Was hältst du von der großen Koalition?
Nicht viel. Nach den letzten vier Jahren war deutlich spürbar, dass die Menschen eine Veränderung wollten. Die letzte Regierung hat es ja auch nicht geschafft, die zentralen innenpolitischen Themen wie soziale Gerechtigkeit, Bildung, Klimaschutz und Mobilität anzugehen. Es war höchste Zeit für eine Erneuerung. Warum schaffen es Politiker und Politikerinnen nicht, etwas Neues zu probieren? Eine Minderheitsregierung wäre einen Versuch wert gewesen. Jetzt stehen wir wieder vor gut klingenden, aber plakativen Aussagen. Das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit muss keiner feiern; das hätte schon in der letzten Legislaturperiode durchgesetzt werden müssen. Auch bei den befristeten Arbeitsverträgen sehe ich keine wesentliche Verbesserung zu den bisherigen Bedingungen. Der Mindestlohn müsste deutlich erhöht werden, sodass Menschen im Alter mehr als nur Grundsicherung haben. Stattdessen wird er weiterhin zu den niedrigsten in Europa gehören. Einige Maßnahmen im Koalitionsvertrag hören sich gut an; dahinter lauern aber Gefahren wie die Aushöhlung von Einigungsstellenverfahren, eine Aufweichung des Kündigungsschutzes und des Arbeitszeitgesetzes. Auch auf eine dringend not wendige Bürgerversicherung werden wir weiter warten müssen. Es gäbe viele große Aufgaben für die große Koalition, die sie nicht lösen wird.
Ulrike Weinmeister Betriebsratsvorsitzende, Verlag Dierichs, Kassel