Homeoffice

Die Mischung macht’s: Mal im Büro, mal zu Hause

Mehr Unternehmen akzeptieren Homeoffice | Damit lassen sich Büromieten sparen | Betriebsräte: Arbeitsplätze in der Firma müssen erhalten bleiben

Maria Gustovic ist keine Ausnahme. 60 Prozent der Homeoffice-Nutzer*innen hatten den Eindruck, dass die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmen. Das ergab eine Online-Befragung von über 6.000 Erwerbstätigen im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung im Juni. Genauso viele glauben, dass sie die Arbeit zu Hause effektiver organisieren können als im Betrieb. Auch das Konzentrieren klappt im Homeoffice besser. Was auf ein Manko im Büro hinweist: Häufige Unterbrechungen drosseln die Produktivität. 

Mit dem Shutdown im März startete bundesweit ein Großexperiment: Fast ohne Vorbereitung wurden von heute auf morgen Computer in den Firmen ausgestöpselt und zu Hause auf Küchentischen platziert. Gut ein Drittel der Erwerbstätigen, etwa 14 Millionen Menschen, arbeitete ganz oder teilweise im Homeoffice. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ermittelt. Dennoch sind sie eine Minderheit. Beispiel Druckindustrie: Wer Anlagen steuert und Maschinen wartet, Rollen auspackt und am Leitstand die Produktion steuert, kann sich nicht ins Homeoffice verziehen.

Das DIW hatte lange vor der Corona-Pandemie geschätzt, dass vier von zehn Beschäftigten von zu Hause arbeiten könnten. Was Unternehmen bislang allerdings aus Kontrollbedürfnis und Misstrauen verhinderten. 

Auftakt zum Desksharing

Das ist nun anders. Auf einmal zeigen sich die Unternehmen aufgeschlossen. Der US-amerikanische Kurznachrichtendienst Twitter erlaubte seinen knapp 5.000 Angestellten bereits im Mai, auch nach der Corona-Krise von wo auch immer arbeiten zu dürfen. Auch Siemensianer*innen brauchen zwei bis drei Tage pro Woche nicht im Büro präsent zu sein. 

Wenn es nicht Umsätze und Gewinne verhagelt, ist den Unternehmen auch massenhaftes Homeoffice recht. Zudem spart es Reisekosten, Parkplätze, Büromieten. Besonders in Großstädten, wo Büroflächen teuer sind, denken Unternehmen über Desksharing nach: Statt für jeden und jede einen festen Arbeitsplatz bereitzuhalten, tut es ein Container mit persönlichen Unterlagen, den man an einen freien Schreibtisch zieht. 

Das ist nur einer von mehreren Nachteilen. Die Schwächen des Homeoffice sollten nicht unterschätzt werden, warnt das Fraunhofer-Institut. Wer zu Hause arbeitet, dem gelinge es schlechter, zwischen Arbeit und Privatem zu trennen. Die AOK hatte schon vor der Corona-Pandemie festgestellt, dass Homeoffice-Beschäftigte nach Feierabend schlechter abschalten können als Büroangestellte. Ein Drittel arbeitet häufig abends und am Wochenende. Von einem Fünftel wird erwartet, auch außerhalb der Arbeitszeit erreichbar zu sein. 

Damit zu Hause nicht zum Problem wird, was im Betrieb gut geregelt ist, arbeiten Betriebsräte an Betriebsvereinbarungen zu mobiler Arbeit und Homeoffice. Beim Mannheimer Morgen will Betriebsratsvorsitzender Oliver Ludwig bis Mitte oder Ende nächsten Jahres das Homeoffice geregelt haben. Besonders wichtig ist ihm, dass die Kosten, etwa für Strom und Telefon, nicht auf die Beschäftigten abgewälzt werden. Arbeitszeiten müssen erfasst werden und die Büroarbeitsplätze erhalten bleiben. 

Darf ich zurück in die Firma?

Bis dahin behelfen sich Unternehmen und Betriebsrat mit einer Konzern-Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten aus dem vergangenen Jahr. Damit wurde es möglich, stunden- oder tageweise von einem beliebigen Ort aus zu arbeiten. »Wir wollten für die Kolleg*innen mehr Flexibilität erreichen«, erklärt Ludwig. »Wenn etwa die Kinderbetreuung plötzlich ausfällt oder durch Brückensanierungen stundenlange Anfahrtswege anfallen.« 

Der Betriebsrat der VRM in Mainz hat der Geschäftsleitung einen Entwurf zu mobilem Arbeiten und Homeoffice vorgelegt. Auch hier: Beides muss freiwillig bleiben, die Zahl der Arbeitsplätze im Betrieb darf nicht reduziert werden, die Arbeitszeit wird dokumentiert. Außerdem: Maximal die Hälfte der Arbeitszeit darf im Homeoffice gearbeitet werden. Das Unternehmen ist dann verpflichtet, den heimischen Arbeitsplatz auszustatten wie im Büro. Das ist dann Telearbeit. 

Betriebsratsvorsitzender Alfred Roth hat allerdings festgestellt, dass das Homeoffice an Attraktivität verloren hat. »Manche haben schon gefragt, ob sie nicht doch wieder in die Firma kommen können.«

Vereinzelung befürchtet

Bei Giesecke+Devrient Currency Technology hat das Homeoffice durch die Pandemie einen Schub bekommen. Während des Shutdowns ab März arbeiteten fast alle von zu Hause aus. »Das funktionierte gut, weil wir in den Teams schon lange zusammenarbeiten und uns kennen«, sagt das Betriebsratsmitglied Klaus Thierauf. Über einen längeren Zeitraum sieht er Homeoffice jedoch skeptisch. »Das führt zu Vereinzelung.« Auch für die Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit werde es schwieriger, die verteilten Kolleg*innen zu gemeinsamen Aktionen zu motivieren. 

Noch gibt es lediglich eine Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten, die vor Corona unterzeichnet wurde. Nach Einschätzung von Thierauf würde es Giesecke+Devrient dabei gern belassen. Um sich die Einrichtung von festen, ergonomischen Arbeitsplätzen bei den Beschäftigten zu Hause nach der Arbeitsstättenverordnung zu sparen, nennt das Unternehmen die Arbeit im Homeoffice lieber mobiles Arbeiten und nicht Telearbeit. »Der Betriebsrat hat aber kein Interesse, das mobile Arbeiten stark auszuweiten.«

Giesecke+Devrient hat wie viele andere Firmen noch einen anderen Vorteil von Homeoffice entdeckt: Damit lassen sich Büroflächen und viel Geld sparen. Zurzeit wird die Belegschaft nach deren Interesse an Desksharing befragt. Das geht aber nicht ohne Betriebsrat. Thierauf: »Ob die Kolleg*innen noch einen festen Arbeitsplatz haben oder nicht, das ist mitbestimmungspflichtig.«

Was sagt die Wissenschaft? Die Mischung macht’s. Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen schlägt vor, zwischen Arbeitsstätte und zu Hause zu wechseln. So profitieren die Beschäftigten von den Vorteilen, halten die Nachteile aber klein: Der Kontakt zu Kolleg*innen bleibt erhalten. Es kommt nicht zu dem Gefühl, zu vereinsamen oder vom Büroalltag abgehängt zu werden. 

Lockdown oder Shutdown?

 

Die beiden Begriffe aus dem Englischen werden in der Corona-Krise bedeutungsgleich benutzt, bezeichnen jedoch Unterschiedliches. Von Lockdown ist im Englischen bei einer Isolation die Rede oder wenn Gebiete abgesperrt werden. Shutdown bedeutet, eine Fabrik oder ein Unternehmen zu schließen. Beide Begriffe treffen den Sachverhalt nicht richtig. Aber ein passendes Wort im Deutschen fehlt uns noch.

Was der Betriebsrat tun kann

 

Der Betriebsrat sollte in einer Betriebsvereinbarung das mobile Arbeiten/Homeoffice regeln. Beschäftigte beurteilen Homeoffice positiver, wenn klare Regeln gelten. Dazu gehört: Homeoffice sollte freiwillig sein. Es ist notwendig, die Erfassung der Arbeitszeit zu regeln und die Arbeitszeit im Betrieb und zu Hause festzulegen. Ebenso die technische Ausstattung. Auch der Datenschutz ist wichtig. Das Unternehmen sollte einen sicheren Zugang zum Firmennetzwerk schaffen. Zudem muss geklärt werden, dass die Arbeit im Homeoffice nicht überwacht wird und Verhalten und Leistung der Beschäftigten nicht kontrolliert werden.

Das Unternehmen muss sich an den Kosten, insbesondere an der Miete fürs häusliche Arbeitszimmer, beteiligen. »Darauf haben Beschäftigte nach Paragraf 670 Bürgerliches Gesetzbuch einen Anspruch«, sagt Professor Wolfgang Däubler, Arbeitsrechtler an der Universität Bremen. Nicht anders als der Handelsvertreter, der sein Privatauto für dienstliche Fahrten nutze.

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

 

Der Betriebsrat sollte seine Mitbestimmungsrechte aus dem Betriebsverfassungsgesetz nutzen: nach Paragraf 87 Absatz 1
• Nr. 1 Fragen der Ordnung des Betriebs
• Nr. 2 Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf einzelne Wochentage
• Nr. 6 Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten und die Leistung der Beschäftigten zu überwachen
• Nr. 7 Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz

Was denn nun: Homeoffice oder mobiles Arbeiten?

 

Alle reden von Homeoffice, aber im Gesetz kommt der Begriff nicht vor. Erstmals spricht das Bundesarbeitsministerium in der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel (Fassung vom 20. August 2020) von Homeoffice und bezeichnet es als eine Form mobilen Arbeitens.

Ist im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung geregelt, dass jemand zu Hause arbeitet, handelt es sich um Telearbeit und die Arbeitsstättenverordnung greift. Damit ist das Unternehmen für die komplette Ausstattung des Arbeitsplatzes verantwortlich: ergonomisches Mobiliar, Rechner, Drucker, Scanner, Zugang zum Firmenserver. Pendelt jemand zwischen Betrieb und seinem Arbeitsplatz zu Hause, nennt sich das alternierende Telearbeit.

Von Telearbeit ist allerdings nirgends die Rede, sondern stets von mobiler Arbeit. Die besagt, dass jemand mit Tablet, Laptop oder Smartphone im Zug, am Flughafen, im Hotel oder Auto, zu Hause, bei Kund*innen oder im Café seine Arbeit erledigt. Der Unterschied zur Telearbeit: Hier greift nicht die Arbeitsstättenverordnung. Der höhenverstellbare Schreibtisch für zu Hause muss selbst gekauft werden. Bei mobiler Arbeit muss allerdings das Arbeitsschutzgesetz berücksichtigt werden. Das fordert eine Gefährdungsbeurteilung: Es muss überprüft werden, ob Beschäftigte körperlichen und/oder psychischen Gefährdungen, etwa durch einen ungeeigneten Arbeitsplatz, überlange Arbeitszeiten oder Erreichbarkeit am Wochenende, ausgesetzt sind.

Weder auf der Couch noch im Sessel

 

Für das Arbeiten zu Hause eignet sich am besten ein separates Arbeitszimmer oder ein Raum in ruhiger Umgebung, der geschlossen werden kann. Auch wenn die Couch oder der Sessel bequem sind – mehr als E-Mails zu checken sollte man dort nicht. Besser sind Tisch und Stuhl, angepasst an die Körpergröße. Bildschirm und Schreibtisch seitlich zum Fenster zu positionieren, um Blendungen und Spiegelungen zu vermeiden, empfiehlt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Den Bildschirm sollte man so einrichten, dass sich die Oberkante auf Höhe der Augen befindet. Wer mit dem Notebook arbeitet, sollte sich eine separate Maus, Tastatur und einen extra Bildschirm zulegen. Für gute Beleuchtung sorgen.

Wenn die Stechuhr fehlt

 

Zu Hause fällt es womöglich schwerer, regelmäßig Pausen einzuhalten und nicht übermäßig lang zu arbeiten. Klar ist: Das Arbeitszeitgesetz gilt für Beschäftigte auch beim Arbeiten in den eigenen vier Wänden. Damit ist eine Ruhezeit von mindestens elf zusammenhängenden Stunden zwischen zwei Arbeitstagen einzuhalten. Täglich sollte nicht länger als acht Stunden gearbeitet werden. Möglich sind zehn Stunden, wenn innerhalb von 24 Wochen die Überstunden ausgeglichen werden. Gesetzlich vorgeschrieben ist eine Mittagspause von 30 Minuten (bei einer Arbeitszeit von sechs bis zu neun Stunden). Kurzpausen sind ebenso zu empfehlen, wie nach 22 Uhr und am Wochenende nicht zu arbeiten. Außerhalb der Arbeitszeit muss jemand nicht erreichbar sein.

Gesetzentwurf zum Homeoffice

 

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte im Oktober einen Entwurf für das »Mobile Arbeit Gesetz« vorgelegt. Danach sollte es möglich sein, mindestens 24 Tage pro Jahr außerhalb des Betriebs arbeiten zu können. Das Unternehmen sollte den Wunsch der Beschäftigten nur aus organisatorischen oder betrieblichen Gründen ablehnen dürfen. Umgekehrt darf jemand allerdings nicht ins Homeoffice gezwungen werden. Mehr mobiles Arbeiten könnte per Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt werden.

Nach massivem Widerstand der Union rückte Bundesarbeitsminister Heil im November von seiner Idee ab. In seinem neuen Entwurf für das Gesetz zu mobiler Arbeit ist von den 24 Tagen Homeoffice nicht mehr die Rede. Auch der Rechtsanspruch wurde fallengelassen.

Ende Oktober hatte die Bundestagsfraktion der CDU/CSU einen eigenen Entwurf vorgelegt. Der sieht allerdings keinen Rechtsanspruch auf mobiles Arbeiten vor. Beschäftigte sollen von den Arbeitszeitregeln abweichen dürfen, also an einem Tag länger als acht Stunden arbeiten, am anderen kürzer. Die gesetzliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden bliebe dabei unangetastet. Damit holt die Union einen alten Vorschlag aus der Schublade. Unternehmerverbände fordern seit Langem, die tägliche Arbeitszeit von acht (bei Ausgleich von zehn) Stunden zu kippen. Wirtschaftsverbände und die Union hatten sich gegen das Gesetz ausgesprochen. Eine Einheitsregelung für alle sei kontraproduktiv. Das Gesetz bringe eine »Belastungs- und Bevormundungsorgie«.

Aktualisiert am 3. Dezember 2020