Äpfel statt Personal
Verpackungshersteller profitieren in Corona-Zeiten | Mehr Schichten und längere Arbeitszeiten für die Beschäftigten | Betriebsräte monieren untätige Unternehmen
Bananen, Äpfel, Birnen – der Korb in der Kantine ist jeden Tag mit frischem Obst gefüllt. Kostenlos zum Mitnehmen. Das Unternehmen DS Smith in Minden bezuschusst außerdem die Mitgliedschaft im Fitnessstudio. An anderen Standorten werden Firmenläufe, Mobilitätstraining und Gesundheits-Checks angeboten. »Wir möchten, dass Sie bei uns motiviert und gesund mitarbeiten können«, heißt es auf der Website des Verpackungsherstellers. Bei DS Smith gebe es »körperlich anspruchsvolle Schichtarbeit«.
Die weitete der Konzern wegen der vielen Aufträge in Minden gerade erst aus: An der Wellpappanlage arbeiteten die Beschäftigten im April 40 statt 35 Stunden in der Woche, in der übrigen Produktion 37,5 statt 35 Stunden.
Hersteller machen den Gewinn
Der Betriebsrat hatte den Antrag der Geschäftsleitung auf bezahlte Mehrarbeit zwei Mal abgelehnt. Darauf rief das Unternehmen die Einigungsstelle an und setzte sich durch. Was zur Folge hatte, dass an der Wellpappanlage acht Stunden gearbeitet werden musste, fünf Tage pro Woche, früh, spät, nachts.
Belegschaften haben die Last
»Die Zusatzarbeit wird die Kollegen und Kolleginnen weiter belasten«, sagt Betriebsratsvorsitzender Werner Kulack und fürchtet noch mehr Langzeitkranke. Weil die Auftragsflut nicht abreißt, werde die Geschäftsleitung vermutlich auch im Mai auf Mehrarbeit drängen.
Verpackungshersteller sind die Gewinner in der Corona-Krise, weil wegen geschlossener Läden mehr bestellt, verpackt und verschickt wird. Die Zusatzschichten haben die Belegschaften zu schultern. Und das bei fehlendem Fachpersonal und unbesetzten Stellen. Noch vor zwei Jahren heuerte DS Smith in Minden lediglich für die Urlaubszeit Aushilfen an. Heute sei bereits mehr als jeder Zehnte in der Produktion in Minden keine Fachkraft.
Die Anforderungen seien indes gestiegen. Wer jedoch die Geschwindigkeit der Maschine drosselt, weil hohes Tempo und gute Qualität nicht mit reduziertem Personal zu stemmen sind, muss den geringeren Ausstoß gegenüber dem Vorgesetzten verantworten. Der Druck wirkt: »Es dauert nicht lange und die Maschine läuft wieder so schnell wie zuvor.«
»Die Leute brennen aus«
Werner Kulack, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Gesamtbetriebsrats, fordert vom Unternehmen einen Ausgleich für die Beschäftigten: Dazu gehören bessere Schichtmodelle, regelmäßig freie Tage und – damit die auch genommen werden können – unbedingt mehr Personal. »Die Leute brennen sonst aus, dagegen hilft kein Obstteller.«
Heben, stemmen, tragen, schieben – körperlich schwere Arbeit ist auch in der Produktion von Smurfit Kappa zurückgegangen. »Vor 25 Jahren sind die Kollegen körperlich kaputt in Rente gegangen«, sagt Uwe Knorr, Gesamtbetriebsratsvorsitzender. Das sei heute nicht mehr so. Stattdessen stiegen Zeitdruck und Stress. »Heute ist der Karton ein Hochleistungsprodukt.« Von den Beschäftigten würden Höchstleistung, null Ausschuss, beste Qualität und Schnelligkeit erwartet.
Beratung bei Stress und Sucht
An einigen Standorten bietet das Unternehmen Wanderungen, Faszientraining, Rückenschule, Salat und gratis Eintritt in Schwimmbäder an. Seit wenigen Monaten gibt es bei Smutfit Kappa bundesweit eine psychosoziale Beratung durch einen externen Dienstleister – bei Schulden, Stress, Eheproblemen, Sucht. Kostenlos, auch für Familienangehörige. »Das wird gut angenommen«, sagt Knorr. Bei Bedarf werde Psychotherapie vermittelt.
Psychische Belastungen untersuchen
Die Wurzel des Übels berühre das allerdings nicht, sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende. Deshalb haben sich die örtlichen Betriebsräte darauf verständigt, eine Betriebsvereinbarung für eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen anzugehen. Das Unternehmen habe es geschafft, innerhalb der vergangenen zehn Jahre schwere und schwerste Arbeitsunfälle um 90 Prozent zurückzufahren. »Das gleiche Engagement wünsche ich mir auch bei psychischen Belastungen.«
Gefährdungen ermitteln und abstellen
Die Gefährdungsbeurteilung ist im Arbeitsschutzgesetz Paragraf 5 festgeschrieben. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, mit Maßnahmen gegen Gefährdungen durch Arbeit vorzugehen. Anders als bei den klassischen Gefährdungen wie Stolperstellen, Lärm, Strahlung, Explosionsgefahr geht es bei der Ermittlung von psychischen Belastungen um Themen wie Arbeitszeit, Arbeitsorganisation, Arbeitsabläufe und Personalbemessung. Bei einer guten Gefährdungsbeurteilung landen Betriebsräte genau an diesem Punkt: Wie viel Personal ist für welche Arbeit angemessen? Betriebsräte haben bei der Gefährdungsbeurteilung umfassende Mitbestimmungsrechte. Was ihnen das Bundesarbeitsgericht bestätigt hat.
Wer eine gesunde Belegschaft will, belässt es nicht bei Yoga
Mobile Massage, Pilates und Obstteller – das hält die Belegschaft bei Laune. Allerdings gehe das am Kern des Problems vorbei, sagt Elke Ahlers vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI).
DRUCK+PAPIER: Corona ist das beherrschende Thema in den Betrieben. Sind Stress, Zeitdruck oder eine zu große
Arbeitsmenge kein Problem mehr?
Elke Ahlers: Wir stellen in unseren aktuellen Studien zu Homeoffice fest, dass sich die Mehrheit der Befragten trotz grundsätzlich recht hoher Zufriedenheit mit Homeoffice von der Arbeit aufgefressen fühlt, gerade dann, wenn es keine Erfahrungen mit Homeoffice gab und der Betrieb dazu wenig reguliert hat. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen und viele sind für Vorgesetzte, Kolleg*innen und Kundschaft länger erreichbar als vor der Krise. Der psychische Druck im Homeoffice kann dann sehr groß sein.
Und außerhalb vom Homeoffice?
Die Belastungen sind auch für Beschäftigte, die im Betrieb arbeiten, hoch. Aber diese Themen werden im Zuge der Corona-Pandemie in den Hintergrund gedrängt.
Gegen Stress empfehlen manche Unternehmen Autogenes Training und bezuschussen das Fitnessstudio. Was halten Sie davon?
Diese Angebote zielen darauf ab, das Verhalten der Beschäftigten positiv zu beeinflussen: Bewegt euch mehr! Esst gesünder! Macht mehr Entspannung, damit ihr nicht so gestresst seid! Solche Angebote sind grundsätzlich gut, sie gehören zur Gesundheitsprävention. Allerdings machen sie nur die Hälfte aus.
Elke Ahlers leitet das Referat »Qualität der Arbeit« am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Foto: privat
Die andere Hälfte zielt auf die Änderung der Verhältnisse ab?
Ja. Erhält jemand genügend Unterstützung bei der Arbeit? Ist die Arbeitsmenge auf Dauer zu schaffen, hetzen die Menschen nur noch von Termin zu Termin, ersticken sie in Monotonie oder gibt die Maschine den Takt vor? Ist ein Betrieb daran interessiert, seine Belegschaft gesund und leistungsfähig zu halten, wird er es nicht bei Obst und Yoga belassen.
Sondern herausfinden, welche Arbeitsbedingungen krankmachen und die Ursachen abstellen. Dafür gibt es die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, seit 2013 im Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben, aber wenig umgesetzt.
Ein wachsender Teil von Unternehmen macht die Gefährdungsbeurteilung, allerdings halbherzig. Handelt es sich um einen oberflächlichen Fragebogen, lassen sich schlechte Arbeitsbedingungen damit nur schwer ermitteln. Sinnvoll wäre auch, wenn Beschäftigte frei von Angst erzählen könnten, wo sie die Belastungen sehen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Unternehmen viel Mühe und Zeit in die Ermittlung von Belastungen investieren und die Ergebnisse in der Schublade versenken, sobald es an die Umsetzung geht. Es braucht einen langen Atem der Betriebsräte und der Belegschaft, immer wieder eine wirkungsvolle Gefährdungsbeurteilung einzufordern.