Arm im Alter
Vielen künftigen Rentnern droht der Absturz auf Hartz-IV-Niveau. Dagegen kämpft ver.di – politisch und mit Tarifverträgen
Frank Meier ist Gabelstaplerfahrer bei einem hessischen Wellpappehersteller. Der 45-Jährige ist Schichtarbeiter und seit 25 Jahren im Betrieb. Inklusive Zuschläge, Weihnachts- und Urlaubsgeld liegt sein Jahreseinkommen bei knapp 29.000 Euro. Er ist in die Lohngruppe 4 eingestuft und darüber wird er wahrscheinlich nicht hinauskommen, denn Bewährungsaufstiege sind nicht vorgesehen. Immerhin: Sein Arbeitsplatz scheint sicher, die Branche boomt, vor allem wegen des hohen Verpackungsbedarfs des expandierenden Onlinehandels. Wenn alles so weiterläuft und er gesundheitlich durchhält, kann er 2037 regulär in Rente gehen. 45 Jahre hinter- einander wird er in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben.
Seine Altersbezüge werden bei rund 950 Euro im Monat liegen; dazu kommen noch mal hundert Euro aus einem Riester-Vertrag, den er privat abgeschlossen hat. Übrig bleiben werden ihm nach Abzug von Steuern und Sozialbeiträgen dennoch nur wenig mehr als 900 Euro. Rechnet man eine durchschnittliche Teuerungsrate von zwei Prozent, entspricht das einer Kaufkraft von heute annähernd 600 Euro.
Das Beispiel des Staplerfahrers Meier ist fiktiv, aber die Berechnung realistisch. Sicher, es gibt Variablen, die außen vor bleiben: Künftige Tarifsteigerungen würden seine Einzahlbeiträge und damit die künftige Rentensumme erhöhen. Fraglich ist aber andererseits, ob er den Job bis 67 durchhält und ob er überhaupt auf seine 45 Beitragsjahre kommt, die ihm eine abschlagsfreie Altersrente ermöglichen würden.
Denn 45 Jahre lang in die Rentenkasse einzuzahlen, das schaffen nur noch wenige. Im Schnitt beliefen sich die Altersbezüge 2014 auf knapp 800 Euro. Neurentner, also jene, die 2014 in Rente gingen, erhielten durchschnittlich rund 750 Euro.
Das ist ungefähr das Niveau von Hartz IV. Der Regelsatz für die »Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung« beträgt derzeit 399 Euro, plus Übernahme »angemessener« Kosten für Unterkunft, Heizung und eventuellen Mehrbedarf durch Krankheit oder Behinderung.Lag die offizielle Zahl der Armutsrentner 2005 noch bei 343.000, waren es im vergangenen Jahr bereits 512.000 – eine Steigerung um fast 50 Prozent in zehn Jahren. Sozial- verbände gehen allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus, da viele Kleinstrentner ihre Ansprüche aus Unkenntnis oder Scham nicht wahrnehmen. Studien des DGB zeigen, dass die Zahl der Neurentner, die auf Grundsicherung angewiesen sind, bis 2030 auf über 30 Prozent ansteigen könnte, andere Prognosen sprechen von bis zu 50 Prozent.
Gesetzliche Rente demontiert
Lange galt das deutsche Rentensystem als vorbildlich. Doch diverse Verschlechterungen haben es immer weiter ausgehöhlt. Ihren Anfang nahm diese Demontage nach der deutschen Vereinigung. Anstatt die Rentenansprüche aus der DDR als gesamtstaatliche Aufgabe anzugehen und aus Steuermitteln zu finanzieren, wurden sie den Rentenkassen aufgebürdet. Damit war das System über- fordert.
In den Folgejahren jagte eine »Rentenreform« die nächste. Altersgrenzen wurden angehoben – zuletzt 2007 die Rente mit 67, Anrechnungszeiten für Ausbildung wurden abgeschafft, Berechnungsverfahren umgestellt – kurzum: das Rentenniveau faktisch immer weiter abgesenkt. Auch um der Versicherungswirtschaft durch die Schaffung privater Vorsorge ein Milliardengeschäft zuzuschanzen. Jetzt schon zeichnet sich ab: Bis 2030 wird das gesetzliche Rentenniveau von derzeit etwa 48 Prozent des Durchschnittseinkommens auf 43 Prozent sinken.
Die 2014 auf Betreiben von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) auf den Weg gebrachten Korrekturen ändern an diesem Trend nur wenig. Die »Mütterrente« von 28,14 Euro (West) und 25,74 Euro (Ost) je Monat und Kind hilft vielen Frauen nicht, weil sie komplett auf die Grundsicherung angerechnet wird. Und auch die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren kann die langfristige Ausbreitung von Altersarmut nicht aufhalten. Je mehr Menschen in Minijobs, erzwungener Teilzeit und befristet beschäftigt sind, desto weniger können die Zugangsvoraussetzungen erfüllen. Zudem gilt die Altersgrenze von 63 nur für bis 1953 Geborene.
Kampagne gegen Altersarmut
ver.di hat den Kampf für eine menschenwürdige Altersrente ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Zum einen steuert die Gewerkschaft tarifpolitisch dagegen. Wie das aussehen kann, zeigt das Beispiel Smurfit Kappa (siehe unten). Klar ist aber auch: Damit können nicht alle Verschlechterungen der Politik beseitigt werden. Und: Tarifliche Lösungen gibt es nur dort, wo sich Kolleginnen und Kollegen organisieren, um sie durchzusetzen. ver.di wird den Gesetzgeber nicht aus seiner Verantwortung entlassen. »Die Entwicklung des Rentenniveaus ist eine der zentralen sozialpolitischen Fragen der nächsten Jahre«, sagt der ver.di-Bundesvorsitzende Frank Bsirske. Mit einer groß angelegten Kampagne will die Gewerkschaft auf Politik und Unternehmer Druck machen. Damit Menschen nach einem langen Arbeitsleben auch eine auskömmliche Rente zusteht.
Tarifvertrag Altersvorsorge
Das Beispiel Smurfit Kappa
Seit 2014 gilt beim Verpackungshersteller Smurfit Kappa ein Konzerntarifvertrag Altersvorsorge: Das Unternehmen zahlt den rund 2.500 Beschäftigten, die unter den ver.di-Tarif fallen, einen Altersvorsorgebeitrag in Höhe von 33,33 Euro – also 400 Euro im Jahr. Die Summe steigt bis 2018 auf 600 Euro. Die Zahlung geht in den »Zukunftsfonds Medien, Druck und Papier«, den ver.di 2002 mit der HDI Versicherung ausgehandelt hat. Wer will, kann zusätzlich etwas vom Bruttolohn als Arbeitnehmeranteil dazugeben. Eine Verpflichtung hierzu besteht aber nicht. Der Arbeitgeberanteil fließt in jedem Fall.
Weniger rente – mehr Armut
Alterssicherung – gerecht und solidarisch. Beschlüsse des ver.di-Bundeskongresses zur Rentenpolitik: www.bit.ly/BukoRente