Schluss mit Schnörkeln
Die Ausstellung »Alles neu!« im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main zeigt, wie sich Schrift und Design in den 1920ern radikal verändert haben
Die guten Wünsche schnörkeln sich auf bräunlichem Papier, ein Blumenstrauß mit Schleife ziert die Karte: Ihren »Gruß zum Jahreswechsel« verfasste die Typographische Gesellschaft in Frankfurt 1918 noch ganz altmodisch in Frakturschrift. Dagegen wirkt das leicht vergilbte Briefpapier in der Glasvitrine daneben richtig modern: Der Frankfurter Bildungsverband der Deutschen Buchdrucker setzte 1924 auf klare Linien, verzichtete auf Schnickschnack. Und wenig später wollte die Ortsgruppe von Großbuchstaben nichts mehr wissen und druckte ihre Glückwünsche komplett in Kleinschrift. Ob auf Zeugnissen, Trauscheinen, Einladungen oder Werbeplakaten: In der Ausstellung »Alles neu! 100 Jahre Neue Typo grafie und Neue Grafik in Frankfurt am Main« im Museum Angewandte Kunst dreht sich alles um Buchstaben. Welche Schrift angesagt war, sagt viel über den Zeitgeist aus. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf den 1920er Jahren.
Nach dem Ersten Weltkrieg entstand in der Metropole am Main das Projekt des »Neuen Frankfurt«, mit dem Ziel, die Stadt neu zu gestalten. »Das ›neu‹ meint hier das Andere, als Gegenteil der Norm und der Angepasstheit«, erklärt Museumsdirektor Matthias Wagner K. Das Projekt zielte vor allem auf Architektur, es gab einen engen Bezug zur Bauhaus-Bewegung. Doch der Wunsch nach Erneuerung drückte sich auch in Typografie und Design aus. Sogenannte Groteskschriften mit schlichten, geometrischen Buchstaben waren jetzt en vogue.
Am Bedarf orientiert
»Die Schrift war ein Symbol, eine Kampfansage gegen das Alte, für das Neue«, betont der Kurator Klaus Klemp. Der Kunsthistoriker bezeichnet die 1920er-Jahre als Wende zur modernen Schriftkultur. Die neue Typografie habe sich vor allem am »wirklichen Bedarf« orientiert: »Es gab einen sehr starken Bezug zur Anwendung.« Als Beispiel nennt er die Futura, die 1927 von Paul Renner im Umfeld des Neuen Frankfurt entworfen wurde und sich zu einer der erfolgreichsten Schriften weltweit entwickelte.
Vor allem Schriftgestalter, Buchdrucker und Setzer – also jene, die sich hauptberuflich damit beschäftigten – trugen zur Durchsetzung und Verbreitung der neuen Typografie bei. Dabei spielte der Bildungsverband der Buchdrucker eine wichtige Rolle, doch auch die in Frankfurt und Offenbach ansässigen Schriftgießereien. Drucker seien seit jeher gewerkschaftlich organisiert gewesen und hätten sich als Elite der Arbeiterschaft verstanden, berichtet der Kurator. Sie organisierten Ausstellungen, förderten Austausch, besuchten Fortbildungen, kurzum: pflegten eine rege Kommunikation untereinander. So verbreitete sich die neue Schrift rasch. Auf der einen Seite seien Drucker – bis heute – sehr traditionsverbunden, so Klemp. »Auf der anderen Seite sind sie schnell auf die neue Typografie angesprungen.« Grund dafür war ihr hoher künstlerischer Anspruch.
Schlichte Buchstaben
Bis Mitte der 1920er-Jahre seien Bücher und Zeitschriften in Frakturschrift gedruckt worden, sagt der Kurator. »Da fiel eine Anzeige in Groteskschrift natürlich auf.« Die Ausstellung zeigt zum Beispiel Werbung für Mercedes Benz von 1928: Schlichte Buchstaben und geometrische Muster verlaufen schräg über den Katalogumschlag, in der Mitte ein roter und ein blauer Lastwagen aus Strichen und Kreisen. Anderes Beispiel: Ein Kalender von 1928 aus zwölf weißen Karten – mit Figuren, die aus wenigen Linien bestehen, zusammengesetzt aus Bleielementen. Ein Paar auf einer Bank, eine Person mit Schlitten, eine andere im Liegestuhl. Wunderschön. Die Präsentation der Werke in der Ausstellung ist so schlicht wie das Design selbst. Die Drucke hängen an schwarzen Wänden – in erster Linie, um das empfindliche Papier vor Licht zu schützen. Doch es passt zum Thema.
Mit der Machtergreifung 1933 wollten die Nazis die Zeit zurückdrehen und propagierten die alte Schreibweise. »Die Frakturschrift galt immer als typisch deutsche Schrift«, betont Klemp. In einem Bilderrahmen im Museum hängen in chronologischer Reihenfolge drei Zeugnisformulare von 1926 bis 1934 nebeneinander: Nr. 1 in Frakturschrift, Nr. 2 in Groteskschrift, Nr. 3 wieder in Fraktur. Einige Schritte weiter folgen weitere Beispiele, so prangt eine blonde Frau mit Hut und Trachtenjacke auf dem Cover einer Illustrierten aus den 1930er-Jahren, darüber rote Schnörkelschrift.
Grotesk ist angesagt – bis heute
Nach Ende der NS-Zeit wurde an die Neue Typografie teilweise wieder angeknüpft. So zeigt unter anderem die Werbung für Wecker von Braun aus den 1960er-Jahren: Grotesk war wieder angesagt. Und ist es bis heute. Die Schrift findet sich auf jedem Computer – und an jeder Ecke. »Es ist die Schrift, die am meisten gebraucht wird«, sagt Klemp. Nicht mehr neu, aber immer noch modern.
Ausstellung »Alles neu! 100 Jahre Neue Typografie und Neue Grafik in Frankfurt am Main«; 25. März bis 21. August 2016 im Museum Angewandte Kunst, Schau mainkai 17, 60594 Frankfurt am Main; Öffnungszeiten: Di, Do – So 10 bis 18 Uhr, Mi 10 bis 20 Uhr. www.museumangewandtekunst.de
Die 17. Tage der Typografie stehen unter dem Motto »GERADE – Design und soziale Verantwortung«. Sie finden vom 2. bis 4. September in Berlin-Wannsee statt und verbinden fachliche Weiterbildung mit sozialem Engagement. www.tage-der-typografie.de