Vier Jahre Zeit zum Nachbessern
Koalitionsvertrag unter die Lupe genommen | CDU/CSU und SPD haben ihre Arbeit aufgenommen
Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Union und SPD ist der Koalitionsvertrag vom Februar. Wir haben uns die 179 Seiten angeschaut, einige Punkte – besonders das Thema Arbeit – herausgegriffen und bewertet. Fazit: Es gibt vieles nachzubessern und einiges fehlt komplett.
Das ist gut
Krankenversicherung: Ab 1. Januar 2019 werden die Beiträge zur Krankenversicherung wieder in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten bezahlt. Der bisherige Zusatzbeitrag wird ebenfalls von beiden zu gleichen Teilen finanziert. Damit wird die Regelung von 2005 rückgängig gemacht, wonach Erwerbstätige einen höheren Beitrag leisten mussten als Unternehmen.
»Guck ich auf Rente, auf Pflege, auf Bildung, stelle ich fest, da gibt es eine ganze Reihe guter, wichtiger Impulse, die die Lebensbedingungen vieler Menschen verbessern werden.«
ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske im SWR, 8. Februar 2018
Das müsste korrigiert werden
Teilzeit: Wer sich für Teilzeit entscheidet, hat das Recht, wieder in Vollzeit zurückkehren zu können. Das ist gut. Allerdings gilt das nur in Unternehmen mit mehr als 45 Beschäftigten. Bei Unternehmen von 45 bis 200 Beschäftigten darf nur eine/r pro 15 Beschäftigte wieder zurück in die Vollzeit. Fazit: bürokratisch und halbherzig.
Rente: Bis zum Jahr 2025 bleibt die Rente auf einem Niveau von 48 Prozent, heißt es in der Koalitionsvereinbarung. Wer 45 Jahre immer Durchschnittsverdiener war – der zeit liegt das durchschnittliche Bruttoentgelt bei 37.103 Euro –, erhält beim aktuellen Rentenniveau (knapp 48 Prozent) 1.370 Euro Rente. Hätten wir heute noch das Niveau aus dem Jahr 2000 (53 Prozent), läge die Rente des Durchschnittsverdieners bei 1.530 Euro. Aber dahin will die große Koalition nicht zurück, sie will lediglich verhindern, dass Menschen noch weniger Rente erhalten als bisher. Das Rentenniveau auf 48 Prozent zu stabilisieren, ist keine Leistung. Das liegt laut Rentenversicherungs bericht ohnehin bis einschließlich 2024 bei 48 Prozent.
Midi-Jobs: Arbeitsverhältnisse, in denen man zwischen 450 und 850 Euro verdienen kann, sollen ausgeweitet werden. Keine gute Idee, sagt der DGB. Damit werde prekäre Beschäftigung nicht bekämpft.
Höchstarbeitszeit: Das war schon in der vorherigen großen Koalition Thema – für tarifgebundene Unternehmen sollen sogenannte Experimentierräume geschaffen werden. Das heißt nichts anderes als mehr Flexibilität zugunsten von Unternehmen und längere Arbeitszeiten für Beschäftigte. In Betriebsvereinbarungen sollen die wöchentlichen Höchstarbeitszeiten geregelt werden. Fazit: Nicht gut – das ist möglicherweise der Einstieg, um den Acht-Stunden-Tag abzuschaffen, wie schon lange von Unternehmen gewünscht.
Sachgrundlose Befristung: Eigentlich sollten Befristungen nur möglich sein, um Vertretungen für Elternzeit oder Langzeitkrankheiten zu organisieren. Alles andere gehört abgeschafft, findet der DGB. Das ist aber nicht vorgesehen. Stattdessen ist die Zahl der erlaubten Befristungen begrenzt. Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten dürfen nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen. Befristung ohne sachlichen Grund ist nur noch anderthalb statt wie bisher zwei Jahre möglich. Befristungen aus sachlichem Grund sollen nur noch fünf Jahre möglich sein.
»Aber natürlich hat der Koali tionsvertrag auch Schwächen.«
Frank Bsirske, Berliner Morgenpost, 15. Februar 2018
Das fehlt
Umverteilung: Die Kluft zwischen Armen und Reichen ist in Deutschland groß. Doch daran ändert die große Koalition nichts. Denn eine Vermögensteuer ist wieder nicht geplant. Allerdings wird der Soli-Zuschlag abgeschafft. Armen nutzt das nichts, sie mussten ihn nicht zahlen; Wohlhabenden spült es Geld in die Haushaltskasse und dem Staat werden mehr als zehn Milliarden Euro fehlen.
Werkverträge: Dazu wird es weiterhin keine gesetzlichen Einschränkungen geben. Die wären aber notwendig, damit Unternehmen nicht nach Belieben Firmen ausgründen oder Leistungen fremd vergeben können, um Tarifverträge zu umgehen.
Tarifverträge: Wir brauchen mehr allgemein verbindliche Tarifverträge. Damit tarifvertragliche Regelungen auch in tariflosen Unternehmen greifen. Heute gilt gerade einmal für die Hälfte der Bevölkerung ein Flächen- oder Branchentarif. mib
Der Koalitionsvertrag zum Nachlesen http://bit.ly/koali18