Hintergrund

Recht auf Rückkehr

Bundesarbeitsministerin plant Möglichkeit befristeter Teilzeitarbeit. Gewerkschaften und 
Wissenschaftler/innen begrüßen das als Schritt in die richtige Richtung

Auch Alexandra Scheele von der Uni Bielefeld hält die Pläne der Ministerin für sinnvoll. »Das würde eine Flexibilität im Interesse der Beschäftigten schaffen«, erklärt die Sozialwissenschaftlerin im Interview mit der DRUCK+PAPIER (siehe unten). Sie könnten ihre Arbeitszeit in bestimmten Lebensphasen reduzieren, seien aber nicht zu dauerhafter Teilzeit gezwungen, wenn sich die Umstände wieder ändern.  »Das würde vielleicht auch mehr Männer dazu bewegen, ihre Arbeitszeit zumindest zeitweise zu reduzieren.« 
Denn bislang ist Teilzeit weiblich: Mehr als 80 Prozent der 10,5 Millionen Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Es würde jedoch nur ein Bruchteil von der Neuregelung profitieren, nämlich diejenigen, die selbst eine Reduzierung ihrer Arbeitszeiten beantragen. Wie das Ministerium auf Nachfrage zugibt, wird deren Zahl auf lediglich 150.000 geschätzt. Viele andere finden von Beginn an keine volle Stelle. Die Regierung schätzt, dass bis zu 750.000 Teilzeitbeschäftigte eigentlich länger arbeiten wollen. Fazit: Die Gesetzesinitiative ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch das grundsätzliche Problem unfreiwilliger Teilzeitarbeit behebt sie nicht.

Mehr dazu im Artikel Raus aus der Teilzeitfalle

 »Vor allem Frauen landen immer wieder in der Teilzeitfalle, die im Arbeitsleben und nachher in der Rente zu massiven finanziellen Nachteilen führt.«

Annelie Buntenbach, DGB-Bundesvorstand

»Erwerbspotenzial bleibt ungenutzt«

Warum unfreiwillige Teilzeitarbeit vor allem Frauen trifft – und was dagegen zu tun ist.
Ein Gespräch mit Alexandra Scheele

DRUCK+PAPIER: Millionen Beschäftigte stecken in der sogenannten Teilzeitfalle. Was bedeutet das?

Alexandra Scheele: Es ist relativ einfach, in Betrieben mit mehr als 15 Angestellten einen Antrag auf Teilzeit zu stellen. Doch häufig können diese Beschäftigten die Arbeitszeit später nicht wieder aufstocken. Ein Großteil der Betroffenen sind Frauen.

Warum ist das für sie ein Problem?

Wer dauerhaft Teilzeit arbeitet, verdient nicht nur weniger. Er oder sie zahlt auch weniger in die Sozialversicherungen ein – und hat am Ende eine Rente, die nicht zum Leben reicht. Zudem ist es für Teilzeitkräfte oftmals schwerer, höhere oder andere berufliche Positionen zu erreichen.

Inwiefern ist das nicht nur ein individuelles, sondern auch ein gesellschaftliches Problem?

Das Erwerbspotenzial gut qualifizierter Frauen bleibt ungenutzt – obwohl viele gerne mehr arbeiten möchten. Das ist ein Problem für die Frauen – aber auch für die Unternehmen. Vor allem aber ist es ungerecht, wenn Frauen viel in ihre Ausbildung investieren und am Ende

Dr. Alexandra Scheele ist Vertretungsprofessorin für Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld mit dem Schwerpunkt Geschlechtersoziologie.

draufzahlen. Das berührt auch die Frage, wie die Gesellschaft mit Care-Arbeit, also mit Betreuung und Erziehung von Kindern oder auch der Pflege kranker und älterer Menschen, umgeht. Es ist keine gute gesellschaftliche Lösung, dass diese Arbeit fast ausschließlich von Frauen geleistet wird.

Warum sind vor allem Frauen von unfreiwilliger Teilzeit betroffen?

Verschiedene Mechanismen wirken zusammen. In Westdeutschland dominiert traditionell das Modell des männlichen Ernährers, bei dem der Mann ununterbrochen Vollzeit berufstätig ist und damit eine Familie unterhalten kann. Zumindest in höheren Einkommensgruppen wurde der Frau die Rolle der Hausfrau oder – als Modernisierung – der hinzuverdienenden Teilzeitangestellten zugeschrieben. Gestützt wird dieses Modell durch Steuergesetze wie das Ehegattensplitting, das diese Arbeitsteilung innerhalb der Familie subventioniert. Ein solches Modell wirkt auch auf der kulturellen Ebene, da es als das »Normale« angesehen wird. Hinzu kommt, dass die Kinderbetreuung in Westdeutschland insbesondere für unter Dreijährige lange extrem schlecht ausgebaut war, was sich erst jetzt langsam ändert. Selbst mit Kinderbetreuung muss üblicherweise ein Elternteil Teilzeit arbeiten – und das ist in aller Regel die Frau.

Warum eigentlich?

Zum einen aus den genannten kulturellen Gründen. Entscheidenden Einfluss hat aber auch das sogenannte Gender Pay Gap, also die Tatsache, dass Frauen im Durchschnitt deutlich schlechter bezahlt werden als Männer. Deshalb entscheiden sich viele junge Eltern dafür, dass die Frau ihre Arbeitszeit reduziert, weil die finanziellen Einbußen geringer sind.

Im internationalen Vergleich ist die Teilzeitquote in Deutschland besonders hoch. Warum?

Westdeutschland war ein konservativer Wohlfahrtsstaat, in dem das Modell der Frauen als Zuverdienerinnen stets als das Ideal galt. Das Thema der öffentlichen Kinderbetreuung wurde hier erst sehr spät auf die Agenda gesetzt. In Frankreich, Skandinavien, selbst in Großbritannien war es viel selbstverständlicher, auch kleine Kinder in öffentlichen Einrichtungen zu erziehen als in der alten Bundesrepublik. Im Osten gibt es freilich eine ganz andere Tradition, was sich auch jetzt noch deutlich an der geringeren Teilzeitquote von Frauen in den neuen Bundesländern zeigt.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine »befristete Teilzeit« ermöglichen soll. Was halten Sie davon?

Sehr viel. Ein solches Rückkehrrecht könnte die Vorstellung in den Betrieben verbreiten, dass Beschäftigte vorübergehend in Teilzeit gehen – aber nicht lebenslang. Das würde eine Flexibilität im Interesse der Beschäftigten schaffen, die ihre Arbeitszeit in bestimmte Phasen ihres Lebens reduzieren, dann aber wieder in Vollzeit zurückkehren. Das würde vielleicht auch mehr Männer dazu bewegen, ihre Arbeitszeit zumindest zeitweise zu reduzieren, wenn zum Beispiel kleine Kinder zu versorgen sind. Auch sie müssten nicht mehr befürchten, damit ihre berufliche Laufbahn zu gefährden.

Das betrifft aber nur diejenigen, die ihre Arbeitszeit nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz reduzieren. Was ist mit all denen, die von Beginn an Teilzeit arbeiten?

Auf die vielen Frauen in Mini- und Midijobs oder in Betrieben mit weniger als 15 Beschäftigten hätte das Gesetz keine Auswirkung. In vielen Branchen gibt es zudem kaum noch Vollzeit-Arbeitsplätze. Das ist aber ein strukturelles Problem auf dem Arbeitsmarkt. Eine Antwort darauf – und auf die ungleich verteilte Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern – wäre die generelle Verkürzung der Wochenarbeitszeit – zum Beispiel auf 30 Stunden in der Woche. Das geplante Gesetz beseitigt also nicht alle Probleme. Dennoch halte ich es für sehr sinnvoll.

Die Arbeitgeberverbände kritisieren es als bürokratisch.

Das sagen sie im Moment bei allem. Die Frage ist doch: Will man mehr Gleichberechtigung? Will man Altersarmut bekämpfen? Will man eine moderne Arbeitswelt, die die Lebensrealität der Menschen abbildet? Wenn ja, muss man entsprechend handeln. Das Standardargument der Bürokratie halte ich für vorgeschoben.