Eingreifen, Haltung zeigen, Mund aufmachen
Rechtspopulismus macht sich in Betrieben breit | Stimmung in den Belegschaften verändert sich | Was gegen Diskriminierung und Hetze getan werden kann | Raushalten ist keine Lösung
Sie heißen Murad, José und Kemal (Namen geändert), sind Einwanderer und suchen Arbeit. Ihrer Einstellung in einem Faltschachtelwerk steht nichts im Wege – außer dem Betriebsrat. Die Mehrheit des Gremiums verweigert ihre Zustimmung. Solche Leute wolle man hier nicht haben, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Kurze Zeit später wird unter der Tür des Betriebsratsbüros ein Blatt Papier geschoben. Darauf steht, dass es von diesem Pack genug im Betrieb gäbe. Der Text ist getippt, der Name des Verfassers steht nicht darunter.
Vor einigen Jahren malten Unbekannte in diesem Werk Hakenkreuze auf die Schuhe eines Migranten. Und wie zufällig vergessen lag die Zeitung der NPD im Pausenraum. Abwertende Kommentare gegenüber Migranten fallen in dem Betrieb häufig. Lauter einzelne Vorfälle und doch zeigen sie, dass hier gegen Einwanderer Stimmung gemacht wird. Viele Beschäftigte schauen zu oder hören weg.
Die aufgeheizte Stimmung, die von der Straße in die Parlamente schwappt und aus den Parlamenten die Straße erreicht, findet sich – etwas heruntergekühlt – auch in Betrieben wieder. Häufiger als noch vor einigen Jahren werden Migranten und Migrantinnen, Geflüchtete, Schwarze und alle anderen, die als fremd etikettiert werden, abgewertet und rassistisch diskriminiert.
Krise als Dauerzustand
Woran liegt das? Darüber wird viel geschrieben und gesprochen. Eine Gruppe von Sozialwissenschaftler/innen hat sich auf Spurensuche begeben. Sie hat Gewerkschaftsmitglieder, Betriebsräte, Vertrauensleute und Gewerkschaftssekretär/innen gefragt und die Ergebnisse in dem Buch »Rechtspopulismus und Gewerkschaften« veröffentlicht. Wie kann es sein, dass trotz guter Konjunktur so viele Menschen unzufrieden sind? Liegen Ursachen für rechte Ressentiments auch in der Arbeitswelt?
»Wer AfD wählt, verpasst nicht den Parteien einen Denkzettel, sondern der Demokratie einen Fußtritt.«
Betriebsratsmitglied
Das Ergebnis ihrer Untersuchung: Es gibt mehr soziale Ungleichheit; zudem spitzen sich in Betrieben die Verhältnisse zu, die den Nährboden für immer mehr Unzufriedenheit und Wut bereiten. Ständige Umstrukturierungen in Unternehmen, Aufspaltungen, Verlagerungen und Kostensenkungsprogramme führen zu einer permanenten Unsicherheit bei den Beschäftigten, also zur Krise als Dauerzustand. Dazu kommt die immer knapp gehaltene Personaldecke, die den Leistungsdruck steigert.
Die Angst abzusteigen
In Betrieben regiere ein Regime der Unsicherheit – selbst wer sich anstrenge und sein Bestes gebe, werde mit Missachtung bestraft, schreibt die Gruppe um Sozialwissenschaftler Dieter Sauer. Es gälten nur noch die nackten Zahlen, der Mensch und seine Arbeit seien abgeschrieben. Diese Unsicherheit führe zu Abstiegs- und Zukunftsängsten bei den Beschäftigten. Die Fluchtbewegung von 2015 habe zudem wie ein Katalysator gewirkt und rechtspopulistisches Gedankengut nach oben gespült. Mit den Geflüchteten schienen die Schuldigen für all das, was unzufrieden macht, gefunden. Was die AfD aufgreift und für ihre Zwecke missbraucht.
Die Aufheizung der gesellschaftlichen Situation von rechts macht nicht halt vor den Betrieben. Das bestätigt Romin Khan, Referent für Migrationspolitik bei ver.di und stellvertretender Vorsitzender des Vereins »Mach’ meinen Kumpel nicht an!«. Gespaltene Belegschaften hält er für gefährlich. Solidarisches Handeln wird untergraben, wenn Teile der Belegschaft gegen Migranten im Betrieb hetzen und sie diskriminieren. »Eine gespaltene Belegschaft wird ihre Interessen gegenüber dem Arbeitgeber schlechter durchsetzen können, als eine, die zusammenhält.«
»Fragt man Betriebsräte und Beschäftigte, so heißt es oft unisono: ›Bei uns im Betrieb wird keiner diskriminiert.‹ Das kann daran liegen, dass die Seminarteilnehmenden zur Mehrheits gesellschaft gehören. Die tatsächlich von Diskriminierung Betroffenen sagen nichts, um nicht als übersensibel zu gelten. Das zeigt, dass vieles unter den Teppich gekehrt wird.«
Referent bei einem Gewerkschaftsseminar
Was muss der Betriebsrat tun?
Rassistische Schmierereien auf der Toilette, angeblich scherzhafte, diskriminierende Bemerkungen gegenüber Minderheiten – darüber darf der Betriebsrat nicht hinwegschauen. Er ist gesetzlich verpflichtet, etwas zu tun. Es gehört zu seinen Aufgaben, »… die Integration ausländischer Arbeitnehmer im Betrieb und das Verständnis zwischen ihnen und den deutschen Arbeitnehmern zu fördern sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Betrieb zu beantragen …« (Paragraf 80, Betriebsverfassungsgesetz).
Verstößt der Betriebsrat grob gegen diese Verpflichtung, kann das zur Auflösung des Gremiums führen. Der Betriebsrat hat außerdem darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Kolleginnen und Kollegen im Betrieb »… aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft … ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung … unterbleibt.« (Paragraf 76, Betriebsverfassungsgesetz.)
Leider benutzt das Gesetz noch das Unwort »Rasse«, das im Sprachgebrauch nicht mehr üblich ist.
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Lesetipps
Was die AfD von ver.di hält, wissen wir. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch hat ver.di als »offizielle Verbrecherorganisation« bezeichnet. Was Gewerkschaften von der AfD halten, steht in einer 44-seitigen Broschüre. Darin wird erklärt, warum sich die Mischung aus neoliberaler Wirtschaftspolitik und völkischem Denken nicht mit gewerkschaftlichen Positionen verträgt. Herausgegeben vom DGB-Bildungswerk Thüringen, ver.di Thüringen und dem IG Metall Bezirk Mitte. bit.ly/AFD-verdi
»Stopp, so nicht! Über den Umgang mit rechtsextremen Äußerungen«. Broschüre vom Verein »Mach’ meinen Kumpel nicht an!« mit Beispielen für Reaktionen und Argumente. bit.ly/STOPPsoNICHT
»Rechtspopulismus und Gewerkschaften. Eine arbeitsweltliche Spurensuche« von Dieter Sauer, Ursula Stöger, Joachim Bischoff, Richard Detje, Bernhard Müller. VSA Verlag 2018, 216 Seiten, 14,80 Euro.