Deutschland liegt zurück
Mindestlohn steigt auf 8,84 Euro – und bleibt damit unter dem Niveau anderer westeuropäischer Staaten
Der gesetzliche Mindestlohn ist eine große Errungenschaft. Rund vier Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben laut Statistischem Bundesamt von dessen Einführung vor anderthalb Jahren profitiert – jeder zehnte Beschäftigte. Doch die Lohnuntergrenze verhindert nicht in jedem Fall Armut. Denn wer bei 45 Versicherungsjahren in Vollzeitarbeit nicht wenigstens 11,68 Euro pro Stunde verdient, bekommt eine Rente unterhalb der Grundsicherung. Auch die 8,84 Euro, auf die der Mindestlohn zum Jahreswechsel steigen soll, liegen weit unter dem nötigen Niveau.
Frank Bsirske bedauerte die Ende Juni bekannt gegebene Entscheidung der Mindestlohnkommission, auch in den kommenden zwei Jahren unter der Neun-Euro-Marke zu bleiben. »Damit bleibt der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland deutlich hinter denen der westeuropäischen Nachbarländer zurück«, stellte der ver.di-Vorsitzende fest. In Luxemburg und Frankreich, aber auch in Irland und Belgien muss Arbeitskräften laut Gesetz wesentlich mehr bezahlt werden. Hinzu kommt: Rund eine Million Geringverdiener sind vom Mindestlohn ausgeschlossen. Für Langzeitarbeitslose, Jugendliche unter 18 Jahren, Saisonarbeiter und Zeitungszusteller gelten Ausnahmen. Stefan Körzell vom DGB-Bundesvorstand, der als Gewerkschaftsvertreter in der Mindestlohnkommission sitzt, betonte dennoch: »Aus unserer Sicht ist das Glas etwas voller als halbleer.«
Unzureichende Kontrollen
In vielen Fällen versuchen Unternehmen, den Mindestlohn gesetzeswidrig zu umgehen – zum Beispiel indem sie Zuschläge und Einmalzahlungen einrechnen oder bei der Arbeitszeit tricksen. Kontrollieren soll das die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls. Doch diese hat viel zu wenig Personal. Von den versprochenen 1.600 zusätzlichen Stellen bis 2019 ist noch nicht viel zu sehen. Nötig wären laut DGB ohnehin mindestens 10.000 neue Kontrolleure.
Eigentlich müsste der gesetzliche Mindestlohn gerade zu Beginn intensiv kontrolliert werden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Laut Bundesregierung ist die Zahl der Mindestlohnkontrollen 2015 gegenüber dem Vorjahr um knapp 20.000 zurückgegangen. Fast immer ging es dabei um Branchenmindestlöhne. Das heißt: Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn wird so gut wie nicht überprüft.
Damit das so bleibt, will die CSU, dass nicht mehr der Zoll, sondern die Rentenversicherung für die Kontrollen zuständig ist. Diese prüft in der Regel nur alle vier Jahre. Die relevanten Dokumente zum Mindestlohn müssen aber nur zwei Jahre lang aufbewahrt werden. Zudem dürfe die Rentenversicherung »weder die Arbeitszeiterfassung kontrollieren, noch Buß gelder bei einem Verstoß der Aufzeichnungspflicht verhängen«, kritisiert der Deutsche Gewerkschaftsbund. Der CSU-Plan sei ein Freifahrtschein für schwarze Schafe unter den Arbeitgebern.
Auch nach der geplanten Erhöhung auf 8,84 Euro pro Stunde liegt der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland unter dem der meisten anderen Länder Westeuropas. In den südlichen Krisenländern und den Staaten Osteuropas ist die Lohnuntergrenze allerdings noch deutlich niedriger.
Mindestlohnkommission
Alle zwei Jahre entscheidet eine Kommission über die Weiterentwicklung des Mindestlohns. Neben dem Vorsitzenden, dem ehemaligen RWE-Arbeitsdirektor Jan Zilius, besteht diese aus jeweils drei Unternehmer- und Gewerkschaftsvertretern sowie zwei nicht stimmberechtigten Wissenschaftlern. Die Kommission soll sich bei ihrem Vorschlag an der Entwicklung der Tariflöhne orientieren. Auf Grundlage des Votums der Mindestlohnkommission erlässt die Bundesregierung eine entsprechende Rechtsverordnung. Ende Juni hat die Kommission erstmals einen Vorschlag gemacht. Demnach soll der Mindestlohn zum 1. Januar 2017 von 8,50 auf 8,84 Euro pro Stunde angehoben werden.