Arbeit

Alle zusammen!

Es könnte eine mächtige Tarifbewegung werden: Beschäftigte in Druckereien und Redakteur/innen an Tageszeitungen streiten gemeinsam für mehr Geld. Und die Verlagsangestellten gucken nicht nur zu

Vor zwei Jahren ging es gerade noch einmal gut. 2014 wurde der Tarifabschluss der Druckindustrie für die Angestellten in den baden-württembergischen Zeitungsverlagen übernommen. Die Verlagsangestellten bekamen, was die Drucker/innen erstreikt hatten: drei Prozent mehr Gehalt im ersten Jahr und ein Prozent im folgenden Jahr. Früher war es üblich, dass die Zeitungsverleger den Abschluss der Druckindustrie ohne Änderungen übertrugen. Vor zwei Jahren stand diese Praxis auf der Kippe, weil die Verleger eigenständige Verhandlungen forderten. Am Ende akzeptierten sie das Tarifergebnis der Druckbranche schließlich doch noch.

Kein Automatismus mehr

Baden-Württemberg ist eine Ausnahme. In anderen Bundesländern gibt es diesen Automatismus schon seit Ende der 1990er nicht mehr. Die Zeitungsverleger orientieren sich nicht mehr am Abschluss der Druckindustrie, sondern setzen in eigenständigen Verhandlungen auf Einschnitte und Verschlechterungen. Das hat Folgen. Fast überall fallen die Tarifabschlüsse für Verlagsangestellte schlechter aus als in der Druckindustrie. Mal ist das Lohnplus niedriger, mal die Laufzeit länger, mal gibt es mehr Nullmonate. Ganz schlecht sieht das Ergebnis in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen aus: Dort erhielten die Zeitungsverlagsangestellten 2014 nur eine Einmalzahlung von 240 Euro – und keine dauerhafte Erhöhung.

Es gibt Angestellten-Abteilungen in Zeitungsverlagen, die bereit sind, sich für ihren Tarifvertrag einzusetzen und notfalls zu streiken. Doch Auslagerungen in tariflose Betriebe machen die Gegenwehr schwer. »Wir müssen insgesamt feststellen, dass sich viele Angestellte wenig für ihren Tarifvertrag engagieren«, sagt die bayerische ver.di-Landesfachbereichsleiterin Christa Hasenmaile.

Wie eine Tarifforderung entsteht

Bis eine Tarifforderung steht, hat sie einen langen Weg hinter sich. Die ver.di-Mitglieder debattieren bundesweit in den Bezirken über die Forderung und schicken ihre gewählten Tarifkommissionsmitglieder mit dem Beschluss in die Tarifkonferenz. Dort wird noch einmal beraten und schließlich über die Forderung abgestimmt.

Grafik: werkzwei, Detmold

An Übernahme gewöhnt

Und auch in Baden-Württemberg muss es nicht immer gut gehen. »Die Angestellten können sich künftig nicht mehr darauf verlassen, dass es ihre Kollegen und Kolleginnen aus der Druckindustrie schon richten werden«, hieß es in einem ver.di-Flugblatt aus Stuttgart von 2014. »Das haben viele Angestellte bei uns bereits vergessen oder befassen sich nicht damit«, sagt Elke Lang, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der »Heilbronner Stimme«. Sie hätten sich daran gewöhnt, dass der Abschluss der Druckindustrie auch das nächste Mal wieder übernommen werde.

Aktuelle Tarifrunden

Wer von höheren Löhnen profitiert

Zunächst einmal gelten Tariferhöhungen für alle Gewerkschaftsmitglieder in tarifgebundenen Unternehmen. Denn nur sie haben einen Anspruch auf tarifliche Leistungen. Allerdings weiß jeder, dass die Tarifregelungen für Nicht-Mitglieder in der Regel ebenfalls gelten. Das ist ungerecht. Der Arbeitgeber tut das, um sie nicht durch schlechtere Arbeitsbedingungen und Einkommen zum Gewerkschaftseintritt zu bewegen. Wichtig ist, Kollegen und Kolleginnen, die noch nicht Mitglied sind, zu erklären, warum sie mit ihrer Haltung die Arbeitnehmerseite schwächen und die der Arbeitgeber stärken.

Wer höhere Löhne und Gehälter durchsetzt, tut aber nicht nur etwas fürs eigene Konto, sondern wirkt indirekt auch auf tariflose Betriebe und den gesetzlichen Mindestlohn.

Das geht so: Im Westen arbeitet jeder zweite Beschäftigte in einem Betrieb mit Branchentarifvertrag. Darüber hinaus profitiert fast ein weiteres Drittel von tariflichen Leistungen, weil der Betrieb einen Firmentarifvertrag anwendet oder sich am Tarifvertrag orientiert. Im Osten, wo die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder niedriger ist, sieht es mit der Tarifbindung schlechter aus. Für nicht mal jeden Dritten gilt ein Branchen- oder Firmentarifvertrag. Aber 30 Prozent der Beschäftigten in tariflosen Firmen profitieren davon, dass sich der Arbeitgeber am Tarif orientiert.

Tariferhöhungen haben auch positive Folgen für den gesetzlichen Mindestlohn. Der liegt zurzeit bei 8,50 Euro pro Stunde. Bis zum 30. Juni 2016 soll die Mindestlohnkommission über eine Anpassung entscheiden. Orientierung sollen die Tarifabschlüsse sein. Schaut man sich die Tarifentwicklung der beiden vergangenen Jahre an, sollte die Erhöhung knapp 50 Cent betragen. Das hat Thorsten Schulten, Mindestlohnexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, errechnet. Damit läge der Mindestlohn bei knapp neun Euro. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske hält das immer noch für zu wenig und fordert zehn Euro pro Stunde. Schließlich soll die Kommission bei ihrer Empfehlung neben der Tarifentwicklung noch andere Faktoren einbeziehen, etwa wie positiv sich der Mindestlohn auf den Arbeitsmarkt und die Volkswirtschaft auswirkt.

Kommentar

Mitmischen statt zugucken

Stellenanzeige: »Wir bieten eine 40-Stunden-Woche (locker mehr), ein leistungsabhängiges Gehalt, 24 Tage Urlaub und kleine Extras, wenn wir mit Ihnen zufrieden sind.« Klingt nicht prickelnd. Kein Urlaubsgeld, 
keine Jahresleistung, ein unsicheres Gehalt, 
zu wenig Urlaub und eine lange Arbeits-
woche.

Doch so sehen Arbeitsbedingungen aus, wenn sich Arbeitgeber durchsetzen und keine Gewerkschaft sie daran hindert. ver.di kann aber nur dann ordentliche Tarifverträge abschließen, wenn es genügend widerständige Mitglieder in den Betrieben gibt. Wie in der Druckindustrie, wo Helfer/innen und Facharbeiter/innen eins ums andere Mal ihren Tarifvertrag verteidigen und verbessern. Ebenso wie Redakteure und Redakteurinnen an Tageszeitungen. Nur die Angestellten in Druckereien und Verlagen überlassen – bis auf Ausnahmen – die Durchsetzung einer Tariferhöhung anderen. Zeit, dass sich das ändert. Weil die gesamte Branche in Tarifauseinandersetzungen steckt, sind die Voraussetzungen, gemeinsam Stärke zu beweisen, besser denn je.

Also: Mitmischen statt zugucken. Danach fühlt sich das erkämpfte Tarifplus auch viel besser an. Versprochen.