Verlage in der Pflicht
Digitalisierung verändert Abläufe und Aufgaben. Beschäftigte müssen qualifiziert und unterstützt werden
Karin Ludwig* hat schon viele Veränderungen mitgemacht. Als sie vor 30 Jahren als Verlagskauffrau im Kundenzentrum einer norddeutschen Tageszeitung anfing, klapperten dort noch die Schreibmaschinen. Heute ist alles digitalisiert. Gerade für ältere Beschäftigte ist es nicht immer leicht, sich auf neue Technologien einzustellen. »Wenn es keine Qualifizierung gibt, wird man ins kalte Wasser geschmissen und muss sich selbst durchwursteln – das ist kein gutes Gefühl«, sagt die 52-Jährige. Die Arbeitgeber der Verlagsbranche stünden in der Pflicht, für Schulungen und Unterstützung zu sorgen.
Eine Herausforderung
»Ich lerne gern dazu, auch wenn ich dafür vielleicht etwas länger brauche als junge Leute, die mit digitalen Medien aufgewachsen sind«, sagt Ludwig. Zum Beispiel bei den Traueranzeigen: Früher entwarf ein Mediengestalter das Design. Heute machen das die Angestellten im Kundenzentrum selbst. »Ich wurde ordentlich geschult und das klappt jetzt auch ganz gut«, berichtet sie. Auch im Vertrieb ändere sich viel. Die Arbeit verlangt, dass man sich immer wieder auf Neues einlässt. Zugleich werde von Managern aber vermittelt, dass man die Älteren eigentlich nicht mehr haben will, so Ludwig. Denn diese kosten das Unternehmen wegen besserer Altverträge in der Regel mehr als Neueingestellte. Dabei haben die langjährig Beschäftigten viele Erfahrungen und Kompetenzen. »Sich mit der Technik auszukennen, ist ja nicht alles«, betont die Verlags- angestellte. »Es kommt auch darauf an, das Produkt, das Einzugsgebiet und die Kunden zu kennen und nach so vielen Jahren mit Herzblut dabei zu sein.« Deshalb müssten die Älteren mitgenommen werden.
Kollegialität hilft allen
Das meint auch die 60-jährige Erika Meyer* aus Hessen, die ihren richtigen Namen ebenso wie die norddeutsche Kollegin nicht in der Zeitung lesen möchte. In ihrer über 30-jährigen Tätigkeit im Anzeigenverkauf habe sie manchmal das Gefühl gehabt, von Jüngeren überholt zu werden. Es brauche viel persönlichen Einsatz, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Erleichtert werde dies in ihrem Betrieb durch die Kollegialität unter den Beschäftigten, betont sie. »Bei technischen Fragen wende ich mich an meine jüngeren Kollegen. Aber umgekehrt kann ich ihnen mit meiner Erfahrung ebenfalls oft helfen.«
Das Wissen erfahrener Beschäftigter können auch Computerprogramme nicht ersetzen. So kommt in dem Verlag seit knapp zwei Jahren eine neue Software zum Einsatz, die den Anzeigenverkauf professionalisieren soll. Die Daten sämtlicher – potenzieller und realer – Kunden sollen in das System eingepflegt werden. Automatisch werden die Anzeigenverkäufer dazu aufgefordert, Daten zu aktualisieren, bestimmte Kunden anzurufen bzw. als Außendienstmitarbeiter sie zu besuchen. Der Druck auf die Angestellten habe sich dadurch deutlich erhöht, berichtet Meyer. »Als ich heute Morgen den Computer hochgefahren habe, sind gleich 70 ›Aufgaben‹ aufgepoppt – das ist überhaupt nicht zu schaffen.« Dabei seien viele Vorgaben des Systems gar nicht sinnvoll. »Es ist zum Beispiel Zeitverschwendung, einen Fahrradhändler im Winter zu fragen, ob er werben möchte. Dennoch wird man vom Programm immer wieder dazu aufgefordert.« Durch die »Datenflut« entstehe das Gefühl, nie fertig zu werden. Ob Jung oder Alt – alle litten darunter.
René Rudolf hält das nicht für einen Einzelfall. »Allerorts nutzen die Verlage die digitale Transformation und die damit einhergehenden neuen Tätigkeiten, um den Leistungsdruck zu erhöhen«, kritisiert der Leiter der ver.di-Bundesfachgruppe Verlage, Druck und Papier. Hinzu kämen die Zentralisierung von Verlagsbereichen, Outsourcing und Tarifflucht. »Bei alldem geht es im Kern darum, die Personalausgaben zu drücken – auf Kosten der Beschäftigten.«
(*Name von der Redaktion geändert)
Betriebsräte haben Vorschlagsrecht
Laut Betriebsverfassungsgesetz § 92a kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber »Vorschläge zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung machen«. Themen können beispielsweise Maßnahmen zur Qualifizierung und Alternativen zur Ausgliederung von Betriebsteilen sein. Zwar hat die Belegschaftsvertretung keine erzwingbaren Mitbestimmungsrechte, der Unternehmer muss sich aber zumindest dafür rechtfertigen, wenn er ihre Vorschläge ablehnt.
In Betrieben mit mehr als 100 Beschäftigten muss das schriftlich begründet werden. Der Betriebsrat kann seine Vorschläge jederzeit machen und ist dabei nicht an eine bestimmte Form gebunden. Der Arbeitgeber muss die dafür erforderlichen Informationen – wie Bilanzen und Kennzahlen der wirtschaftlichen Situation – zur Verfügung stellen. In manchen Fällen kann sich der Betriebsrat an innerbetriebliche Auskunftspersonen wenden oder einen Sachverständigen einschalten.
Quelle: Däubler/Kittner/Klebe (Hrsg.) 2008: Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, Bund-Verlag, S.1618 ff.
Kartelle bei Verlagen erlaubt?
Die Bundesregierung will das Kartellrecht für Verlage und Rundfunkunternehmen weiter aushöhlen. Ende September beschloss das Kabinett einen Gesetzentwurf, demzufolge Zeitungs- und Zeitschriftenverlage künftig außerhalb des redaktionellen Bereichs zusammenarbeiten können. Die Folge: Unternehmen können beispielsweise im Anzeigengeschäft, im Vertrieb, bei Druck und Zustellung Kartelle bilden. Angeblich soll das die Medienvielfalt erhalten. Doch ver.di befürchtet, dass das Gegenteil der Fall sein wird. Schon jetzt sei absehbar, »dass vor allem große Medienhäuser ihre Marktmacht nutzen werden, um Kooperationen durchzusetzen«, erklärte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Kooperationen erzeugten aber immer Abhängigkeiten, die oft in Fusionen oder Übernahmen endeten. »Dass Kooperationen immer auch dazu dienen, Personalkosten zu senken, werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verlagen deutlich zu spüren kommen«, sagte der Gewerkschafter voraus. Dazu gehörten die Auslagerung von Tätigkeiten in tariflose Tochterunternehmen und ein absehbarer weiterer Abbau von Arbeitsplätzen.