Hintergrund

15 Studierende, die aus dem Irak und Syrien geflohen sind, haben die Aufnahmeprüfung in Leipzig bestanden und arbeiten jetzt in den Werkstätten.

Kunst braucht Freiheit

Einzigartiges Projekt: Geflüchtete können an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst weiterstudieren

Es sind Bilder, an denen man nicht einfach vorbeigehen kann: Die Fotografien von Raisan Hameed zeigen Gesichter im Schatten. So verborgen sind die Köpfe der Menschen darauf, dass es eine Weile dauert, bis man sie ausgemacht hat. Dann aber scheinen sie aus dem Dunkel herauszutreten und das Leben in ihnen preiszugeben. So deutlich wird dann auf einmal jedes Fältchen und das Leuchten in den Augen, dass der Betrachter nur noch darüber staunen kann, wie viel Ausdruck ein Foto haben kann, auf dem auf den ersten Blick kaum etwas zu erkennen ist.

Professor Rayan Abdullah hat die Akademie für transkulturellen Austausch ins Leben gerufen.

Hameed freut sich über die Begeisterung, die seine Fotos auslösen. Es ist, hier in Leipzig an einem Nachmittag im Winter, seine erste Ausstellung in Deutschland. Im irakischen Mossul, wo er bis vor anderthalb Jahren zu Hause war, sind sie bekannt. In Mossul hat Hameed an der Hochschule für Kunst studiert, sich sein Studium als Pressefotograf finanziert und auch schon Ausstellungen gemacht. In seinem neuen Zuhause in Deutschland präsentiert er seine Fotografien zum ersten Mal. Sie sind Teil einer Ausstellung an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Für Hameed der Beginn eines neuen Lebens.

Mit dem Schlauchboot geflohen

Fotos von Raisan Hameed aus seiner ersten Ausstellung in Deutschland

Der 25-jährige Iraker lebt erst seit wenigen Monaten in Leipzig. Mit einem Schlauchboot ist er aus seiner Heimat über die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflüchtet und landete zunächst im niedersächsischen Owschlag. Er musste vor der Terrormiliz Islamischer Staat fliehen, sagt er. »Ich konnte dort nicht mehr leben.« Viele Freunde und Kollegen seien im Krieg gestorben. Der Irak sei kein Land mehr, in dem Kunst möglich sei: »Der IS hat unsere Universität zerstört und alles, was wir geschaffen haben. Es gibt dort keine Freiheit mehr. Aber Kunst braucht Freiheit.«

Nun ist die Kunst zurück in Hameeds Leben. Seit Oktober ist er an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst eingeschrieben. Seine Tage sind voll: Vier Stunden täglich lernt Hameed vormittags in einem Sprachkurs Deutsch. Am Nachmittag studiert er Fotografie und arbeitet in den Werkstätten der Hochschule.

Raisan Hameed nimmt teil an einem bundesweit einzigartigen Projekt. Gemeinsam mit 14 anderen Studierenden, die aus dem Irak und Syrien geflüchtet sind, studiert er an der Akademie für transkulturellen Austausch. Die ist an der Leipziger Hochschule eigens dafür gegründet worden, um jungen Design- und Kunststudierenden, die vor Krieg und Verfolgung flüchten mussten, eine neue Perspektive zu geben.

Ins Leben gerufen hat sie Professor Rayan Abdullah, ein im Irak geborener Grafiker und Designer, der an der Leipziger Hochschule Typografie lehrt. Die Akademie ist sein Projekt, sie ist aus dem Willen heraus entstanden, jungen Künstlern einen Weg aus dem Krieg zu ebnen. »Eigentlich war es mein Traum, eine Universität für Geflüchtete zu gründen«, sagt er, »aber das war nicht zu schaffen. Nun gibt es unsere Akademie.« Und bundesweit kein zweites Projekt wie dieses und damit auch keine Vorbilder, von denen Professor Rayan Abdullah und die Hochschulleitung hätten lernen können. Man habe aber viel Hilfe bekommen: vom Ministerium, den Behörden und vielen Unterstützern.

Raisan Hameed ist vor der Terrormiliz IS aus dem Irak geflohen und lebt heute in Deutschland. In Mossul hat er als Pressefotograf gearbeitet, in Leipzig hat er für DRUCK+PAPIER fotografiert.

Bilderverbot

Von der Arbeit der Akademie profitieren nicht nur die geflüchteten jungen Künstler. Ihre Erfahrungen und ihr kultureller Hintergrund seien eine immense Bereicherung, sagt Professor Abdullah: »Im arabischen Raum gibt es ein unausgesprochenes Bilderverbot.« Design und Kunst seien dort sehr stark geprägt durch Kalligrafien und Ornamente. Die europäische Kultur sei dagegen durch Bilder geprägt – ob Gemälde oder Fotografien. Gleichzeitig ist die Herangehensweise an das Handwerk eine andere, wie Abdullah sagt: »Hier setzen wir auf Lebendigkeit und Sinnlichkeit, die da-raus entsteht, dass die Studenten die Dinge selbst mit ihren Händen gestalten. In Syrien und im Irak ist Design viel stärker durch die Arbeit mit dem Computer bestimmt.« Die arabischen Studenten hätten eine ganz andere Perspektive, die sie einbringen könnten: »Wir lernen voneinander.«

Nur die Besten der Besten hat der Professor nach Leipzig geholt. Denn nicht jeder, der wollte, durfte kommen. 400 Interessierte habe es gegeben. 30 Bewerber hätten schließlich am dreitägigen Auswahlverfahren teilgenommen. Man habe das hohe Niveau der Hochschule halten wollen, sagt Abdullah. Fehlende Papiere und Belege des Studiums im Irak oder Syrien waren kein Problem. Der in der arabischen Welt gut vernetzte Professor kontaktierte über Facebook seine Kollegen und Kommilitonen der Bewerber, um ihren Studienverlauf nachvollziehen zu können.

Nun nehmen die geflüchteten Studierenden maximal vier Semester lang am Programmstudium an der Akademie teil. Sobald ihr Deutsch gut genug ist, wechseln sie in das reguläre Studium der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Bei Raisan Hameed wird das vermutlich nicht lange dauern. Er spricht inzwischen fast fließend Deutsch. Geht es nach seinen Wünschen, bleibt er nach dem Studium in Deutschland. Momentan hat Raisan Hameed nur eine Aufenthaltsgestattung und wartet darauf, dass über seinen Antrag auf Asyl entschieden wird. Dass es hier in Sachsen viele Menschen gibt, die Flüchtlinge wie ihn gern wieder loswerden würden, weiß er. Persönlich aber habe er noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Er könne sich ohne Angst überall bewegen: »Ich bin hier sehr glücklich.«

Seine Arbeiten jedenfalls begeistern so sehr, dass kurz nach der Ausstellungseröffnung Bilder aus den Räumen der Hochschule gestohlen wurden. Auch Fotografien von Hameed. Er nimmt es sportlich: »Ich hoffe, dass sie jetzt irgendwo hängen, wo man sie sieht und sie jemanden begeistern.«

Neuanfang in Leipzig