Arbeitgeber drücken sich
DRUCK+PAPIER: Um die klassischen Gefährdungen wie Stolperstellen, Strahlung, Lärm, Brand und Explosionen kümmern sich die meisten Betriebe. Aber nur jeder fünfte Betrieb ermittelt psychische Belastungen. Warum sind das so wenige?
Rolf Satzer: Im Gesetz sind weder Kontrollen noch Sanktionen vorgesehen. Es wäre Aufgabe des staatlichen Arbeitsschutzes, die Betriebe zu kontrollieren. Doch die Gewerbeaufsicht, eine Angelegenheit der Bundesländer, ist personell so ausgedünnt worden, dass von einem funktionierenden Arbeitsschutz keine Rede sein kann.
Weil keine Kontrolle zu fürchten ist, gibt es kaum Gefährdungsbeurteilungen?
So ist es. Das muss man sich mal im Straßenverkehr vorstellen. Als ob der Staat darauf vertraut, dass sich die Autofahrer freiwillig an die Tempolimits auf den Straßen halten. Das tut er aus gutem Grund nicht, sondern kontrolliert und droht mit zum Teil saftigen Bußgeldern und Fahrverboten.
Rolf Satzer Psychologe, Wissenschaftler, Berater zu Arbeit, Gesundheit, Qualifizierung und Technologie. Er hat ein eigenes Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen entwickelt.
www.rolf-satzer-fbu.net
Was steckt tatsächlich hinter der Verweigerung der Arbeitgeber?
Anders als bei den klassischen Gefährdungen geht es bei der Ermittlung von psychischen Belastungen um Themen wie Arbeitszeit,
Arbeitsorganisation, Arbeitsabläufe und letztlich Personalbemessung. Bei einer guten Gefährdungsbeurteilung landet ein Betriebsrat zum Beispiel genau da: Wie viel Personal ist
für welche Arbeit angemessen? Bei diesen Themen würden die Arbeitgeber die Betriebsräte am liebsten nicht mitreden lassen. Betriebsräte haben bei der Gefährdungsbeurteilung aber umfassende Mitbestimmungsrechte. Was ihnen das Bundesarbeitsgericht auch bestätigt hat.
Was ist zu tun, wenn der Arbeitgeber nichts tut und keine Gefährdungsbeurteilung in
die Wege leitet?
Betriebsräte müssen die Initiative ergreifen und können auch an einem Punkt ansetzen: Eine neue Schichtplanregelung gibt’s dann nur mit und nach einer Gefährdungsbeurteilung zur Arbeitszeit. Und notfalls vor die Einigungsstelle gehen, wenn der Arbeitgeber die Maßnahmen nicht umsetzen will.
Gefährdungsbeurteilungen machen viel Arbeit. Was hat der Betriebsrat davon?
Zunächst hat vor allem die Belegschaft etwas davon. Ein Beispiel: Bei einem Hersteller von Aufzügen war die Gefährdungsbeurteilung der Hebel für viele Verbesserungen. Das Personal wurde aufgestockt, die technische Ausstattung verbessert, die Beschäftigten wurden geschult und die Azubis übernommen. Dort haben sich fast alle Beschäftigten beteiligt. Verbesserungen sind machbar. Selbst wenn nicht sofort alles umgesetzt wird – Gefährdungsbeurteilungen sensibilisieren Belegschaften und geben Betriebsräten Argumentationshilfen gegenüber dem Arbeitgeber.
Arbeitsschutz ist Chefsache
Das Arbeitsschutzgesetz ist kürzlich 20 Jahre alt geworden. Der Bundestag ist mit dem Gesetz 1996 einer damaligen EG-Rahmenrichtlinie gefolgt. Jetzt geht es nicht mehr allein um den klassischen Arbeitsschutz wie Lärm, Hitze, Lasten, toxische Stoffe, sondern auch um Arbeitsabläufe, Arbeitszeit und Arbeitsmittel. Wichtigstes Element ist die Gefährdungsbeurteilung (§ 5 Arbeitsschutzgesetz). Darin steht, dass es die Pflicht des Arbeitgebers ist, Gefährdungen bei der Arbeit zu ermitteln und Maßnahmen einzuleiten.
Die ver.di Online-Handlungshilfe zur Gefährdungsbeurteilung wird laufend aktualisiert und ergänzt: www.verdi-gefährdungsbeurteilung.de
Das Online-Portal der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): www.gefaehrdungsbeurteilung.de
Infos der BG ETEM: www.bit.ly/BG-GefB
Zum Vertiefen für Fachleute: www.bit.ly/BAUA-GefB