Von Fusionen, neuen Werken und mäßigem Absatz
Betriebsräte fürchten Preiskampf

Zwei Orte in Südhessen und einer direkt hinter der bayerischen Grenze: Hanau, Erlensee und Alzenau. Auf kleiner Fläche zeigen sich hier die Probleme der Wellpappbetriebe wie unter einem Brennglas. Der Rohbau ist fertig. Im Juli feierte Wellpappe Alzenau Richtfest. Das neue Wellpappwerk soll Mitte 2026 öffnen – mit mehr Produktionskapazität als die beiden dann stillgelegten Werke in Alzenau und Hasselroth. Wellpappe Alzenau in Unterfranken gehört zu Palm – einem Unternehmen mit 33 Wellpappwerken, davon 19 in Deutschland, und fünf Papierfabriken.
Jeden Morgen fährt ein Kollege von DS Smith auf seinem Weg zur Arbeit an der Baustelle von Wellpappe Alzenau vorbei. Und berichtet Michael Koch von den Baufortschritten. Der seufzt dann. Er ist Betriebsratsvorsitzender am Sitz der DS Smith Packaging Deutschland Stiftung in Erlensee – nur eine Viertelstunde Fahrt von der Baustelle entfernt. Seit dem Start vor neun Jahren schreibt Erlensee rote Zahlen. Das Personal wurde fast verdoppelt, der Ausstoß aber nicht.

»Alle 18 Monate werden Betriebs- und Produktionsleiter ausgetauscht.« Die Stimmung im Betrieb sei schlecht. »Seit 2022 haben wir 138 Kollegen und Kolleginnen verloren.« Die meisten suchten sich andere Jobs. Manche seien stinksauer, dass der Betriebsrat den kurzen Freitag nicht verteidigen konnte. Seit 2021 arbeitet die Belegschaft Montag bis Freitag 7,5 Stunden – bezahlt und befristet bis 2027, aber trotzdem eine Arbeitszeitverlängerung. Koch fürchtet, dass weitere Kollegen dann zu Wellpappe Alzenau wechseln – zumal auch dort Tarif bezahlt wird. Es gilt der Tarifvertrag Papiererzeugung, ausgehandelt mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE).
Bei der Konkurrenz beworben

Im Wellpappwerk DS Smith in Erlensee bei Hanau
Aktuell erhält DS Smith in Erlensee allerdings mehr Bewerbungen als sonst. Sie stammen von Beschäftigten des Smurfit-Westrock-Werks in Hanau, das zum Jahresende schließt. Das 100 Jahre alte Werk wäre sanierungsbedürftig. Neue Technik könnte nicht aufgestellt werden, so wenig tragfähig ist das Fundament. »Insofern kam die Schließung nicht überraschend«, sagt Betriebsratsvorsitzender Heiko Frenken. Smurfit Westrock zahlt bis zur Schließung 1.000 Euro für jeden Monat ohne Fehlzeiten. Trotzdem suchen manche schon jetzt nach einem anderen Job.
Dass Konzerne langfristig planen, in manche Werke investieren und andere schließen, ist nicht neu. Vor zehn Jahren machte damals noch Smurfit Kappa die Werke in Osnabrück, Hamburg und Viersen dicht. Jetzt Lübbecke und Hanau mit 300 Beschäftigten. Weitere Schließungen plane Smurfit Westrock in den nächsten fünf Jahren aber nicht, sagt Gesamtbetriebsratsvorsitzender Uwe Knorr.
Das Problem der Wellpappunternehmen: hohe Preise für Rohpapier und Energie. Noch größer: Der Absatz liegt trotz leichtem Plus nur auf dem Niveau von 2017/2018. Der Umsatz ist gerade mal so hoch wie vor der Pandemie.
Die Covid-Pandemie bedeutete goldene Jahre für die Wellpappe. Der Boom im Onlinehandel berauschte die Unternehmen. Im festen Glauben an weiter steile Gewinnkurven planten sie neue Werke und Erweiterungen. Die sind jetzt fertig – mit leistungsfähigeren Maschinen, besseren Technologien, mehr Automatisierung und höherer Produktivität.
Die (tariflose) Tricor Gruppe eröffnete im Juli 2025 ein neues Werk in Weeze-Goch im Kreis Kleve mit einer Kapazität von jährlich 140.000 Tonnen Wellpappe. Innerhalb der nächsten zwei Jahre soll die Produktion auf drei Schichten hochgefahren werden. Die (tariflose) Progroup (früher Prowell) betreibt seit einem Jahr ein neues Werk in der Nähe von Pirmasens (möglich sind 200.000 Tonnen Wellpappe).
Nachtschichten gestrichen
Auch Smurfit Westrock hat beim Wachsen mitgemacht. Das Werk in Brühl hat nun 30 Prozent mehr Kapazität. Allerdings war die Erweiterung vor der Pandemie geplant. Wie auch Wellpappe Alzenau. Was allen fehlt, sind Fachkräfte und Aufträge. Erste Unternehmen ziehen Konsequenzen: Smurfit Westrock in Brühl streicht jede dritte Nachtschicht. DS Smith in Hövelhof reduziert von drei auf zwei Schichten. In Nördlingen legt DS Smith die geplante Erweiterung von 150 auf 300 Millionen Quadratmeter auf Eis.

Eine Branchenanalyse der Hans-Böckler-Stiftung vom Mai 2025 bestätigt: Das Nachfragetief belastet die Unternehmen erheblich. Betriebsräte befürchten einen intensiven Preiskampf. Nicht alle Standorte würden diese schwierige Zeit überstehen. Wobei kleine und mittlere Unternehmen ein größeres Risiko haben als Konzerne mit mehr finanziellen Rücklagen und eigenen Papierfabriken.
Uwe Knorr gehört zu den Skeptikern: »Die Branche steckt mitten in einer Marktbereinigung«, sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Smurfit Westrock. Es fehle an Aufträgen, Maschinen seien nicht ausgelastet. Was viele besorgt: Wenn Unternehmen die Preise senken, um Aufträge beizuschaffen und Maschinen auszulasten. Das setzt wiederum die Konkurrenz unter Druck, ebenfalls mit den Preisen runterzugehen. Unternehmen investieren in neue Maschinen und Anlagen, um die Stückkosten zu senken. Und erhöhen damit die Produktivität. Die leistungsfähigeren Maschinen sind nicht ausgelastet, also werden die Preise gesenkt – ein Teufelskreis, sagt Betriebsratsberater Thomas Meyer-Fries.

Frank Schreckenberg von ver.di sieht gegenwärtig keine Anzeichen eines Unterbietungswettbewerbs. Allerdings macht auch ihm die Nachfrageflaute in der Branche Sorgen.
Die Branche ist wie selten zuvor in Bewegung. Erst ein Jahr ist es her, dass sich Smurfit Kappa und Westrock zusammenschlossen. Jetzt geht es weiter: Palm will fünf Werke in Frankreich, Spanien und Portugal kaufen und wartet auf die Zustimmung der Europäischen Kommission und des französischen Kartellamts. Diese Werke muss International Paper abgeben – eine Bedingung für die DS-Smith-Übernahme.
Ursprünglich wollte Mondi DS Smith kaufen. Daraus wurde nichts. Statt DS Smith hat Mondi die (tariflosen) west-europäischen Schumacher Packaging Werke geschluckt. Die Mondi-Betriebsräte fürchten nun, dass die alten Werke zugunsten der modernen Schumacher-Werke abgebaut werden.
DS Smith hat dennoch einen Käufer gefunden: International Paper. Der US-Konzern gilt als Weltmarktführer bei Verpackungen – bislang ohne Standort in Deutschland. Das ändert sich jetzt. Die Betriebsräte sind alarmiert. Kurz nach der Übernahme gab DS Smith Schließungen in Großbritannien und Osteuropa bekannt. »Wir fürchten, dass auch Werke in Deutschland gefährdet sind«, sagt Jens Oppermann, stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender von DS Smith und Betriebsratsvorsitzender in Arenshausen. »Ich bin jedenfalls froh, dass bei uns im Werk die Investition vor der Fusion beschlossen wurde.«

Tarifverzicht
Durchbruch in der Nacht
Gegen das Gefühl der Ohnmacht