Strichätzung

Ich war’s nicht!

Wenn in Köln, wo ich wohne, ein Politiker etwas verbockt, stellt er sich vor die Presse und sagt mit ehrlichem Hundeblick: »Isch wor et nit!« Nie übernimmt in Köln jemand die Verantwortung für seine Fehler. Es gilt das Stellvertreter-Prinzip. Drum hat der 1. FC Köln auch als einziger Fußballverein einen Geißbock als Maskottchen: Wenn die Spieler schlecht spielen, muss man sie nicht auswechseln, schuld war der Sündenbock Hennes IX. Der Stellvertreter prägt unsere ganze Kultur: Jesus ist stellvertretend für uns gestorben. Der Papst ist der Stellvertreter Gottes. Auch er übernimmt keine Verantwortung, im Zweifel sagt er: »Befehl von oben!«

Wer, wie ich (zusammengezählt) einige Jahre in der Hölle von Hotline-Warteschleifen verbracht hat, gerät am Ende nie an einen Verantwortlichen, sondern nur an schlecht bezahlte Stellvertreter, die weder schuld sind noch etwas tun können. Die Minister der Ampel betonen stets: »Ich war’s nicht!« Schuld sind immer die anderen: Habeck, Paus, Lindner, Faeser oder Scholz. Wobei der Scholz wirklich nie schuld ist, der hat eben ein Goldfisch-Gedächtnis, das alle 60 Sekunden gelöscht wird. Drum sagt er so oft mit ehrlichem Hundeblick: »Ich kann mich nicht erinnern.«

Kürzlich sagte der Aiwanger in Bayern, allerdings mit Kampfhundeblick: »Mein Bruder war’s!« Der Bruder nimmt die Schuld auf sich, mia san mia – was für ein Musterbeispiel bayerischer Clan-Kriminalität. Und das auch noch in übler Nazi-Tradition: Schließlich verdankt der halbe Dax seinen Reichtum den Zwangsarisierungen durch die Nazis – das ist Clan-Kriminalität! Die Aiwangers holen sie endlich aus Berlin zurück nach Bayern! Demnächst sagt, wenn’s eng wird, zum Beispiel Björn Höcke: »Mein Bruder!« Nur: Was machen die, die keinen Bruder haben? Sie kreieren sich bitte schnell ein digitales Alter-Ego und sobald es brenzlig wird, heißt es: »Isch wor et nit, es war mein Avatar!«

Robert Griess