Menschen & Meinungen

Aufgeben gibt’s nicht

Hoch türmt sich das Mangfallgebirge hinter Brannenburg auf. Der Kirchbach plätschert ins Tal hinunter. Die Luft ist frisch, es riecht nach Dung und schon ein wenig nach Frühling, aber weiter oben fahren sie noch Ski. Karin Hoffmann steht mit ein paar Kollegen vor dem ver.di-Bildungszentrum und raucht. Ein Päuschen, bevor es im Seminarraum weitergeht. Sie genießt es, frei zu haben und nachdenken, lernen und diskutieren zu dürfen – bis spät in die Nacht, unter Gleichgesinnten. »Es werden Probleme gewälzt, es wird aber auch Blödsinn gemacht und gelacht und gefeiert«, sagt sie. Im Haus Brannenburg am nördlichen Alpenrand kann die 56-Jährige entspannen. Fern von Ulm und ihrer Firma im Industriegebiet Donautal. Fern auch von den Konflikten, an denen sie sich als Betriebsrätin täglich abarbeitet. »Kraft tanken, ist wichtig«, sagt sie zu. »Ich brauche Kraft für alles.«

Rund 220 Beschäftigte hat die Firma Höhn, die auf Verpackungen und Displays spezialisiert ist. Als ein Kollege Karin Hoffmann 1994 vorschlug, sich in den neunköpfigen Betriebsrat wählen zu lassen, war sie vor allem neugierig. Und fand es merkwürdig, »einzige Frau zwischen lauter Anzug- und Kofferträgern« zu sein. Inzwischen hat sich die einstige Männerdomäne verändert. Immer mehr Frauen sind nachgerückt. Karin Hoffmann wuchs in ihre Aufgabe hinein und machte sich immer unentbehrlicher.

Seit zwei Jahren ist die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende freigestellt. Es gibt eine ganze Menge für sie zu tun. 2014 hat das Unternehmen vier Gesellschaften zur Höhn GmbH verschmolzen. Schon einige Monate zuvor wurde der Standort Biberach aufgelöst. Ende 2014 ist der Arbeitgeber aus dem Tarif ausgestiegen. Das Management sprach Kündigungen aus. Die Firma beschäftigte Leiharbeiter. Und unlängst wurden Verträge mit drei neuen Beschäftigten zu Konditionen abgeschlossen, die mit den früheren Verhältnissen nicht mehr viel zu tun haben: 40-Stunden-Woche, kein Tariflohn. Eine Ungerechtigkeit, die für Unfrieden sorgt und Ängste bei denjenigen Kolleginnen und Kollegen schürt, deren Löhne höher und deren Verträge besser sind.

Schlechtes Betriebsklima

Früher, erzählt Karin Hoffmann, habe die Arbeit Spaß gemacht. Das Betriebsklima war gut. Man aß gemeinsam in der Kantine, die inzwischen geschlossen wurde; man trank Kaffee aus echten Tassen, nicht aus Pappbechern wie heute. Alles hatte seine Ordnung, die Beschäftigten waren tariflich abgesichert. Doch seit der Juniorchef den Betrieb seines Vaters übernommen habe, sei dort »das Gespür für Gerechtigkeit und Menschlichkeit verloren gegangen«. Karin Hoffmann ist von der Politik der Firma, in der sie nun schon 35 Jahre lang arbeitet, mehr als enttäuscht.

Die Gewerkschafterin sitzt in Gremien und Besprechungen, sie besucht die Kolleginnen und Kollegen an den Maschinen. Sie ist allseits beliebt, wird geschätzt für ihre Verbindlichkeit und Diskretion, hört zu, versucht zu helfen – und rennt doch immer wieder gegen Wände an. Das lässt sie nicht kalt, im Gegenteil. Sie kann nicht gut abschalten, nimmt alles mit nach Hause. »Die menschlichen Schicksale berühren sie«, sagt auch ihre Freundin Herlinde Rohrbacher, die bei ver.di in Ulm arbeitet. Auch gesellschaftlich, findet Karin Hoffmann, liegt vieles im Argen. Die Kriege. Der Terror. Das aufgeheizte Klima um die Flüchtlinge. »Die Menschheit wird immer egoistischer«, sagt sie. »Jeder denkt nur an sein eigenes Wohlbefinden, die Solidarität bricht auseinander, in den Betrieben, im Privaten.«

Das klingt pessimistisch. Aber ihr Blick ist freundlich, sie lacht viel und gern, strahlt Zuversicht und Tatkraft aus, die auch ihre Freunde schätzen. »Sie kann etwas umsetzen«, sagt ein Freund und Berater, Reinhard Gumz, ehemals Gewerkschaftssekretär in Ulm. »Und sie ist dabei sehr hartnäckig. Wenn sie jemanden überzeugen will, steigt sie dem auf die Zehen.«

Auch wenn sie manchmal schier verzweifelt, sie resigniert nicht so schnell. Ihr Engagement hat unter den zwanzig Jahren Betriebsratsarbeit nicht gelitten. »Es ist sehr wichtig, dass man sich einsetzt, im Betrieb und in der Gesellschaft«, sagt sie. »Und es ist auch etwas sehr Schönes, das Gefühl zu haben, Gutes zu tun.«

»Man lernt dazu«

Das sei diese Überzeugung, dass man etwas verändern kann, erklärt auch Herlinde Rohrbacher. Ihre Freundin sei nun mal »ein kämpferischer Typ, mit großem Gerechtigkeitssinn, geradlinig und sehr engagiert«. Ein zupackender Mensch, auf den man sich verlassen könne.

Die Jahre haben Karin Hoffmann gelehrt, bei den eigenen Überzeugungen zu bleiben, egal wie groß der Gegenwind sein mag. Und auch mal auf die Bremse zu treten und an sich selbst zu denken. Früher, erzählt sie, war sie eher eine, die für andere zurücksteckte. Inzwischen weiß sie, was sie selbst braucht, und setzt sich auch dafür ein. Das sei ja das Schöne am Älterwerden: »Man lernt dazu.«

Wenn sie nach einem Arbeitstag voller Probleme nach Hause kommt, nimmt sie sich Zeit, zur Ruhe zu kommen. Sie diskutiert gern mit ihrem Mann oder ihrem Sohn, der inzwischen erwachsen ist und immer wieder zu Besuch kommt. Ist es richtig schlimm, guckt sie, ob »irgendein blöder, gut schmalziger Film kommt«, und legt sich auf die Couch. Nach besonders harten Tagen verbringt sie manchmal ganze Wochenenden auf dem Sofa. Aber sie geht auch gern in der Natur spazieren, um sich abzulenken, engagiert sich für die Ulmer Freidenker, trifft Freundinnen, geht schick aus, isst was Gutes – Schweinefilet mit Spätzle und Sauce, dazu ein Glas Württemberger Rotwein. Mal hilft eine Fußreflexzonenmassage zu entspannen, mal ein Opernbesuch. In Usedom hat die Familie eine kleine Ferienwohnung, die sie immer wieder für ein paar Tage bezieht.

Und ab und zu findet Karin Hoffmann Abstand und Anregung auch bei einer Weiterbildung in wunderbarer Umgebung, wie im oberbayerischen Brannenburg. »Die Verdrängung der Vernunft durch Irrationalität« lautet der Titel ihres Seminars. Es geht um ein Thema, das sie brennend interessiert: die Flucht vieler Menschen vor der Wirklichkeit, der weiträumige Trend zu Wellness und Esoterik und falschen Versprechungen. Karin Hoffmann will mehr darüber wissen, warum viele nur noch um den eigenen Nabel kreisen und woher die Angst, die Feindseligkeit, die Illoyalität kommen, die sie beobachtet.

Miteinander kämpfen

Und natürlich möchte sie wissen, wie man den Leuten Mut machen kann, sich der Wirklichkeit zu stellen, füreinander einzustehen, miteinander zu kämpfen. Denn sie ist überzeugt: »Wenn keiner mehr kämpft, haben wir alle verloren.«

Beim ver.di-Bundeskongress im September 2015 in Leipzig
Karin Hoffmann genießt die Natur und spannende Diskussionen im ver.di-Bildungszentrum Haus Brannenburg.