Arbeits- und Gesundheitsschutz

Wenn die Kraft für den Luftballon fehlt

Im Betrieb mit dem Corona-Virus angesteckt | Leichte Symptome, aber heftige Langzeitfolgen | Drucker leidet noch Monate unter Long-Covid

Es ist nicht lange her, dass Benjamin Epple, den alle Benny nennen, Deutscher Meister im Schautanz war. Korrekt: Schautanz mit Hebefiguren. Die Gruppe präsentiert die ganze Palette von Tanztechnik mit Wurf- und Schleuderfiguren, Drehungen, Sprüngen, Balanceelementen. Besonders auf schwierige Hebefiguren gibt es viele Punkte.

Der 33-Jährige ist ein gestandenes Mannsbild, wie man in seiner bayerischen Heimat sagen würde: zwei Meter groß, 125 Kilo Sportgewicht. Aber jetzt hat der Drucker Schwierigkeiten, seinen kleinen Sohn zu heben, der gerade einmal zwölf Kilo wiegt.

Probleme beim Atmen

Im November vergangenen Jahres steckte sich Benny mit dem Corona-Virus bei der Arbeit an. Er war immer vorsichtig gewesen und hatte sich an die AHA-Regeln gehalten. Erst erwischte es seinen Kollegen an der Druckmaschine – der fühlte sich nicht gut. Kurz darauf, während einer Nachtschicht, spürte auch Benny ein Kratzen im Hals.

Dann die Nachricht: Der Kollege ist positiv auf Covid-19 getestet worden. Benny wendet sich ans Gesundheitsamt, wird getestet. Auch er ist infiziert. Die Krankheit scheint harmlos zu verlaufen. »Ich hab’ noch Späßle gemacht. Jede Grippe ist bei mir schlimmer.« Jetzt fühlte es sich nur wie eine Erkältung an. Die Symptome waren nach zwei Wochen abgeklungen. Aber Benny war weiterhin schlapp.

Doch er versucht, wieder zu Kräften zu kommen. Im Januar geht er mit seinem Sohn Schlitten fahren. An einem Tag geht‘s einigermaßen, an einem anderen spürt er heftige Probleme beim Atmen, wenn er nur einen kleinen Hügel hochläuft. Ein Lungenfacharzt wartet mit einer guten und einer schlechten Nachricht auf. Die gute: Die Tests haben keine krankhaften Veränderungen der Lunge erbracht. Die schlechte: »Ich kann Ihnen keine Therapie anbieten.«

»Es macht dich im Kopf fertig«

Linderung soll zumindest eine Atemtherapie bringen. Eine der Übungen: Luftballons aufblasen. Schon den zweiten schafft Benny nicht mehr. Ob’s klappt, hängt von der Tagesform ab. Mal gelingt es ihm, bei einem Ausflug ins Allgäu acht Kilometer zu laufen, auch wenn’s sacht aufwärts geht. Mal schafft er es nicht, die Spülmaschine auszuräumen.

»Das macht dich vom Kopf her fertig. Du willst viel machen, aber es geht einfach nicht.« Ende Februar versucht Benny es wieder mit Arbeiten. Das Unternehmen, ein Faltschachtelhersteller, kommt ihm entgegen. Benny erhält einen Einzelarbeitsplatz, an dem er ohne Maske arbeiten kann: »Atmen mit einer FFP-2-Maske war die Hölle! Mit einer der einfachen medizinischen Masken war’s schon nach einer halben Stunde sehr anstrengend.«

Von der alten Form weit entfernt

Langsam geht es aufwärts. Aber eine erprobte Heilbehandlung für Long-Covid gibt es noch nicht. Auch auf die offizielle Anerkennung seiner Erkrankung als Arbeitsunfall wartet Benny noch. Inzwischen macht er Aufmerksamkeitsübungen, versucht, seinen Körper besser wahrzunehmen. Und er macht wieder leichte Sportübungen. Von seiner alten Form ist er allerdings noch weit entfernt.

 

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Arbeitsunfall mit Covid-19

Steckt sich jemand im Betrieb mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 an, ist es – rechtlich betrachtet – ein Arbeitsunfall. Den muss das Unternehmen an die Berufsgenossenschaft melden. Allerdings auch der Kranke selbst kann das tun. Die Meldung sollte unbedingt erfolgen. Denn die Leistungen der Unfallversicherung sind deutlich besser als die der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Berufsgenossenschaft ETEM (Energie, Textil, Elektro, Medienerzeugnisse) ist für die Druckindustrie und Papierverarbeitung zuständig. Im zugeordneten Branchenausschuss ist Heinz-Peter Haase ehrenamtlicher ver.di-Vertreter. Ihm nannte die Berufsgenossenschaft jüngst für die Versicherten des Fachbereichs 8 fürs laufende Jahr 31 meldepflichtige Covid-19-Arbeitsunfälle, die zu einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen führten. Den Großteil dieser Fälle bearbeitet die Berufsgenossenschaft noch. Wie viele inzwischen im Zusammenhang mit Covid-19 als Arbeitsunfall anerkannt sind, vermochte sie auf Anfrage nicht zu sagen.

Nach dem Versand unseres Newsletters am 25. August 2021 schickte uns die Berufsgenossenschaft ETEM die angeforderten Zahlen zu den Covid-19-Arbeitsunfällen. Diese Informationen haben wir eingefügt. Dadurch unterscheidet sich diese Text-Version von der im Newsletter.

Karikatur: Thomas Plaßmann