett-Neuling oder was. Es kommt noch »Rügenwalder Teewurst« und »die Kim Jong-un der Uckermark«. Seehofer-Schäuble-Gabriel-Altmaier. Dobrindt, der Quartalsirre aus Bayern. Das Politiker-Abwatschen dauert heute besonders lang. »Wegen Jamaika, Groko – die Leute wollen das. Die gucken genau: Ist 
das Programm aktuell? Haken dran.«

Publikumsgefällig. Ja, auch. Griess holt sich schon mal die schnellen Lacher ab. Was sind 500 Banker in der Hölle? Pause. Ein guter Anfang. Ha. Um dann gezielt das Bissige und Böse zu platzieren. Zeit für Stapper.

Die Jacke aus imitiertem Schlangenhautleder, in speiübel-beige, er breitbeinig. Applaus schon vor dem ersten Satz: »Mein Name ist Stapper. Ich bin echter Kölscher Assi-Adel.« Rücken durch, Bauch vor. Seit zwölf Jahren auf Hartz IV, »Vertreter der Unterschicht«. Wer immer die rheinische Frohnatur verkörpert, in Stapper steckt sie nicht. »Sie sind doch das sogenannte«, Stapper tippt Anführungszeichen in die Luft, »kritische Potenzial der Gesellschaft. Sie sind doch die Leute, die im Café unterm Heizpilz zu französischen Chansons sich den Kapitalismus mit Rhabarberschorle schön trinken.«

»Deutschland sucht den Super-Assi«

Stapper darf das. Stapper wettert, schießt und wütet gegen Doppelmoral, Heuchelei, Ungerechtigkeit. Stapper hat das System kapiert. Leute wie er werden im Privatfernsehen wie Vollpfosten dargestellt. »Deutschland sucht den Super-Assi, damit sich die Mittelschicht vor der Unterschicht gruseln kann und dabei vergisst, der Oberschicht auf die Finger zu klopfen.« Rücken durch. Bauch raus. Nix da. Stapper guckt Arte und 3sat. Und labert nicht nur. »Ich tu’ auch was.« Einmal pro Woche geht er reiche Leute ärgern.

Stapper ist Griess’ Liebling. Sein Ventil. Wenn sich Griess über die Verhältnisse aufregt, dann lässt er Stapper toben. »Ich wollte einen Unterschichtler auf die Bühne bringen, der nicht dumm ist.« Ein kluger Prolet, hat die Welt geschrieben. Der tut, was politisches Kabarett tun sollte: von unten über die da oben lachen. Weil Lachen die Angst vor Autoritäten nehme und Satire die Waffe der Machtlosen sei. Sagt Griess. Stapper würde sich nie so kompliziert ausdrücken.

Eine Figur wie Stapper auf Hartz IV gibt es im deutschen Kabarett nur einmal. Und ist manch einem Fernsehredakteur dann doch zu intellektuell. Also anders, als sich ein Fernsehredakteur einen Proleten vorstellt. 
So tingelt Griess durch die Theater der Republik. 130 Auftritte hat er im Jahr: in Jüchen wie in Hamburg, im Düsseldorfer Kommödchen und dem Bonner Pantheon wie in Freizeitstätten – Hongkong und Bangkok sind auch dabei. »Ich bin erfolgreich.« Punkt. »Ich schaffe das auch ohne Fernsehen.« Punkt. Griess spielt vor fast jedem Publikum gerne, vor Gewerkschaftern wie vor Betriebswirtschaftlern; aber zwei Gruppen machen es ihm besonders schwer: DAX-Vorstände und Autonome. Stoiker mit absoluter Kontrolle über die Lachmuskeln.

Die Pause ist vorüber, der zweite Teil der Vorstellung beginnt. Griess trägt einen Kaftan, bodenlang, dazu eine bestickte Mütze auf dem Kopf. Es geht um Flüchtlinge und dann Ostlinge, also Wirtschaftsflüchtlinge aus den neuen Bundesländern. Und dann darf er endlich tun, was ihm die Schauspielhäuser versagen: Er inszeniert ein Drama. Lässt fluten und donnern. Applaus. Verbeugung. Zugabe. Applaus.

Das Publikum hatte einen vergnügten Abend. Die Mittelschicht lacht. Und lacht über sich. Der Kapitalismus wird am Kabarett nicht zugrunde gehen. Das nicht. Aber eins wünscht sich Robert Griess: Dass die Selbstgewissheit der Zuschauer ein klein wenig erschüttert würde und die Menschen künftig kritisch reflektierten, was sie lesen und hören. Oder wie Stapper sagen würde: »Ich bin für Revolte.«

Applaus für Robert Griess in der Freizeitstätte in Düsseldorf-Garath

Robert Griess

Sein erster großer Auftritt brachte ihm die erste Strafanzeige. Auf einer Kundgebung, ein Jahr nach der Tschernobyl-Katastrophe, geht es von der Lkw-Bühne direkt in den Polizeiwagen. Anzeige wegen Beleidigung. Da war er 21. Noch ahnt er nicht, dass er vom Kabarett leben kann. Studiert in Bochum und Köln Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, allein das Latinum fehlt zum Abschluss, finanziert sich mit Auftritten sein Studium. Schon mit 22 Jahren erhält er den Kleinkunstpreis St. Ingberter Pfanne, der zu den drei wichtigsten Auszeichnungen für Kabarettisten gehört. Und danach noch weitere.

Griess ist seit 2010 künstlerischer Leiter des Kölner »Streithähne«-Festivals für politisches Kabarett, unterstützt vom DGB Köln und der Volkshochschule. Gründete 2006 die »Schlachtplatte«, einen Jahresrückblick mit wechselnden Ensemble-Mitgliedern. Mit den Kabarettisten-Kollegen füllt er ganze Stadthallen. Sonst tourt der gebürtige Bonner, 51, solo durch die Republik. Schreibt Glossen für DRUCK+PAPIER und Bücher.

www.robertgriess.de

Zum Lesen und Gucken

»Köln – Satirisches Handgepäck« heißt das jüngste Buch von Robert Griess. Für Düsseldorfer und alle anderen. Außerdem ein Live-Mitschnitt, alles auf www.robertgriess.de/inhalt/buecher.

Robert Griess kommt 
zu den DruckerTagen! 
Auftritt am Samstag, 23. Juni, 
im ver.di-Bildungszentrum 
Das Bunte Haus in Bielefeld. 
Jetzt schon mit Kontaktdaten anmelden bei 
frauke.menze@verdi.de