Menschen & Meinungen

»Ungleichgewicht muss korrigiert werden«

Höhere Löhne sind auch gut für Europa. Interview mit dem »Wirtschaftsweisen« Peter Bofinger

DRUCK+PAPIER: Wie beurteilen Sie die deutsche Lohnentwicklung der vergangenen Jahre?

Bofinger: Die ist sicher positiv zu beurteilen, denn wir hatten nach einer langen Phase der Lohnzurückhaltung wieder Lohnsteigerungen, die auch die Arbeitnehmer am realen Wachstum beteiligen. Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist wieder gestiegen, nachdem er von 2000 bis 2007 dramatisch zurückgegangen war. Die Verluste, die die abhängig Beschäftigten in dieser Zeit hinnehmen mussten, sind damit allerdings noch nicht wieder wettgemacht.

Die Löhne müssten also noch stärker steigen?

Ich hätte mir durchaus eine noch kräftigere Lohnentwicklung vorstellen können, auch in Zusammenhang mit der europäischen Währungsunion. Deutschland hat durch die moderate Lohnentwicklung bis 2007/2008 seine Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten der anderen Mitgliedsländer verbessert. Dieses Ungleichgewicht muss jetzt wieder korrigiert werden, und dafür gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder sinken die Löhne in den anderen Ländern oder sie steigen nur noch sehr schwach – oder sie steigen bei uns ein bisschen stärker. Im Moment findet die Anpassung vor allem durch Lohnzurückhaltung in den anderen Ländern statt.

Peter Bofinger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Seit 2004 gehört er dem 
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – den »fünf Wirtschaftsweisen« – an, der die Bundesregierung in ökonomischen Fragen berät.


Und was bedeutet das für den Euro-Raum?

Es löst deflationäre Tendenzen aus. Die Inflationsrate ist sehr niedrig, weit unter den zwei Prozent, die die Europäische Zentralbank für wünschenswert hält. Deshalb versucht sie, mit niedrigen Leitzinsen gegenzusteuern. Wenn in Deutschland über die Niedrigzinspolitik gejammert wird, muss man sagen: Das ist eine direkte Folge der insgesamt im Euro-Raum und auch in Deutschland zu schwachen Lohnentwicklung. Wenn wir nur rund einen Prozentpunkt mehr Lohnerhöhungen in Deutschland hätten, sähe das anders aus.

Was halten Sie von dem Argument, dass niedrige Löhne Arbeitsplätze in der Exportindustrie sichern?

Richtig ist: Sie verschaffen der Exportindustrie Wettbewerbsvorteile. Man muss das aber im Zusammenhang mit dem Wechselkurs des Euro sehen – und der ist im Moment extrem vorteilhaft. Selbst wenn wir bei den Lohnkosten um drei Prozentpunkte höher liegen würden, wäre das für die Exportindustrie verkraftbar. Es ist schon komisch: Immer wenn der Euro aufwertet, hört man von der Industrie, dass das nichts ausmacht, weil Deutschland Spitzenprodukte hat und der Wettbewerb über Qualität und nicht über den Preis ausgetragen wird. Wenn es aber um Lohnerhöhungen von zwei, drei Prozent geht, gibt es sofort ein Riesengeschrei.

Ein Unternehmer könnte jetzt sagen: »Das klingt ja volkswirtschaftlich alles ganz plausibel, aber als Unternehmen stehen wir im Wettbewerb, sowohl global als auch mit Konkurrenten ohne Tarifvertrag. Wenn wir die Löhne erhöhen, andere aber nicht, sind wir ganz schnell raus aus dem Spiel …«

Das sind sicher Argumente, die man ernst nehmen muss. Aber wenn Sie mit Billiganbietern konkurrieren wollen – und das auch noch global – , dann wird das ohnehin schwierig. Das schaffen Sie auch nicht mit ein oder zwei Prozent weniger Lohn.

Welchen Rat geben Sie als »Wirtschaftsweiser«?

Der private Konsum ist die Konjunkturlokomotive in Deutschland, das zeigen die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zum Bruttoinlandsprodukt. Das ist umso wichtiger, wenn der Export eher schwächelt, wie das momentan der Fall ist. Deshalb brauchen wir kräftige Lohnerhöhungen.