Corona-Krise

Von echten Krisen, hausgemachten und vorgeschobenen

Wie durch Misswirtschaft angeschlagene Unternehmen ihre Belegschaften in die Insolvenz treiben und Betriebe die Corona-Pandemie für radikale Abbaupläne nutzen

Anfang Juli hieß es beim bvdm: »Geschäftsklima in der Druckbranche hellt sich auf.« Der Unternehmerverband der Druckindustrie spricht vom Erholungskurs. Corona überstanden? Viele Beschäftigte erleben das anders. Die nach wie vor schwache Auftragslage hält Tausende in Unsicherheit und mutet ihnen Einkommenseinbußen zu.

Im Mai waren fast 1.500 ver.di-Mitglieder allein in der Druckindustrie in Kurzarbeit. Mehr als zwei Drittel der vom ifo-Institut befragten Druck- und Medienunternehmen vermelden auch im Juli Arbeitsausfall. Die meisten rechnen sogar damit, dass die Kurzarbeit in den nächsten drei Monaten anhält. Beim Rollenakzidenz- und Tiefdruck lagen Produktionsausfälle zu Spitzenzeiten bei 40 Prozent. Noch ist das Vor-Corona-Volumen an Werbedrucksachen und Flyern nicht wieder erreicht. Auch der Buchdruck schwächelt weiter. In Zeitungsdruckereien, wo besonders die Beilagenproduktion massiv eingebrochen war, steigen die Druckumfänge langsam wieder, doch manches Anzeigenblatt blieb auf der Strecke.

Beschäftigten, die schon seit März kurzarbeiten, wird jetzt zumindest das gesetzliche Kurzarbeitergeld vom Staat um zehn Prozent aufgestockt. Unternehmen drücken sich vielerorts: In knapp der Hälfte der ver.di bekannten Betriebsvereinbarungen zur Kurzarbeit in der Druckindustrie erhalten die Beschäftigten keinen Euro vom Unternehmen. Nur sieben Prozent der Firmen stocken das Kurzarbeitergeld auf 100 Prozent auf.

»Menschenverachtend«

Es gibt echte Corona-Krisen. Und solche, deren Ursachen weit vor der Pandemie zu finden sind. Der wirtschaftliche Einbruch durch Corona stürzt diese Unternehmen mit Wucht in die Insolvenz.

Wie im niederbayerischen Ergolding, wo sich bei Bosch Druck Solutions eine »echt tragische Geschichte« abspielt, sagt ver.di-Sekretär Pascal Attenkofer. Defizite in der Unternehmenssteuerung führten Ende 2018 zur Insolvenz. Das hat das Management schriftlich – in einem Gutachten einer Schweizer Unternehmensberatung. Damit ein Investor einstieg, wurde die Beschäftigtenzahl von 186 auf reichlich 100 geschrumpft (DRUCK+PAPIER 1/2019). Ein Sanierungstarifvertrag mit Einbußen für die Belegschaft sollte »dem Unternehmen etwas Luft geben, damit Engpässe überbrückt werden können«, erklärt Betriebsratsvorsitzender Michael Bräu.

Nun kam der Betrieb, der unter anderem Bordbücher für Autos herstellt, durch Corona erneut in eine heftige Krise. Noch mal eine Insolvenz. Noch mal wurde 80 Beschäftigten gekündigt. Ob wieder ein Investor kommt? Pascal Attenkofer von ver.di fürchtet um die hoch motivierte Belegschaft. Bosch habe bis vor wenigen Jahren zu den Top 10 der spezialisierten Druckereien und zu den technologischen Vorreitern gehört. Nun drohen die Beschäftigten leer auszugehen, weil das Unternehmen Maschinen verkaufte und zurückleaste. Das minimiert das Geschäftsrisiko. »Menschenverachtend« findet das der Gewerkschafter.

Vor dem Aus

Mit Erhardi Druck in Regensburg steht eine weitere klassische Akzidenzdruckerei mit kampfstarker Belegschaft vor dem Aus. Auch diese Druckerei – aus einer Unternehmensgruppe der Caritas-Stiftung – hatte schon vor Corona zu kämpfen. Nun gaben ihr Auftragsausfälle bei Bedienungsanleitungen und Reisebroschüren den Rest. Bei Sozialplanverhandlungen in der Einigungsstelle wurde ausgehandelt, dass der Betrieb maximal bis Ende nächsten Jahres weiterläuft. »Den knapp 50 Beschäftigten verschafft das wenigstens noch etwas Zeit«, so Attenkofer.

Auch bei Dräger + Wullenwever in Lübeck geht die Existenzangst um. Die tarifgebundene Druckerei, die zur SPD-Beteiligungsgesellschaft DDVG gehört, beantragte Ende Juni ein sogenanntes Schutzschirmverfahren, eine Insolvenz in Eigenverwaltung. Schon in den vergangenen zehn Jahren hatte die Belegschaft immer wieder auf Urlaubsgeld und die tarifliche Jahresleistung verzichtet oder unentgeltlich Mehrarbeit geleistet. Aktuell ist für die 80 Beschäftigten Kurzarbeit vereinbart. ver.di-Mann Jürgen Krapf sieht die Situation »durch Corona und längeres Missmanagement« verursacht. Jetzt gehe es darum, mit einem Insolvenzplan »wenigstens Teile des Betriebs und Arbeitsplätze zu retten«.

Zeitungs- und Zeitschriftenverlage spürten Corona-Auswirkungen speziell im Anzeigengeschäft. So hat die Unternehmensgruppe Nürnberger Nachrichten Ende Mai ihr Anzeigenblatt Der Blitz eingestellt. Zwar werden die Verlagsangestellten weiterbeschäftigt, doch 500 meist minijobbende Zusteller*innen blieben auf der Strecke. Dank eines auf den letzten Metern ausgehandelten Sozialplans werde die Trennung zumindest in Einzelfällen für den Verlag »nicht billig«, sagt ver.di-Sekretärin Barbara Schneider.

Nicht selten wird die Pandemie jedoch vorgeschoben, um die kriselnde Stimmung zu nutzen und umzusetzen, was schon lange geplant war: Stellen abbauen und ganze Betriebsteile oder Abteilungen dicht machen.

In Oldenburg bei der Nordwest-Zeitung gab es schon vor Corona Einsparpläne. Inzwischen setzt man auf eine Radikalkur, betriebsbedingte Kündigungen eingeschlossen. Betroffen: Geschäftskundenbereich, die Druckerei mit 15 Stellen und die Redaktion. Die Anzeigenproduktion im Geschäfts- und Privatkundenbereich soll ausgelagert werden. Das war bereits 2005 angedroht worden. Seither wurde Kündigungsschutz für die Beschäftigten in der Druckvorstufe mit fünf Stunden wöchentlicher Mehrarbeit ohne nennenswerten Lohnausgleich aufgewogen. Die Betriebsvereinbarung dazu kündigte der Verlag Mitte Mai mitten in der Kurzarbeit.

Eiskalt abserviert

Vier Wochen später die lapidare Mitteilung, dass die gesamte Abteilung geschlossen wird: 17 von 19 Beschäftigten sollen gehen. Ihre Arbeit werden externe Satzdienstleister übernehmen. »Gründe wurden uns nicht erläutert und ein eigenes Einsparkonzept, das wir erarbeitet und der Geschäftsleitung vorgelegt haben, als zu teuer abgelehnt«, sagt Betriebsratsmitglied Stephan Küller. Er kritisiert, dass langjährige Beschäftigte eiskalt abserviert werden und die Servicequalität aufs Spiel gesetzt wird. Mitte August sollen Sozialplanverhandlungen starten. »Die bisherigen Vorstellungen der Geschäftsführung können wir auf keinen Fall akzeptieren.«

Erholung und Aufhellung des Geschäftsklimas? Für die Unternehmen ja, für die Beschäftigten weniger.

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