Schusterjunge

Gewerkschaftsstaat

Gewerkschaften sind mächtig. Ihre Mitglieder haben in Jahrzehnten enorm viel durchgesetzt: den 8-Stunden-Tag, sechs Wochen Urlaub, Lohnfortzahlung bei Krankheit, Mutterschutz, Mitbestimmung, Tarifverträge (am 1. Mai 1873 gab es den ersten Tarifvertrag für die Buchdrucker), die 35-Stunden-Woche, den Mindestlohn. Aber – das müssen wir bei aller Bescheidenheit sagen – es gelingt nicht alles. Wir haben es zum Beispiel noch nie geschafft, mehr Lohn in einer Tarifrunde durchzusetzen, als wir gefordert haben.

Genau das soll nach Ansicht des Nachrichtenmagazins Der 
Spiegel der IG Metall gelungen sein. Die hat in ihrer jüngsten Tarifrunde acht Prozent auf zwölf Monate gefordert. Das Ergebnis: Im nächsten Jahr gibt es 5,2 Prozent mehr Lohn, übernächstes noch einmal 3,3 Prozent. Flugs addieren die Rechenkünstler*innen der Spiegel-Redaktion: 5,2+3,3=8,5 Prozent. Und schreiben: »Die IG 
Metall konnte damit sogar mehr durchsetzen als die geforderten 
acht Prozent.« Sozusagen ein Dreifach-Wumms!

Schön wär’s. Allerdings verteilen sich die Lohnsteigerungen auf zwei Jahre. Das macht rechnerisch 4,25 Prozent für jedes Jahr. Also lange Laufzeit und etliche Nullmonate.

Nicht auszudenken, wenn es noch eine weitere Erhöhung bei noch längerer Laufzeit gegeben hätte. Die Redaktion hätte gleich mal eine Titelgeschichte fabuliert: »Die System-Sprenger. Auf dem Weg 
in den Gewerkschaftsstaat.«