Historisches

Von hebräischen Lettern, geschmuggelten Manuskripten und eleganten Jugendstil-Schriften

Offenbacher Druckgeschichte aus 400 Jahren

Blick in die Schriftgießerei der Firma Klingspor in Offenbach vor mehr als 100 Jahren.
Repro: Klaus Nissen

Zugegeben: Das Drucken wurde in Mainz erfunden. 1452 druckte Johannes Gutenberg die erste Bibel. Offenbach war später dran. Anfang des 18. Jahrhunderts ging es dann aber los: die ersten hebräischen Bücher, später die erste Zeitung, Mozarts Partituren auf Steindruck, die berühmten Jugendstil-Schriften. Offenbachs Druckgeschichte reicht bis in die Gegenwart – mit einer einzigartigen Druckwerkstatt, dem Klingspor Museum als Forschungszentrum für Schriftkunst und einem Hersteller von Bogenoffsetdruckmaschinen.

Die Druckwerkstatt

Werkstattleiter Dominik Gußmann färbt die Walze für einen Abzug des 1834 von Georg Büchner verfassten Hessischen Landboten ein. Foto: Klaus Nissen

Offenbach, Herrnstraße 61. Dominik Gußmann legt den Bleisatz des Hessischen Landboten auf den Tisch der 70 Jahre alten FAG-Andruckpresse. Mit Magnetklötzen fixiert der Werkstattleiter die »Erste Botschaft« von Georg Büchner. Erstmals gedruckt im Juli 1834. »Friede den Hütten! Krieg den Palästen!« steht da in spiegelverkehrter Fraktur. 6,3 Millionen Gulden presse der Staat alljährlich den Leuten ab. »An 700.000 Menschen schwitzen, stöhnen und hungern dafür.«

Gußmann streicht mit dem Spachtel das Schwarz auf die Walze. Dann bringt sie der einzige Elektromotor der Werkstatt über eine Fahrradkette in Drehung. An der Kurbel drehen, das Walzwerk fährt über den Satz – eine saubere Seite.

Selbst kreativ werden

Künstler*innen, Laien, Studierende der nahen Hochschule für Gestaltung lieben sie – die 2021 eröffnete Druckwerkstatt im Haus der Stadtgeschichte. Der helle Raum in der ehemaligen Schnupftabakfabrik hat eine Buchbinderzeile, eine Setzerzeile mit Stapelschneider, ein Regal voller Drucksteine. Einzigartig wird die Werkstatt durch ihr halbes Dutzend historischer Pressen, die noch gut in Schuss sind.

Wer sie nutzen will, macht einen zweitägigen Einführungskurs. Anschließend kann man Werkstattzeit buchen – für einen Euro pro Stunde. Radierungen und Lithografien, handwerklicher Hoch-, Tief- und Flachdruck mit Blei- und Holzlettern sind möglich.

Dominik Gußmann

E-Mail: Druckwerkstatt@offenbach.de Telefon: 069 806 53 457

Klingspor Museum

Offenbach, Herrnstraße 80, Seitenflügel des barocken Büsing-Palais: Im Saal hinter der Kinderbuchausstellung (bis 14. April) wird gerade die Videoschalte vorbereitet. Kinder aus Offenbach und Südkorea lernen gemeinsam die Herstellung von Einsteck- Fächerbüchern.

Im Archiv sitzt Direktorin Dorothee Ader am großen Tisch – dahinter Regale mit gut 80.000 Grafiken, Kalligrafien, Künstlerbüchern. Eins zieht sie hervor. Der Künstler hat Wörter aus dem Roman geschnitten – der Rest ergibt eine ganz andere Geschichte.

Das Archiv enthält auch Schriften aus der Klingspor-Sammlung. »Wir müssen sicherstellen, dass die nachwachsende Generation Zugang zum Buch bekommt.« Die Punk- und die Tattoo-Szene interessierten sich gerade für 100 Jahre alte Frakturschriften. Das Museum kauft auf Comic-Messen auch Zines für die Sammlung – in kleinster Auflage gedruckte oder kopierte Monotypien. »Das ist eine schöne Form. Für Leute, die sich Originale nicht leisten können.«

www.klingspormuseum.de

Ein Künstlerbuch im Klingspor-Museum: Die nicht aus dem Roman geschnittenen Wörter erzählen eine neue Geschichte. Foto: Klaus Nissen

Ein Spezialist schnitzt bei Klingspor aus Holz große Lettern für den Druck von Plakaten. Repro: Klaus Nissen

Zeitleiste

1609 Druck des ersten Buchs in Offenbach: ein Wälzer in lateinischer Sprache.

1714 Produktion hebräischer Bücher für die jüdischen Gemeinden in Deutschland. Offenbach wird europäisches Zentrum des hebräischen Buchdrucks. 1799 Alois Senefelder, Erfinder des Steindrucks, baut hölzerne Stangenpressen. Darauf lässt ein Musikverleger Sonaten und Opern von Wolfgang Amadeus Mozart in großer Auflage lithografieren.

1834 Der Gießener Musikstudent Georg Büchner schmuggelt das Manuskript des Hessischen Landboten (»Friede den Hütten, Krieg den Palästen«) zum Druck nach Offenbach.

1871 Bau von Steindruck-Schnellpressen. Die Roland ist 1911 die erste von vielen Bogenrotationsmaschinen für den Offset.

1892 Kauf der Rudhard’schen Gießerei durch den Zigarrenfabrikanten Carl Klingspor. Der entdeckt seine Liebe zur Schriftkunst. Otto Eckmann entwickelt für Klingspor elegante Jugendstil-Schriften.

1901 Entstehung des Schrifttyps Kapital-Unzial-Fraktur-Bastarda bei Klingspor. Heute noch auf dem Reichstag zu lesen: »Dem Deutschen Volke« mit aus eingeschmolzenen Kanonenrohren gegossenen Lettern.

1906 Rudolf Koch kommt zu Klingspor und entwickelt Schriften, etwa die serifenlose Kabel. Koch unterrichtet später an der Kunstgewerbeschule, die heutige Hochschule für Gestaltung.

1951 Klingspors Erben stiften seine Schriften- und Kunstbuchsammlung der Stadt Offenbach – Grundstock für das 1953 gegründete Klingspor Museum.

1956 Die Firma D. Stempel übernimmt die Schriftgießerei Klingspor.

1979 MAN Roland Druckmaschinen entsteht aus der Fusion von Druckmaschinenbauer Faber & Schleicher und M.A.N. Später Manroland, dann Konkurs. Heute Manroland Sheetfed, Hersteller von Bogendruckmaschinen.

1984 Der Offsetdruck verdrängt den Bleisatz, die Firma Stempel geht in Konkurs.

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