Corona-Krise

»Wir hoffen, dass es bald wieder richtig losgeht«

Zeitungsbetriebe stark von Umsatzeinbrüchen betroffen | Kurzarbeit in vielen Druckereien | Tarifgebundene Unternehmen zahlen in der Regel Aufstockungen

Die Kantine ist aus Sicherheitsgründen geschlossen. Damit sich niemand ansteckt, wenn die Menschen dort Schlange stehen. Wer Hunger hat, erhält eine kostenlose Brotzeit. Und wer mit einem Kollegen Papier durch die Maschine zieht und damit den Sicherheitsabstand von zwei Metern nicht einhalten kann, setzt die Mund-Nase-Maske auf. Das ist Vorschrift bei Huhtamaki in Ronsberg. Masken sind reichlich da. Jeden Tag gibt es eine neue für die über 1.000 Beschäftigten.

Wo man auch nachfragt: In den Produktionsbetrieben gelten seit Wochen besondere Hygienevorschriften, um die Ansteckungsgefahr mit dem Conorna-Virus gering zu halten. Wechselschichten sind ausgesetzt. Gearbeitet wird in festen Teams und immer gleichen Schichten. Damit nur ein Team in Quarantäne geschickt werden muss, falls sich jemand infiziert.

In einem Betrieb wurden Trennfolien an den Anlegern angebracht. Woanders werden Kontaktlisten geführt und versetzte Pausen eingeführt. Erlaubt ist, ein paar Minuten früher auszustechen, um Gedränge an der Stempeluhr zu vermeiden. Wo Kantinen geöffnet sind, wird bargeldlos bezahlt und allein am Tisch gegessen. Angestellte arbeiten abwechselnd im Büro oder zu Hause; auch hier gibt es kleine Teams. Krisenstäbe treffen sich täglich, um die Lage zu besprechen. Es laufe ganz gut, sagen die Betriebsräte übereinstimmend.

Die Corona-Krise trifft die Betriebe der Papierverarbeitung und Druckindustrie unterschiedlich. Wo Verpackungen für Lebensmittel und Hygieneartikel hergestellt werden, reißen die Aufträge nicht ab. Solche Produktionsbetriebe sind zu systemrelevanten erklärt worden. Die Folge: Behörden erließen Ausnahmebewilligungen bei der Arbeitszeit. Die staatliche Arbeitsschutzbehörde in Schleswig-Holstein erlaubt Verpackungsherstellern, an Sonn- und Feiertagen täglich bis zu 14 und wöchentlich bis zu 60 Stunden arbeiten zu lassen.

Nicht ohne den Betriebsrat

»Zwölf Stunden Fabrikarbeit? Wer hält das denn aus«, fragt Andreas Braun, Betriebsratsvorsitzender bei Smurfit Kappa in Lübeck. Es gebe viel zu tun, aber länger als von Sonntag 22 Uhr bis Samstag 14 Uhr wie sonst auch in auftragsstarken Zeiten werde nicht gearbeitet. Und wenn, dann gelte die doppelte Freiwilligkeit: nur mit Zustimmung des Betriebsrats und jedes einzelnen Beschäftigten. Auch Huhtamaki in Ronsberg plane keine Ausweitung der Arbeitszeit, bestätigt Betriebsratsvorsitzender Werner Bareth. »Außerdem sind wir in der Mitbestimmung.« Sprich: Ohne Zustimmung des Betriebsrats darf kein Unternehmer die Arbeitszeit ausweiten.

Beilagen sind storniert, Umfänge geschrumpft

Die meisten Betriebe der Druckindustrie haben mit anderen Problemen als langen Arbeitszeiten zu kämpfen. Heftig trifft es die Zeitungsdruckereien: Anzeigen – weggebrochen, Beilagen – storniert, Umfänge – geschrumpft. Wo Anzeigenblätter fehlen, haben die Tagschichten nichts mehr zu tun. Geschäftsstellen sind geschlossen. Telefonische Anzeigenannahmen, Telefonzentralen, Druckvorstufen, Korrektorate, Dispos arbeiten in manchen Betrieben nur halb so viel wie bisher.

In vielen Zeitungsbetrieben wird seit ein paar Wochen kurzgearbeitet. Betriebsräte verhandeln mit Geschäftsleitungen darum, dass der Arbeitsausfall klein bleibt und die Kurzarbeit unter den Beschäftigten so verteilt wird, dass nicht einige ganz hohe Einbußen haben und andere kaum welche. So wurden im Druckzentrum Erfurt die Schichtteams von Drei- auf Zweischicht reduziert, um die Arbeit besser zu verteilen.

Die Betriebsräte wissen, wer im Betrieb an anderer Stelle einsetzbar ist, wenn der eigenen Abteilung die Arbeit ausgeht. »Wer sich im Betrieb auskennt, sind wir«, sagt Elke Lang, Betriebsratsvorsitzende bei der Heilbronner Stimme.

Vor allem kämpfen Betriebsräte um eine möglichst hohe Aufstockung aufs Kurzarbeitergeld. Das gelingt nicht überall. Bei STI in Lauterbach, Alsfeld und Grebenhain zahlt die Firmeninhaberin keine Aufstockung. Hart trifft es auch die Beschäftigten der Tapetenindustrie: Kurzarbeit null und null Euro Aufstockung (Was Rubel und Corona mit Tapeten zu tun haben). Auch im tarifgebundenen Main-Echo gibt es nichts. Ein Schichtarbeiter im Versand verliere im Monat 500 Euro, wenn nur noch die Hälfte gearbeitet wird, sagt Dietmar Schreck, Betriebsratsvorsitzender. Zurzeit sind alle in Kurzarbeit – selbst die Redaktion. Die Zeitungen sind dünn geworden und niemand weiß, wie es weitergeht.

Aufstockung tariflich geregelt

Die Druckerei der Süddeutschen Zeitung ist eine der wenigen Zeitungsdruckereien ohne Kurzarbeit, obwohl auch hier fast keine Beilagen mehr gedruckt werden. »Wir rechnen allerdings täglich mit der Nachricht, dass es zu Kurzarbeit kommt«, sagt Alex Röck, Betriebsratsvorsitzender.

In den meisten tarifgebundenen Betrieben wird eine Aufstockung aufs Kurzarbeitergeld gezahlt, wenn auch oft nicht üppig. Betriebsratsvorsitzende Elke Lang musste nicht viel verhandeln, sondern nur auf den Passus zur Kurzarbeit im Manteltarifvertrag für die Angestellten der Zeitungsverlage in Baden-Württemberg zeigen. Dort steht, dass der Unternehmer bei einem Arbeitsausfall auf unter 30 Wochenstunden das Gehalt auf 80 Prozent aufstocken muss. Das habe der Betriebsrat nun für alle Beschäftigten bei der Heilbronner Stimme vereinbart. »Allein daran erkennt man den Wert von Tarifverträgen – wie sie sich in der Not bewähren.« Urlaub, Urlaubsgeld, Feiertagsbezahlung, Betriebsrente und dergleichen werde nicht gekürzt. Zurzeit seien besonders Servicecenter, Anzeigenabteilung und Medienproduktion vom Arbeitsausfall betroffen, noch nicht die Druckerei und Redaktion.

»So was habe ich noch nicht mitgemacht«

Bei Smurfit Kappa ist ein eigener Tarifvertrag zur Kurzarbeit in der Corona-Krise abgeschlossen worden. Darin ist festgelegt, dass in den ersten drei Monaten der Kurzarbeit auf 90 Prozent aufgestockt wird, bis zum sechsten Monat auf 85 Prozent und ab dem siebten Monat auf 80 Prozent. Ein Beispiel: Ein Beschäftigter, verheiratet, mit Kind, erhält in den ersten drei Monaten bei 50 Prozent Kurzarbeit 94 Prozent seines Nettolohns. Kurz: Statt 1.940 Euro bekommt er 1.823 Euro. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende August für die Beschäftigten in den 28 Werken ausgeschlossen.

»Ich habe schon viel mitgemacht, aber so eine Krise noch nicht«, sagt ein Betriebsrat, der kurz vor der Rente steht. Er befürchtet, dass die Corona-Krise auch dann noch wirkt, wenn das Virus nicht mehr bedrohlich ist. Weil die Einbrüche beim Umsatz nicht mehr aufzuholen seien. Nicht überall ist die Situation dramatisch. Hoffnung machen die Lockerungen Ende April. »Wenn die Läden öffnen, folgen bald Beilagen und Anzeigen«, sagt ein Betriebsrat zuversichtlich. »Wir hoffen, dass es bald wieder richtig losgeht.«

Karikatur: Thomas Plaßmann