Gesetzliche Rente – sicher solidarisch
Die Zukunft der Rentenversicherung ist ein schwieriges, aber wichtiges Thema. DRUCK+PAPIER beantwortet die zentralen Fragen.
Die gesetzliche Rentenversicherung ist ein Umlagesystem. Was bedeutet das?
Die Beschäftigten zahlen Rentenbeiträge, mit denen sie die Bezüge der heutigen Rentner/innen finanzieren. Zugleich erwerben sie den Anspruch, später selbst Rente zu erhalten, die von der nächsten Generation von Erwerbstätigen aufgebracht wird.
Wie wirkt sich die Kürzung des Rentenniveaus konkret aus?
Ein typisches Beispiel: Ein Beschäftigter des Jahrgangs 1963 mit einem Einkommen von 2.500 Euro brutto bekäme nach 40 Beitragsjahren 2030 eine gesetzliche Rente von etwa 800 Euro. Im Jahr 2000 wären es noch über 1.000 Euro gewesen. Ungefähr jeder Dritte verdient aber weniger als 2.500 Euro im Monat. Die Folge: Millionen droht Altersarmut. Auch Kolleginnen und Kollegen, die heute mehr als 2.500 Euro verdienen, haben eine Rente zu erwarten, die nicht zum Leben reicht.
Warum sind Frauen besonders betroffen?
Rund 70 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor sind Frauen. Sie arbeiten viel öfter in Teilzeit und Minijobs. Im Alter sind sie daher noch schlechter dran.
Ich zahle Rentenbeiträge, habe am Ende aber wenig davon. Lohnt sich das überhaupt?
Das Solidaritätsversprechen funktioniert nur, wenn die gesetzliche Rente für ein gutes Leben reicht. Wird sie weiter gekürzt, verliert sie an Akzeptanz. Womöglich ist das Absicht – damit die Menschen diese 127 Jahre alte Errungenschaft nicht verteidigen.
Welche Folgen hat die Er höhung des Rentenalters auf 67 Jahre?
Nur jeder sechste 64-Jährige arbeitet noch in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Die Rente mit 67 führt bei vielen nicht dazu, dass sie länger arbeiten, sondern dass sie mit Abschlägen in den Ruhestand gehen müssen – zusätzlich zu den sonstigen Rentenkürzungen.
Es gibt immer mehr Ältere. Können wir diese Menschen überhaupt alle versorgen?
Als Reichskanzler Otto von Bismarck 1889 die gesetzliche Rentenversicherung einführte, lebte ein Mann durchschnittlich rund 37 Jahre. Seither steigt die Lebenserwartung kontinuierlich, ohne dass das Rentensystem zusammengebrochen wäre. Der Grund: Auch die Produktivität nimmt ständig zu. Die Gesellschaft wird also reicher, nicht ärmer. Sie kann sich eine auskömmliche Rente für alle durchaus leisten.
Konkret: Wo soll das Geld herkommen?
Die gesetzliche Rentenversicherung sollte jetzt möglichst große Rücklagen bilden, um künftige Generationen gut versorgen zu können. Ohne die Beitragssenkungen der vergangenen Jahre könnten die Rücklagen bereits um 60 Milliarden Euro größer sein. Die sogenannte Mütterrente kostet die Rentenversicherung jedes Jahr rund sieben Milliarden Euro – Geld, das eigentlich aus Steuermitteln kommen müsste. Der Staat gibt jährlich mehr als drei Milliarden Euro für Riester-Förderung aus. In der gesetzlichen Rentenversicherung wäre diese Summe deutlich besser angelegt.
Welche Alternativen hat ver.di noch zu bieten?
Es sollte mehr aus Steuern finanziert werden. Damit auch Kapital- und Mieteinnahmen sowie sehr hohe Einkommen zur Finanzierung eines solidarischen Rentensystems herangezogen werden. Alle Erwerbstätigen sollten in die Rentenversicherung einzahlen und später Leistungen erhalten.
Ich bin jung und gesund, die Rente ist weit weg. Was interessiert mich das alles?
Junge Menschen sind die größten Verlierer, da die Absenkung des Rentenniveaus und die Erhöhung des Rentenalters erst nach und nach in Kraft treten. Wer vorausschauend ist, wehrt sich heute. Nicht erst dann, wenn es zu spät ist.
»Das ist schon heftig«, sagt James Reinhardt, als er auf seine Rentenauskunft blickt. Laut Schreiben der Deutschen Rentenversicherung kann der heute 56-Jährige mit einer Monatsrente von 1.782,92 Euro rechnen. Und nur, wenn er noch gut zehn Jahre ohne Unterbrechung weiter arbeitet. Abzüglich Steuer, Kranken- und Pflegeversicherung bleiben ihm dann weniger als 1.500 Euro zum Leben. Dabei hat der gelernte Drucker noch Glück. Zum einen, weil er anders als viele seiner Kollegen nicht entlassen wurde, als sein Betrieb, die Herlitz AG in Berlin-Falkensee, den Tiefdruck 2009 einstellte. Zum anderen, weil er von einer kürzlich auf Druck der Gewerkschaften beschlossenen Gesetzesänderung profitiert: Wer 45 Beitragsjahre vorzuweisen hat, kann ohne Abschläge mit 65 statt mit 67 Jahren in Rente gehen. Für Reinhardt wäre das im Jahr 2025.
Dennoch fühlt er sich um seine Lebensleistung betrogen. »Ich war fast nie krank, habe immer durchgearbeitet und alles gegeben – und komme im Alter gerade so über die Runden.« Wirklich problematisch werde es aber für die kommenden Generationen, wenn das Rentenniveau wie geplant abgesenkt werde. »Meine Kinder und Enkel tun mir leid. Es darf nicht sein, dass die gesetzliche Rente nach einem harten Arbeitsleben nicht zum Leben reicht.«
»Ich mache mir Sorgen, wie das später mal werden soll«, sagt Mahmut Öner. Seit er 17 Jahre alt ist arbeitet er als Rollenschneider bei der Constantia Ebert GmbH in Wiesbaden. Wenn der 47-Jährige noch zwei Jahrzehnte im Job durchhält, bekommt er ab März 2036 laut Rentenprognose 1.471 Euro brutto. Netto sind das gut 1.200 Euro im Monat. »Wenn die Mieten weiter steigen, reicht das gerade mal fürs Wohnen«, so der Vater von zwei Kindern. Er versucht, privat vorzusorgen. »Aber ich gehöre nicht zu den Besserverdienenden, da ist es schwer, immer etwas zurückzulegen.«
Das größte Problem aber ist, dass Öner nicht weiß, ob er den Job überhaupt noch 20 Jahre machen kann. »Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, mit 67 noch die schweren Rollen zu heben und den Stress hier auszuhalten«, sagt er. Der Arbeitsdruck nehme ständig zu, da mit
immer weniger Personal immer mehr Arbeit zu schaffen sei. Was passiert, wenn er aus gesundheitlichen Gründen früher in Rente muss, möchte sich der stellvertretende Schichtführer gar nicht ausmalen. Denn in diesem Fall wird von der ohnehin schon mickrigen Rente noch etwas abgezogen. »Das bedeutet dann Armut.«