Mein Standpunkt

Was hältst du von steuerfreien Zuschlägen für Überstunden?

Ole Giebler arbeitet in der Weiterverarbeitung bei der deutsch-dänischen Tageszeitung Flensborg Avis und ist Mitglied des Betriebsrats.
Foto: privat

»Die neue Bundesregierung möchte Anreize dafür schaffen, dass wir alle mehr arbeiten, und deshalb Zuschläge für Mehrarbeit steuerfrei machen. Mal abgesehen davon, dass es nicht wirklich ein Anreiz ist, wenn man pro Überstunde nur ein paar Euro mehr behalten kann: Ich finde die ganze Idee unfair und unsozial. Der Krankenstand in Deutschland ist eh schon sehr, sehr hoch – das wird sicher nicht besser, wenn man die Leute dazu bringt, mehr zu arbeiten. Das ist ein komplett falscher Anreiz.

Sinnvoller wäre, Überstunden überhaupt nicht anfallen zu lassen, indem man mehr Personal einstellt. Ja, das ist beim derzeitigen Fachkräftemangel nicht einfach. Aber es gibt drei Millionen Arbeitslose, es gibt viele Geflüchtete, die arbeiten wollen. Statt in Steuerfreiheit für Überstundenzuschläge sollte man also lieber in Qualifizierung investieren und in Programme, die Geflüchtete in Arbeit bringen. Das würde auch die Sozialkassen entlasten und dem Staat höhere Steuereinnahmen verschaffen.

Die steuerfreien Zuschläge kämen dagegen nur einem kleinen Teil der Beschäftigten zugute. Nicht nur, weil Teilzeitkräfte – und das sind bekanntlich vor allem Frauen – ungerechterweise von vornherein ausgenommen sein sollen. Von den 1,3 Milliarden Überstunden, die laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) pro Jahr in Deutschland geleistet werden, sind mehr als die Hälfte sogar gänzlich unbezahlt. Daran müsste sich zuallererst etwas ändern. Und ob wirklich alle Überstunden erfasst werden, ist gar nicht sicher: Trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs gibt es in Deutschland immer noch kein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung. Wenn das mit den steuerfreien Überstundenzuschlägen nicht bloß ein Papiertiger werden soll, müsste die Bundesregierung erst einmal diese Aufgaben angehen.«