Auszeit

90 Jahre und immer noch topfit

Gutenberg-Museum in Mainz ergründet die Erfolgsgeschichte der Futura. Eine Ausstellung zeigt noch bis zum 30. April, warum die Schrift weltweit zum Star wurde.

Figuren aus einer Schriftprobe: Bauersche Giesserei, Frankfurt a. M.: Die schräge Futura weist neue Wege, um 1930

Einmal um die Welt. Und bis auf den Mond. Wer den silbernen Klebestreifen auf dem Fußboden durch die Sonderausstellung »Futura. Die Schrift.« im Gutenberg-Museum in Mainz folgt, kann den Siegeszug der schlichten, schmucklosen Buchstaben miterleben: Erstmals 1927 in Frankfurt am Main veröffentlicht, eroberte die Futura schon bald Metropolen wie Paris, Prag oder New York – und verewigte sich sogar im Weltall.

Über einen Monitor flackern krisselige Fernsehaufnahmen der ersten Mondlandung 1969. Bilder zeigen, wie Neil Armstrong im dicken Raumfahrtanzug zum ersten Mal einen Fuß auf die Kraterlandschaft setzt. In friedlicher Mission, wie die Besatzung klarmacht. Die Jungs von Apollo 11 hinterlassen auf dem Mond eine Metallplakette mit der Aufschrift: »Wir kamen in Frieden für die ganze Menschheit.« Die Schrift: Futura. Eine Kopie der Plakette liegt in der Ausstellung unter Glas. Daneben an der Wand prangt das offizielle Emblem der NASA-Mission: ein Weißkopfseeadler, darüber in Großbuchstaben der Schriftzug »Apollo 11« in Futura fett. Das Gutenberg-Museum beschäftigt sich bis zum 30. April 2017 mit der Frage, was diese Schrift so einzigartig macht – und warum sie bis heute so erfolgreich ist.

Sachlich, klar, elegant

Die Ausstellung zeigt viele Originaldokumente: Schriftproben, Zeitungscover, Anzeigen, Reklameplakate,

Visitenkarten und andere Drucksachen. Der Rundgang ist als kleine Reise aufgebaut, es geht von Stadt zu Stadt. Die erste Station widmet sich Paul Renner. Der Typograf – ein attraktiver Mann mit Seitenscheitel, wie ein Porträtfoto zeigt – begann 1924 damit, die neue Schrift zu entwerfen. Ein brauner Notizzettel aus seinem Nachlass zeigt, wie er mit Füller verschiedene Höhen und Neigungen der Buchstaben kalkulierte. Welche Rundung sollte das S bekommen? Auf einem Korrekturbogen ist zu sehen, wie Paul Renner seinen Entwurf mit Deckweiß nachbesserte. Das Ziel: »Die neue Schrift sollte sachlich sein, klar, neutral, elegant«, erklärt Museumsdirektorin Annette Ludwig. Ein Videoclip verdeutlicht die Geometrie der Buchstaben, aus O wird C, aus C wird G. Alle Formen setzen sich aus Linien und Kreisen zusammen. »Mit der Schrift geht Paul Renner zurück auf die Anfänge«, sagt Ludwig. »Die Buchstaben beziehen sich auf die römische Antike.«

Aufbruchstimmung

Die Schrift sollte die Ideale der Zeit zum Ausdruck bringen. Der Erste Weltkrieg war vorbei. Aufbruchsstimmung prägte die 1920er-Jahre. Damit einher ging in Künstlerkreisen eine Abkehr vom Alten – etwas Neues sollte her. Das galt auch für die Gestaltung. Die »Neue Typografie« setzte auf sachliches, klares Design, von Schnörkeln und Serifen wollte niemand mehr etwas wissen. In der Architektur setzte sich das Bauhaus durch. Die 
Futura entsprach dem Zeitgeist. Der Inhaber der Bauerschen Gießerei in Frankfurt, Georg Hartmann, habe das Potenzial erkannt und viel Geld investiert, berichtet die Direktorin. Drei Jahre lang tüftelten sie an der Vollendung der Schrift, bis die Futura 1927 erstmals veröffentlicht wurde. Zum internationalen Erfolg beigetragen habe sicher, dass die Bauersche Gießerei über Dependancen in Barcelona und New York verfügte, erklärt Ludwig.

Zudem wurde die Veröffentlichung von einer großen Werbekampagne begleitet. Die Ausstellung zeigt allerhand stylishe Schriftmuster, mit denen Vertreter der Gießerei in Druckereien für die Futura warben. »Heute kauft man einfach eine digitale Schrift«, sagt Ludwig. »Doch wir müssen uns vergegenwärtigen, dass damals noch die Bleizeit herrschte.« Die Direktorin zeigt auf eine Holzschublade voller Letter aus schwerem Metall. Für die Druckereien sei die Einführung einer Schrift nicht nur wirtschaftlich, sondern auch wortwörtlich ein »dicker Batzen« gewesen. »Sie holten sich Tonnen Blei ins Haus«, so Ludwig. Zumal es nicht reichte, sich einen Satz Groß- und Kleinbuchstaben zu kaufen. Die Futura gab es in mager, halbfett und fett, alle Modelle natürlich auch in kursiv – und später kamen Variationen wie die Futura Black hinzu. Doch viele Druckereien kamen nicht darum herum.

Avantgarde-Magazine verbreiteten die Schrift. Hinzu kam, dass viele Künstler mit Reklame ihr Geld verdienten. So warb etwa der dadaistische Künstler Kurt Schwitters für Bahlsen und pries – unter dem Titel »Keks ist Fortschritt« – die Vorzüge des »Universal-Nahrungsmittels« an. In Futura. Auch andere Hersteller wie Volkswagen, Luis Vuitton oder Persil schmückten sich mit ihr. »Die Schrift traf den Geschmack der breiten Masse«, erklärt die Museumsleiterin. »Sie war modern, aber hat nicht verschreckt.«

Den Nazis vorerst ein Gräuel

Doch als die Nazis die Macht ergriffen, verschmähten sie die Futura – zumindest vorerst. Paul Renner, damals Leiter der renommierten Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker in München, veröffentlichte 1932 unter dem Titel »Kulturbolschewismus?« eine Stellungnahme gegen die nationalsozialistische Kulturpolitik. Das Buch wurde nur in der Schweiz gedruckt, wohin Paul Renner später emigrierte. Die Nazis entließen ihn 1933 aus dem Amt. Und auch die Futura war ihnen ein Gräuel, viel zu modern. Doch die Ausstellung zeigt, dass die Nazis willkürlich umschwenkten. »Sie hatten festgestellt, dass sich die Frakturschrift in den besetzten Gebieten des Deutschen Reichs schlecht lesen ließ«, berichtet Ludwig. Deshalb waren Groteskschriften mit dem Schrifterlass von 1941 wieder angesagt, so auch die Futura. »Man sieht, dass Schrift viel mit Macht und Politik zu tun hat«, betont die Leiterin.

Während der NS-Zeit emigrierten viele Künstler nach Amerika – im Gepäck unter anderem die Futura. Die Schrift habe ihre eigene Geschichte, aber auch kulturpolitisch viel zu erzählen, sagt die Museumsleiterin. Deshalb habe sie dieses Thema so gereizt. Übrigens ist es die erste Museumsausstellung in Deutschland über die Futura. »Es ist ein Geburtstagsgeschenk für eine 90-Jährige, die noch topfit und modern wirkt – und die man immer wieder sehen kann«, sagt Ludwig. Dass die Schrift immer noch überall präsent ist, zeigt das Projekt »FUTURA type-trap«. Wer die Futura entdeckt, kann auf www.type-trap.com ein Foto hochladen. Das Ergebnis: Egal ob auf Limoflasche, Baugerüst, Tanzstudio, Waschsalon, Bäcker oder Bahnhof – die Futura ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.

Ausstellung »FUTURA. DIE SCHRIFT.« 
bis 30. April 2017 • Gutenberg-
Museum • Liebfrauenplatz 5 • 55116 Mainz 
www.gutenberg-museum.de

Wir danken Bertram Schmidt-Friderichs – Verleger
verlag hermann schmidt – für die Unterstützung.

 

Diese Plakette befindet sich am Fuße des »lunar 
landing vehicle«, welches auf dem Mond verblieb, und trägt die Inschrift: »Here men from the planet earth first set foot upon the moon, july 1969, A.D.«.Bauersche Giesserei, Frankfurt a. M.: Futura, 
Die großen Grade, um 1930Probeabzug Renner-Futura halbfett, ca. 1925/26. Der Scheitel des As ist bereits spitz, aber der obere Bogen des kleinen f ist noch sehr breit. Alternatives a, g, r, m und n werden gegeneinander getestet, wobei das ›Strich-Punkt‹-r gesetzt scheint.Hans und Grete Leistikow: Cover der Zeitschrift 
Das neue Frankfurt, 3. Jg., H.2, 1929Die Futura im Dienste
der NS-Propaganda: 
die Titelseite der von den Nationalsozialisten in Riga herausgegebenen Zeitschrift Ostland, 1944Max Burchartz: 2. Deutscher Tänzerkongress, 
Einladungskarte mit Briefumschlag, publiziert in: 
Gefesselter Blick, 1930 Album de caractères bois, Deberny et Peignot, um 1935Futura. Die Schrift.
Petra Eisele | Annette Ludwig | Isabel Naegele 
(Herausgeber) 
verlag hermann schmidt



Das Buch zur Ausstellung

Ein umfassender Geburtstagsglückwunsch an eine der besten Schriften ever. Gestaltung: Stephanie Kaplan, 

520 Seiten mit unzähligen farbigen Abbildungen und Schriftproben, Format 17,3 x 24 cm, fadengehefteter Festeinband mit Folienprägung und silbernem Kopfschnitt 
50 Euro, ISBN 978-3-87439-893-0