Arbeits- und Gesundheitsschutz

Es weht ein laues Lüftchen

Smurfit Kappa stellt Kühlgeräte in den Werken auf | Gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen während der Sommerhitze | »Besser als nichts: Wir sind froh um jedes Grad weniger«

Extreme Hitze, große Dürre – das war der Sommer 2019. Und der davor. In diesem Jahr ist Deutschland von Hitzewellen und tropischen Nächten verschont geblieben. Bisher. 

Doch schon Freibadwetter reicht, dass es in den Werken der Papierverarbeitung unerträglich heiß wird. Auf der Brücke einer Wellpappanlage wurden in einem Sommermonat 40 Grad gemessen. Wer dort umrüstet, dem läuft der Schweiß in Strömen. Schwere körperliche Arbeit bei hohen Temperaturen kann zu Kopfschmerzen führen, Erschöpfung und Müdigkeit. Die Konzentration lässt nach und das Risiko für Unfälle steigt.  

In den Werken der Papierverarbeitung sind die Arbeitsbedingungen in den Hitzesommern schon seit Jahren ein Thema. Doch vieles, was ausprobiert wurde, brachte kaum Abkühlung. Bei Smurfit Kappa in Neuburg an der Donau wurde auf dem Flachdach Wasser durch dicke Schläuche gepumpt. Doch die Hitze drang dennoch ins Gebäude. »Es hatte keine positive Wirkung«, sagt Betriebsratsvorsitzende Helga Weng.

Wuchtig und schwer sind die Verdunstungskühler. Foto: Smurfit Kappa

Wuchtig und schwer sind die Verdunstungskühler.
Foto: Smurfit Kappa

Statt Stalllüfter

Sobald es heiß wird, drehen sich in den Werken Ventilatoren – handlich kleine, provisorisch an der Anlage befestigt, oder mächtige Stalllüfter, wie sie in Kuhställen verwendet werden, damit die Milchleistung der Tiere nicht sinkt. Doch heiß ist es noch immer.

Im vergangenen Jahr schaffte Smurfit Kappa ein paar Dutzend mobiler Kühlgeräte an. Die sind mehr als zwei Meter hoch, fast zwei Meter breit, wiegen 120 Kilo und funktionieren so: Der Luftstrom wird über Ventilatoren durch mit Wasser benetzte Waben gesaugt. Dabei verdunstet der Wasserfilm auf der Oberfläche und es entsteht Kühle. Laut Hersteller sinkt die Temperatur um sieben bis zehn Grad.

»Etwas angenehmer«

Solche Verdunstungskühler wurden bereits in einem Smurfit Kappa-Werk in den Niederlanden eingesetzt und dann im Wellpappwerk in Schneverdingen getestet. »Die Rückmeldung der Mitarbeiter war positiv«, sagt Stefan Buchner, beim Verpackungskonzern zuständig für Gesundheit, Sicherheit und Umwelt in Deutschland. Deshalb seien weitere Geräte gekauft worden. Inzwischen sind es 138 für 27 Werke. »Uns geht es darum, die Arbeitssituation für die Beschäftigten zu verbessern«, ergänzt Personalleiter Stephan Kunze. In weiteren Schritten wolle das Unternehmen jedes Werk mit acht bis zehn Kühlgeräten ausstatten, je nach Größe, Deckenhöhe und Dämmung.

In Neuburg wurde das erste Gerät seitlich der Rotationsstanze aufgestellt. Etwas angenehmer sei es gewesen, erzählen Beschäftigte dem Betriebsrat. Auch in Lübbecke seien die meisten Kolleg*innen zufrieden, sagt Betriebsratsvorsitzender Thomas Kalz. Der kühle Luftstrom bringe Erleichterung. Es gibt aber auch kritische Stimmen: Die einen fürchten, sich einen Zug zu holen. Andere merken nichts von der gekühlten Luft. »Ich stehe zu weit weg von dem Gerät«, sagt ein Maschinenführer aus dem Werk in Brühl. Die Hoffnung, mit den Geräten die gesamte Halle herunterzukühlen, habe sich nicht erfüllt. Das bestätigt das Unternehmen.

Delitzsch bleibt eine Ausnahme

Eine halbe Million Euro haben die 138 Geräte gekostet. Damit sind sie deutlich günstiger, als in allen Werken Lüftungsanlagen wie in Delitzsch zu installieren. Dort sind vor vier Jahren sogenannte Cold-Stream-Geräte angebracht worden. Durch dicke Schläuche, die unter der Decke hängen, wird heiße Luft angesaugt und kühle in die Halle geführt. Das bringe Erleichterung, sagte der Betriebsratsvorsitzende Gerald Furchner schon damals.

Doch die Anlage ist fest im Dach verbaut und die Kühlung hängt direkt über den Maschinen – sobald die Maschinen anders angeordnet werden, verliert die Lüftung ihre Wirkung. Smurfit Kappa habe deshalb entschieden, lieber sofort alle Werke mit Kühlaggregaten auszustatten, als über einen längeren Zeitraum nach und nach in jedem Werk eine Lüftungsanlage zu installieren. Die Klimatisierung von ganzen Werken sei angesichts des hohen CO₂-Ausstoßes kein Thema.

Einen Rechtsanspruch auf angenehm kühle oder klimatisierte Räume haben Beschäftigte nicht. Und hitzefrei gibt es auch nicht. Nach dem Arbeitsschutzgesetz muss der Unternehmer die Arbeit allerdings so gestalten, dass eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden wird. Gefahren seien an der Quelle zu bekämpfen, technische und organisatorische Maßnahmen seien individuellen vorzuziehen. Also: nicht nur Getränke aufstellen und kurze Hosen erlauben, sondern tatsächlich die Temperatur reduzieren.

Smurfit Kappa habe eine ganze Liste mit Maßnahmen an die Werke verschickt, versichert Kunze. Was umgesetzt werde, entschieden die Werksleiter.

In Lübbecke werden zurzeit Angebote für Fliegengitter eingeholt, um die Rolltore in den Morgenstunden zum Lüften offen lassen zu können und die Hygienevorschriften dennoch einzuhalten. Woanders werden häufigere und längere Pausen geduldet, luftige Piratenhosen getragen, Softgetränke bezuschusst und Wasser kostenlos abgegeben. »Es ist aber klar, dass uns das Thema weiter beschäftigen wird«, sagt Orhan Simsek aus Düsseldorf.

 

Zum Nachlesen

Arbeitsstättenregel A3.5 Raumtemperatur bit.ly/ASR-A3-5

 

Tipp

Wenn der Unternehmer nichts gegen die Hitze am Arbeitsplatz unternimmt, haben Beschäftigte das Recht, die Berufsgenossenschaft und die Gewerbeaufsicht zu benachrichtigen. Der Betriebsrat kann eine Einigungsstelle einsetzen lassen, falls er sich mit dem Unternehmen nicht über geeignete Maßnahmen verständigen kann.

 

Was gegen die Hitze am Arbeitsplatz hilft

Die Arbeitsstättenregeln nennen Maßnahmen, um gegen Hitze am Arbeitsplatz vorzugehen. Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht.

• Sonnenschutz (außen angebrachte Jalousien)
• Nachtauskühlung
• Wärmequellen reduzieren (elektrische Geräte nur bei Bedarf betreiben)
• Arbeitszeit verlagern, etwa Gleitzeit nutzen, Schichten früher beginnen
• Kürzere Schichtzyklen, um z.B. nicht mehrere Tage hintereinander die belastende Spätschicht arbeiten zu müssen
• Lockere Bekleidung
• Getränke bereitstellen
• Mehr und längere Pausen
• Jobrotation: vom heißen Arbeitsplatz in kühleren Raum wechseln
• Überstunden vermeiden

Kostenloses Wasser 

Wer in der Hitze arbeitet, muss viel trinken. Nicht nur die empfohlenen rund zwei Liter pro Tag. Bei Hitze braucht der Körper mehr. Normale Büroarbeit erfordert etwa einen Liter Wasser oder ungesüßte Tees zusätzlich. Bei körperlicher Tätigkeit erhöht sich die Menge je nach Schwere der Arbeit. Jeder Liter Wasser, der über die zwei Liter empfohlene Tagesmenge hinausgeht, muss vom Unternehmen kostenlos gestellt werden.

Was der Unternehmer tun muss

Die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR A3.5) regeln die Raumtemperatur für Büros, Werkstätten oder Produktion, für Kantinen sowie Pausen- und Sanitärräume. Dort sind drei Temperaturschwellen genannt. 

Fall 1: Hat die Außenluft eine Temperatur von mehr als 26 Grad, sollte der Unternehmer Maßnahmen gegen die Hitze ergreifen (Lüftung in der Nacht oder morgens). 

Fall 2: Übersteigt die Lufttemperatur 30 Grad, sind wirksame Maßnahmen gemäß einer Gefährdungsbeurteilung notwendig. 

Fall 3: Ist es im Raum heißer als 35 Grad, so ist der Raum zum Arbeiten nicht geeignet, ohne technische und organisatorische Maßnahmen wie bei Hitzearbeit (zum Beispiel Luftduschen, Wasserschleier, Entwärmungsphasen) zu treffen oder geeignete persönliche Schutzausrüstung wie Hitzeschutzkleidung zu tragen.