Was sie unter modern verstehen
Mit den Arbeitgebern zurück in die Vergangenheit
Starr, unflexibel und veraltet sei der Manteltarifvertrag, sagt der Arbeitgeberverband der Druckindustrie und hat ihn gekündigt. Stattdessen soll er modern und praxisnah werden. Dazu macht der Bundesverband Druck und Medien Vorschläge. Schauen wir genau hin: Der Arbeitgeberverband will die Arbeitszeit von 35 Stunden (im Westen) auf bis zu 40 Stunden verlängern. Das kommt einer Reise in die Vergangenheit gleich – zurück in die 1960er-Jahre. Zurück zu Bonanza, Beatles und Bienenkorb-Frisuren. Denn ab Mitte der 60er-Jahre galt in der Druckindustrie die 40-Stunden-Woche. Bis es 1984 nach einem wochenlangen Arbeitskampf gelang, eine Arbeitszeitverkürzung – bei vollem Lohnausgleich – durchzusetzen. Ab 1995 wurden in tarifgebundenen Betrieben (im Westen) nur noch 35 Stunden gearbeitet. Bis heute. Weiter: Die Arbeitgeber möchten die Regeln zur Maschinenbesetzung faktisch abschaffen – jetzt soll es also zurückgehen in die späten 1970er zu Hippies, Räucherstäbchen und Schlaghosen. 1979 wurde die Besetzung an den Maschinen neu geregelt. Nicht genug: Die Zuschläge sollen drastisch gekürzt werden. Also auf in die 1980er, als die Mauer noch stand und der Anrufbeantworter erfunden wurde. Nach vielen Streiks, stundenlangen Verhandlungen und einer Schlichtung waren 1989 die Zuschläge erhöht worden.
Der Mantel bleibt, wie er ist
Die Arbeitgeber haben den Zeitpunkt für die Kündigung nicht zufällig gewählt. Der Manteltarifvertrag endet am 30. September – genau dann stecken die Belegschaften und ver.di mitten im Kampf für fünf Prozent mehr Lohn und Gehalt. Der Arbeitgeberverband spekuliert darauf, dass er billig davonkommt. Das Kalkül: Die Beschäftigten geben sich mit einer kärglichen Lohnerhöhung zufrieden, weil sie den Manteltarifvertrag erhalten wollen. Doch die Signale aus den Betrieben sind andere: »Den Kollegen und Kolleginnen reicht es. Sie wollen beides: mehr Lohn und den Mantel«, berichtet ein Betriebsrat. Selbst Werks- und Betriebsleiter sind mit der Entscheidung des Arbeitgeberverbandes nicht einverstanden und erklären, den Manteltarifvertrag fortführen zu wollen. Nicht anders die Tarifkommission von ver.di: Der Mantel bleibt, wie er ist. Und modern und praxisnah sind kurze Arbeitszeiten und gute Löhne.
Das Foto auf der Titelseite ist ein Symbolfoto; bei den meisten der abgebildeten Personen handelt es sich nicht um Arbeitgeber.