Menschen & Meinungen

Ein Gefühl für Farben

Hörbehinderte gleichen Defizite oft durch eine gute visuelle Auffassungsgabe aus. Das erleichtert die Ausbildung in der Drucktechnik, die in der Paulinenpflege Winnenden erfolgreich betrieben wird

Der Azubi Sven drückt auf einen roten Knopf, Walzen und Zylinder der Druckmaschine setzen sich in Bewegung, begleitet von einem lauten Tuten. Zugleich blinkt ein gelbes Warnlicht, das auf dem Dach der Heidelberger Printmaster 74 montiert ist. Das ist wichtig. Denn die Maschine steht nicht in irgendeiner Druckerei, sondern im Berufsbildungswerk Paulinenpflege Winnenden bei Stuttgart. Dort werden Hör- und Sprachbehinderte sowie Autisten ausgebildet. Sven ist gehörlos. Den Warnton beim Anlaufen der Maschine kann er nicht hören.

Der gehörlose Sven (Bild oben) hat seinen Traumberuf gefunden: Drucker. Buchbindermeister Dietmar Matuschek nimmt sich Zeit, um der schwerhörigen Jenny zu erklären, worauf sie beim Schneiden achten muss. 

Nach einem Probedruck der Briefbögen geht der Auszubildende zum Steuerungspult, um die Farbwerte anzupassen. Schließlich will der Auftraggeber am Ende ein gutes Produkt in Händen halten. Über dem Pult sind Fotos angebracht, die zum Beispiel erklären, wie der Anpressdruck richtig eingestellt wird. »Bei der Ausbildung von Hörbehinderten muss man möglichst alles visualisieren«, erklärt Michael Krauter. Der Druckermeister hat 20 Jahre in der Industrie gearbeitet, jetzt ist er Ausbilder im Winnendener Berufsbildungswerk. »Hier steht nicht die Produktion im Vordergrund, sondern die Ausbildung und der Auszubildende«, erläutert er den Unterschied zu anderen Ausbildungsbetrieben. Er kann sich die Zeit nehmen, die Aufgaben mehrfach und notfalls immer wieder zu erklären – und so, dass die Jugendlichen sie verstehen. Das fragt er am Ende immer ab, und zwar nicht: »Hast du es verstanden?« »Ja, ja.« Sondern: »Was hast du verstanden?«

In der Winnendener Paulinenpflege können junge Menschen mit Hör- oder Sprachbehinderung oder mit Autismus einen von etwa 30 Berufen erlernen. Hier kümmert sich ein Meister um durchschnittlich sechs Azubis. In der dazugehörenden Sonderberufsschule beträgt das Zahlenverhältnis von Lehrkräften und Schüler/innen ebenfalls eins zu sechs. Insgesamt sind rund 300 Azubis im Bildungswerk, 33 davon im Berufsfeld Drucktechnik. Etwa die Hälfte von ihnen ist hörbehindert.

Kleinerer Wortschatz

Ihre Ausbildung hat einige Besonderheiten. Oft werden Arbeitsaufträge schriftlich erteilt. Stets muss klar sein, was genau zu tun ist, bevor die Maschine anläuft. Nebenbei etwas zurufen – das klappt nicht. Aber auch die Schriftform hat ihre Grenzen. Denn Gehörlose haben einen deutlich kleineren Wortschatz, weil sie die Sprache mit viel größerem Aufwand erlernen müssen. Bei der Ausbildung kommen deshalb oft Bilder, Zeichnungen und kurze Filme zum Einsatz. Und die Gebärdensprache.

Mit geübten Handbewegungen erklärt Michael Krauter dem Azubi, was zu tun ist, und formt die Worte zugleich mit dem Mund. Sven hat verstanden. Konzentriert setzt er die Druckplatte ein, prüft an den Seiten mit der Hand, ob sie gut sitzt, zieht sie fest und setzt sie per Knopfdruck unter Spannung. Dabei legt er seine Stirn in Falten. Schließlich entspannen sich seine Gesichtszüge. Er ist zufrieden. Sein Ausbilder auch.

»Im Praktischen sind Hörbehinderte oft schneller«, sagt Michael Krauter. »Viele sind pfiffig und kompensieren ihren Nachteil durch eine gute visuelle Auffassungsgabe.« Insbesondere für Farben hätten sie oft ein gutes Gefühl. »Und gerade das braucht jeder Drucker.« Wenn sie ihre Abschlussprüfung zum Medientechnologen Druck abgelegt haben, sind die hörbehinderten Jugendlichen ebenso qualifiziert wie andere junge Facharbeiter. Schließlich sind auch die Prüfungsinhalte dieselben. Eine Ausnahme ist die Ausbildung zum »Fachpraktiker«. Hier ist der theoretische Teil etwas reduziert – für diejenigen, die eine vollwertige Ausbildung aufgrund ihrer Behinderung (noch) nicht schaffen würden. »In der Werkstatt merkt man aber keinen Unterschied«, sagt Michael Krauter. Die Rückmeldungen aus den Betrieben, in denen die Jugendlichen zweimal im Jahr Praktika absolvieren, seien fast durchweg positiv. »Wenn sie ihre Aufgabe verstanden haben, ist auf sie hundert Prozent Verlass«, betont der Ausbilder. Oft können sie bei Arbeitgebern anfangen, die sie zuvor in einem Praktikum testen konnten.

Nicht nur bei den Druckern läuft die Jobvermittlung nach der Ausbildung im Berufsbildungswerk gut. Durchschnittlich finden nach eigenen Angaben mehr als 80 Prozent der Absolventen innerhalb des ersten Jahres eine Stelle. »In den letzten Jahren ist das hervorragend gelaufen«, berichtet Buchbindermeister Dietmar Matuschek, unter dessen Obhut derzeit zehn Jugendliche zum Medientechnologen Druckverarbeitung ausgebildet werden. Die Hälfte von ihnen sind junge Frauen. »Wir haben diesen Ausbildungsgang vor 15 Jahren auch deshalb eingerichtet, weil wir einen technischen Beruf für Mädchen anbieten wollten«, erklärt Dietmar Matuschek. Denn traditionell arbeiten viele Frauen in diesem Metier.

(oben). Der Autist Michael (unten) ist gerne am Computer kreativ.

Der Autist Michael ist gerne am Computer kreativ.

Auch Jenny hat sich für diesen Beruf entschieden. Warum? »Es wird hier viel handwerklich gearbeitet, das gefällt mir«, sagt die 20-Jährige. Herausfinden konnte die schwerhörige junge Frau das bei einer berufsvorbereitenden Maßnahme, die in der Paulinenpflege ebenfalls angeboten wird. Am liebsten arbeitet Jenny, die jetzt im zweiten Ausbildungsjahr ist, an der Schneidemaschine. Vor der Falzmaschine hat sie noch ein wenig Respekt. Ihr Ausbilder erklärt: »Die Maschine ist komplexer, man muss beim Einrichten sehr viel beachten. Aber nächstes Jahr hat sie das drauf.« Die Leistungen seiner Azubis reichten durchaus an diejenigen nicht behinderter Jugendlicher heran, sagt Dietmar Matuschek. Als Mitglied in Prüfungsausschüssen der IHK kann er das beurteilen.

Vertrauen braucht Zeit

»Die Besonderheiten im Umgang mit autistischen Jugendlichen sind ganz andere als bei Hör- und Sprachbehinderten«, betont Rainer Klocke, Ausbilder in der Druckvorstufe. Manche halten gut mit, andere sind schnell überfordert oder sehr verschlossen. Menschen mit Autismus brauchen eine strukturierte Umgebung. Und sie müssen Vertrauen fassen. Das benötigt Zeit, die sich Ausbilder und Betreuer nehmen müssen. »Man bekommt aber auch viel zurück«, sagt Rainer Klocke. Zum Beispiel bei Michael. Der 19-Jährige war zu Beginn recht unzugänglich. Jetzt, im dritten Ausbildungsjahr zum Mediengestalter Digital und Print, öffnet er sich zusehends.

Traumberuf Drucker

»Ich war schon immer ein Computerfreak«, erklärt Michael seine Berufswahl. Er findet es toll, am Rechner kreativ zu sein. »Man fängt mit einer leeren Seite an und am Ende hat man einen fertigen Flyer oder ein Plakat – das ist ein gutes Gefühl.« Seine Praktikumseinsätze hat er in kleinen Werbeagenturen im Odenwald absolviert. Das hat gut funktioniert. Eventuell will Michael später in diesem Bereich arbeiten und noch eine Fortbildung in Webdesign dranhängen.

Für Sven hingegen ist klar: Drucker ist sein Traumberuf. Bei einem Praktikumseinsatz in einer Waiblinger Druckerei hat er gut mitgearbeitet. »Auch wenn alles viel schneller war«, übersetzt sein Ausbilder Michael Krauter die raschen Handbewegungen des 24-Jährigen. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen kommunizierte der Gehörlose vor allem schriftlich. Alle seien sehr freundlich gewesen, gibt Sven noch zu verstehen. Dann dreht er sich zu seiner Maschine. Wenige Augenblicke später ist er wieder ganz darin vertieft, deren reibungslosen Betrieb zu kontrollieren. Um sich herum scheint er nichts mehr wahrzunehmen.