Freibrief für Sonntagsarbeit
Betriebsrat weist Druckerei auf Genehmigungspflicht hin
Sonntag ist Ruhetag. Zeit zum Ausruhen. Aber nicht für die elf Millionen Menschen, die sonntags arbeiten müssen. Ein Viertel der Erwerbstätigen. Darunter sind Feuerwehrleute und Ärztinnen, Pfarrer und Altenpflegerinnen. Doch bei vielen Sonntagsarbeiter/innen ist der Einsatz weder lebensnotwendig noch gesellschaftlich erforderlich. Es geht um die maximale Auslastung von Maschinen und um eine höhere Rendite für den Eigentümer. Und so treten die Sonntagsarbeiter/innen an, weil der Unternehmer die Sonntagsarbeit verlangt, die Behörde sie abnickt und das Gesetz sie erlaubt.
Oder weil keiner hinschaut. Wie bei Inline Rollenoffset Ploch & Strube. Eine Druckerei in Felsberg, 20 Kilometer südlich von Kassel, die Prospekte, Werbezettel und Anzeigenblätter druckt. »Ich habe fast jeden Sonntag gearbeitet«, sagt ein Arbeiter. Jahr für Jahr. In der Produktion war die 7-Tage-Woche die Regel. Wollte einer die Sonntagsarbeit verweigern, »kann der sich gleich bei mir im Büro melden, hat uns ein Vorgesetzter gesagt. Es war klar, dass man besser spurt.«
Noch weiß in der Belegschaft niemand, dass die Rollenoffsetdruckerei keine Genehmigung für die Sonntagsarbeit hat. Sie lässt mindestens die Jahre 2014 und 2015 sonntags ohne Erlaubnis arbeiten. Das Regierungspräsidium Kassel als zuständige Aufsichtsbehörde teilt DRUCK+PAPIER mit, dass für diese beiden Jahre keine Bewilligungen erteilt wurden. Beschäftigte versichern jedoch ver.di gegenüber, dass Sonntagsarbeit üblich war, auch vor 2014. Geschäftsführer Roland Strube erklärt dazu schriftlich: »Wir waren immer und sind auch heute bemüht, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten.«
Dauernde Sonntagsarbeit, häufige 56-Stunden-Wochen und freie Tage nur dann, wenn es dem Chef passte – das waren die Gründe, warum die Belegschaft bei Ploch & Strube im Herbst 2015 einen Betriebsrat wählte. Der sollte die ausufernden Schichten eindämmen. Jetzt wird auf den Aushängen vermerkt, dass Sonntagsarbeit freiwillig ist. Mehr noch: Der Betriebsrat hat die Firma darauf aufmerksam gemacht, dass Sonntagsarbeit ohne Genehmigung nicht zulässig ist. Die stellte daraufhin einen Antrag, den das Regierungspräsidium Kassel für ein Jahr und 25 Arbeitnehmer pro Schicht bewilligte. Erst durch die Aushänge hat die Belegschaft erfahren, dass für die Jahre zuvor die Genehmigung gefehlt hatte. In wenigen Tagen läuft die Bewilligung aus. Die Firma erwägt einen Folgeantrag.
Konkurrenz tut’s auch
Als Begründung für die Sonntagsarbeit führte Ploch & Strube den »sehr harten Preiskampf mit Konkurrenten im In- und Ausland« an. Die hätten einen Kostenvorteil, weil sie an allen Tagen der Woche produzieren dürften. Dann zählt Ploch & Strube zehn Rollenoffsetdruckereien von Dänemark bis Italien auf, die in direktem Wettbewerb zur Firma in Felsenberg stünden. Ohne Sonn- und Feiertagsarbeit drohe der Verlust von Aufträgen an die ausländische Konkurrenz.
Die Angaben seien plausibel, erklärt das Regierungspräsidium Kassel. Wenn in den genannten Ländern Sonntagsarbeit möglich sei, könne man davon ausgehen, dass die Firmen auch davon Gebrauch machten. Eine Dokumentation über Arbeitszeiten habe die Geschäftsführung ebenso vorgelegt wie Pläne über Ausgleichstage. Die Sonntagsarbeit wird genehmigt.
»Die Aufsichtsbehörde hat keinen Ermessensspielraum«, sagt Matthias Beckmann vom DGB-Rechtsschutz. Sind die Voraussetzungen aus dem Arbeitszeitgesetz erfüllt, muss die Behörde genehmigen. Wenn etwa bei der Konkurrenz im Ausland längere Betriebszeiten möglich sind. »Es wird sich regelmäßig ein Land finden, in dem das der Fall ist. Damit ist es leicht, das Verbot der Sonntagsarbeit zu unterlaufen.« Der Paragraf 13, Absatz 5 sei ein Freibrief für die Unternehmen, erklärt der Jurist. Das hat die schwarz-gelbe Bundesregierung 1994 bei der Änderung des Arbeitszeitgesetzes auch so beabsichtigt. Unternehmerfreundlich sollte es sein.
Unbeliebt ist die Sonntagsarbeit bei den Beschäftigten von Ploch & Strube nicht. Denn sonntags erhalten sie den tariflichen Zuschlag. Auf den sind sie angewiesen. Der tariflose Familienbetrieb mit 180 Beschäftigten hat vor vielen Jahren Überstunden, Urlaubs- und Weihnachtsgeld abgeschafft. Stattdessen packte der Chef auf den Stundenlohn einen Euro drauf. Damit sei jede Lohnerhöhung für immer abgegolten. Und so verdient ein Rolleur heute nicht mal elf Euro. Die Löhne liegen nach Angaben von ver.di weit unter Tarif.
Das Arbeitszeitgesetz
»Arbeitnehmer dürfen an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden.« So heißt es in § 9, Abs.1 des Arbeitszeitgesetzes. Von dem Sonntagsarbeitsverbot gibt es viele Ausnahmen. Die betreffen Feuerwehrleute, Polizei, Beschäftigte in Krankenhäusern, Gaststätten und Hotels, in Theatern, bei Energie- und Wasserversorgern, Verkehrsbetrieben, in der Landwirtschaft und vielem mehr. Durchgearbeitet werden muss auch dort, wo die Produktion nicht stillstehen darf, wie am Hochofen im Stahlwerk. Die Bundesländer können per Verordnung weitere Ausnahmen zulassen.
Hessen in die Schranken verwiesen
Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht in 2014 die Sonntagsarbeit begrenzt. Die obersten Richter verboten es dem Land Hessen, weiterhin Sonntagsarbeit auch in Videotheken, Bibliotheken, Callcentern und Lotto-Annahmestellen zuzulassen. Die Beschäftigung dort sei an Sonntagen nicht erforderlich, um besondere Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken.
Freie Tage
Das Gesetz legt auch fest, dass mindestens 15 Sonntage im Jahr frei bleiben müssen und jeder Beschäftigte, der sonntags gearbeitet hat, innerhalb von zwei Wochen einen freien Tag als Ausgleich erhält.
Kein Spielraum
Das Arbeitszeitgesetz sagt aber auch, dass die Aufsichtsbehörde die Beschäftigung von Arbeitnehmer/innen an Sonn- und Feiertagen bewilligen muss, wenn die Betriebszeiten zwischen Montag und Samstag bereits ausgereizt sind, wenn die Konkurrenz im Ausland auch länger arbeiten darf und wenn mit der Genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit die Beschäftigung gesichert werden kann (§ 13, Abs. 5). www.bit.ly/Arbeitszeit§
Ausländische Konkurrenz zieht immer
Es ist kein Kunststück, grünes Licht für Sonntagsarbeit zu bekommen. Das zeigt das Beispiel von Arvato Systems. Der IT-Dienstleister von Bertelsmann hat im August 2015 für zwölf Betriebsstätten Sonn- und Feiertagsarbeit beantragt. Die wurde ihm von der Aufsichtsbehörde bis Oktober 2017 genehmigt.
Arvato Systems hat getan, was das Arbeitszeitgesetz in Paragraf 13, Absatz 5 verlangt. Viel ist das nicht. Ein Unternehmen muss für eine Genehmigung nur vier Voraussetzungen erfüllen. Die erste: Es muss die Betriebszeiten zwischen Montag und Samstag voll ausnutzen, bevor auch noch an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden soll. Zweite Voraussetzung: deutlich machen, dass es Konkurrenz im Ausland gibt. Arvato Systems zählt neun Unternehmen auf, die solche Rund-um-die-Uhr-Dienstleistungen anböten: in den USA (IBM, HP, Google, Amazon), Irland, Indien und Japan. Ohne Sonn- und Feiertagsarbeit sei Arvato Systems nicht mehr konkurrenzfähig, erklärt das Unternehmen in seinem zehnseitigen Antrag. Das war Voraussetzung Nummer drei.
Dürfte es dagegen sonntags arbeiten, würde das »eine positive Prognose für die Gewinnung von Kundenaufträgen« bedeuten. Arbeitsplätze würden gesichert und geschaffen, behauptet Arvato Systems. Damit wurde die vierte Voraussetzung aus dem Gesetz erfüllt.
Die Bezirksregierung Detmold als zuständige Aufsichtsbehörde befragt den Betriebsrat, der zustimmt, und die Gewerkschaft ver.di, die empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Doch das spielt keine Rolle, solange die Voraussetzungen erfüllt sind. Die Bezirksregierung erklärt, die Angaben geprüft zu haben. Und genehmigt.
Elf Millionen betroffen
Die Zahl der abhängig Beschäftigten, die ständig oder regelmäßig sonntags arbeiten müssen, hat sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. 2015 mussten mehr als ein Viertel aller Erwerbstätigen sonntags arbeiten. Das sind 11,3 Millionen Menschen. Sonntagsarbeit geht häufig mit Schichtarbeit einher: 60 Prozent aller Schichtarbeitenden treten auch am Sonntag an. Im Osten wird sonntags häufiger gearbeitet als im Westen, Frauen betrifft es stärker als Männer. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) herausgefunden. www.bit.ly/DIW-pub