Titel

Die Wahrheit steht vor dem Werkstor

Streikende Belegschaften haben Lohnerhöhung in der Druckindustrie erkämpft. Für ein besseres Ergebnis hätten es mehr sein müssen.

Eine Rettung in letzter Minute: Mehr als einmal stand der Flächentarifvertrag in der Druckindustrie bei den jüngsten Lohnverhandlungen auf der Kippe. Nach einer langen Verhandlungsnacht ist es ver.di am 14. Juni dann doch gelungen, mit dem Unternehmerverband einen Tarifabschluss zu vereinbaren. Das Ergebnis: Die Löhne werden zum 1. Juli dieses Jahres um zwei Prozent erhöht und ein weiteres Mal am 1. August 2017 um 1,8 Prozent. Macht 3,8 Prozent bei einer Laufzeit von 29 Monaten. Dem Abschluss stimmte die Tarifkommission bei nur einer Gegenstimme zu.

Mehr erhofft

Dieses Ergebnis ist vor allem den 
Belegschaften zu verdanken, die zum Teil fünf, sechs oder sieben Schichten lang streikten. »Ohne ihren Einsatz würden wir jetzt noch in den Verhandlungen feststecken«, erklärte ver.di-Verhandlungsführer Frank Werneke. Allerdings haben sich besonders diese Belegschaften einen besseren Abschluss erhofft. Und keinen, der weit hinter der eigenen Forderung zurückbleibt. ver.di hatte ursprünglich fünf Prozent mehr Lohn und Gehalt bei einer Laufzeit von zwölf Monaten gefordert.

Flächentarif erhalten

Dass es eine zähe und schwierige Tarifrunde werden würde, hatte ver.di schon geahnt. Dass es aber zeitweilig so aussah, als könnte kein bundesweit gültiger Lohntarifvertrag mehr abgeschlossen werden, hatte keiner vermutet. 
Die Ausgangslage war schlechter denn je: Die Druckindustrie ist angeschlagen, die Umsätze gehen zurück, Arbeitsplätze werden vielerorts abgebaut. Die Verbraucherpreise steigen nur geringfügig. All das hat der Unternehmerverband als Argumente vorgebracht und in der zweiten Verhandlungsrunde sein Angebot präsentiert: 1,2 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 18 Monaten. Was ver.di als ebenso indiskutabel ablehnte wie die von den Arbeitgebern später vorgeschlagenen Einmalzahlungen. Stattdessen steckte die Verhandlungskommission ihre Energie in das Ziel, eine spürbare, dauerhafte und tabellenwirksame, prozentuale Lohnerhöhung zu erreichen. Das ist gelungen. Vor allem wegen der streikenden Belegschaften. Und doch ist deutlich geworden, dass für einen besseren Abschluss mehr Beschäftigte die Arbeit hätten niederlegen müssen.
Passend zur Fußball-Europameisterschaft, ein Vergleich. »Die Wahrheit liegt auf dem Platz«, hat der Trainer Otto Rehhagel einst gesagt. Bei Tarifrunden ist es kaum anders: Die Wahrheit steht vor dem Werkstor.