Ein Buch, das spricht und klingt
Wissenschaftler der TU Chemnitz haben Lautsprecherpapier erfunden | Meeresrauschen und Möwengekreisch tönen aus den Seiten | Notendrucke könnten Sonaten spielen
Vor einigen Wochen staunten Besucher der Frankfurter Buchmesse über den tönenden Bildband, nun wird er bei Workshops herumgereicht. Wer sonst das Tonbuch sehen will, muss nach Chemnitz fahren. Denn an der dortigen Technischen Universität wurde es erfunden und gefertigt. Das T-Book enthält Buchseiten mit Lautsprecherfunktion. Der Neuheit aus Sachsen soll nun der Weg zu industrieller Produktion geebnet werden.
»Versprechen Sie sich nicht zu viel«, hatte Georg Schmidt gewarnt. Und tatsächlich: Spektakulär wirkt zunächst nichts. Der Projektleiter T-Paper an der Chemnitzer Universität sitzt in seinem vollgestopften kleinen Dienstzimmer im Institut für Print- und Medientechnik inmitten von Papierrollen, Probedrucken und Schaltkreismodellen. Das Objekt, um das es gehen soll, hängt gerade am Strom, die Akkus waren leer gehört.
Doch dann lässt der blaue Band hören, was in ihm steckt. Und das fasziniert sehr wohl: Schlägt man die ersten Seiten mit Drucktechnik-Fotos auf, ertönen industrietypische Geräusche. Bei den Abbildungen mit Sarah und Robert erklingen klar und deutlich deren Stimmen. Von der rechten oder linken Buchseite erläutern beide abwechselnd, was das Medium alles kann. Zur Demonstration folgen Meeresrauschen und Möwengekreisch, Babygebrabbel und verschiedene Musikbeispiele – Orchesterklang, Klaviersolo. Vom Papier, einfach so. Hält Schmidt die Seiten leicht gewölbt, klingt alles noch besser und etwas lauter.
So gut wie ein Küchenradio
Das Chemnitzer Einzelstück heißt offiziell T-Book der zweiten Generation. In ihm stecken sieben bis acht Jahre Forschung. »Dort drüben im Printlabor«, zeigt Schmidt aus dem Fenster auf eine flache Halle auf dem Uni-Gelände, »fertigen wir das Lautsprecherpapier; dort sind auch die Bücher entstanden.«
Die Erfindung ist Teil umfangreicher Forschungen zu gedruckter Elektrotechnik, der sich Wissenschaftler um Professor Arved Hübler etwa seit der Jahrtausendwende ver schrieben haben. So haben sie auch schon Transistoren, Solarzellen oder Sensoren in Druckverfahren hergestellt. Und die gedruckte Lautsprechertechnik funktioniere mittlerweile so gut, dass sie »jedem Küchenradio Konkurrenz machen« könne, meint der Projektleiter. Die dünnen Funktionsschichten lassen sich auf Folie oder andere Werkstoffe drucken, am besten aber auf Papier. »Das Papier selbst ist dann die Membran«, sagt Schmidt. Das mache den Unterschied zu Mechanismen in klingenden Bilderbüchern oder Glückwunschkarten, die auf Fingerdruck einen Brummton oder eine kurze Tonfolge beim Öffnen erzeugen: Beim T-Paper schwingt die Beschichtung der gesamten Seite. Das Lautsprecherpapier kann beliebig mit Text oder Fotos bedruckt oder zum Buch gebunden werden. Wozu das gut wäre? Poster oder Ausstellungstafeln könnten künftig zu uns sprechen, Notendrucke ganz nebenbei demonstrieren, wie die Stücke gespielt klingen, Verpackungen würden Gebrauchsanweisungen abspulen. Das könnte Musikschülern helfen, vielleicht auch Blinden. Welche Anwendungen in Zukunft sinnvoll und praktikabel sind, interessiert die Forscher sehr wohl – sie beraten sich mit Buchherstellern wie CPI und anderen Praktikern und sammeln Ideen.
Furore in den Medien
2018 gibt es die nächsten Zwischenergebnisse. Die werden sich stark vom ersten Versuchsbuch 2015 unterscheiden. Das großformatige T-Book I enthielt damals Siegerfotos aus dem World-Press-Photo-Award und lieferte akustische Geschichten als neue Dimension hinzu. »Das hat auch in den Medien ziemlich Furore gemacht«, erinnert sich Projektleiter Schmidt. Damals waren ein sehr breiter Buchrücken und entsprechende Deckel nötig, um die Elektronik aufzunehmen. »Die Kunst besteht aber gerade darin, dass man die Technik gar nicht mehr sieht.«
Inzwischen ist man weiter. Der Einband von T-Book II sei nur noch fünf Millimeter dick, der Rücken erreicht Dimensionen eines üblichen Festeinbandes. Technisch ausgereizt sei die Sache auch bei Steuerung und Speichermedien noch längst nicht. Denn auch da denken die Chemnitzer an Print. Gedruckte Schaltkreise wären dünn, flexibel, leichtgewichtig und besser zu verarbeiten. Kommt also demnächst ein T-Book Air? Mal schauen.
»Ich vergleiche das mit dem Schritt vom Stummfilm zum Tonfilm. Wir machen jetzt den Schritt vom stummen Buch zum Tonbuch. Das wird natürlich nicht für jedes Buch sinnvoll sein. Aber das eine oder andere könnte in Zukunft mit dem zusätzlichen Ton eine wirkliche Erweiterung erfahren.« Professor Arved Hübler, Institut für Print- und Medientechnik, Technische Universität Chemnitz
Vom Einzelbogen auf die Rolle
Vorrangige Aufgabe der Forscher ist es, die Technologie sicher zu machen und sie für die massenhafte Produktion vorzubereiten. Dafür werden die Chemnitzer seit Mai auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. 1,37 Millionen Euro fließen bis zum Frühjahr 2020 in das Projekt. Momentan wird in die Druckmaschine des Printlabors investiert. Denn das Lautsprecherpapier soll von der aufwendigen Einzelbogenfertigung im Siebdruck auf die Rolle gebracht werden. Drei Wissenschaftler und Techniker sowie studentische Helfer arbeiten daran – »ein internationales, recht großes Team für ein Einzelprojekt«, meint Projektleiter Georg Schmidt. Ziel sei, die 10 bis 20 Mikrometer dünnen Schichten für die Lautsprecherfunktion auf 140 mm breites 60-Gramm-Papier im Rollendruckverfahren aufzubringen.
Wenn das »unter produktionsnahen Laborbedingungen funktioniert«, sind die Voraussetzungen für den Start kontinuierlicher Produktionsprozesse in der Industrie geschaffen. Das Projekt sei bisher an keine Hersteller gebunden.
Demnächst von der Rolle: Projektleiter Georg Schmidt mit einem Studenten im Printlabor der TU Chemnitz.