Künstliche Intelligenz

»KI sprießt wie Fußpilz«

Ob Grafik, Verwaltung oder Leser*innen-Service: Verlage setzen zunehmend auf künstliche Intelligenz | Entlastung durch Chatbots | Risiko von Jobverlusten

Fragen wir doch erst einmal ChatGPT: Wie wird künstliche Intelligenz die Arbeit in Verlagshäusern verändern? Die Antwort des Sprachbots, dessen Veröffentlichung im vergangenen Jahr einen regelrechten KI-Hype auslöste, fällt länglich aus. Kurz zusammengefasst: Es braucht schon noch Menschen. Aber dank künstlicher Intelligenz halt nicht mehr so viele.

Das entspricht ziemlich genau der Zukunftsvision, die Vorstandschef Mathias Döpfner für den Axel-Springer-Konzern ausgegeben hat (siehe hier). In anderen Medienhäusern bekennt man sich zu solchen KI-gestützten Kahlschlagträumen indes noch nicht. Bei der jüngsten Trendumfrage des Bundesverbands der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) erklärte die übergroße Mehrheit der befragten Manager*innen, KI einsetzen zu wollen, um den Beschäftigten neue Freiräume zu geben und die Arbeit effizienter zu machen. Auf diese Weise Stellen streichen wollten nur 17 Prozent.

Fast überall wird experimentiert

Die Angaben beziehen sich auf die Redaktionen, wo ChatGPT vielerorts bereits selbstverständlich genutzt wird: als Inspirationsquelle, zum Kürzen von Artikeln oder um sich Überschriften vorschlagen zu lassen. Doch auch in anderen Verlagsbereichen breiten sich Anwendungen künstlicher Intelligenz immer weiter aus. »KI sprießt wie Fußpilz«, sagt der IT-Mitarbeiter eines großen Medienunternehmens. Von Layout und Grafik über Finanzbuchhaltung und Personalwesen bis zur Betreuung der Abonnent*innen: Fast überall wird mit den neuen Digitaltechnologien experimentiert. Das muss für die Beschäftigten nicht unbedingt eine schlechte Nachricht sein. KI kann nervtötende Routineaufgaben übernehmen, Zeit sparen und erledigt manches auch besser als Laien, zum Beispiel Übersetzungen. Bei der Heise-Gruppe in Hannover, die unter anderem die Computerzeitschrift c’t herausgibt, nutzen die Illustrator*innen bereits seit einem halben Jahr Midjourney – eine sogenannte generative KI, die Textbefehle in Bilder umsetzt. Arbeitsplätze, sagt Betriebsrätin Anja Dannenberg, habe das keine gekostet. »Die Kolleg*innen waren vorher allerdings auch an der oberen Belastungsgrenze.«

Kürzlich hat Heise zudem ein Unternehmen gekauft, dessen Software die internen Arbeitsabläufe KI-unterstützt verbessern soll. Noch sei unklar, in welchen Bereichen das neue System eingesetzt werden soll, berichtet Anja Dannenberg. Eine Möglichkeit: die Entwicklung eines Chatbots, der Anfragen von Leser*innen zu Computerthemen beantwortet. Bislang müssten das die ohnehin viel beschäftigten Redaktionsassistenzen miterledigen. »Auch sie werden eher froh sein, entlastet zu werden.«

Erhebliches Einsparpotenzial

Künstliche Intelligenz kann die Arbeit erleichtern – und manchmal sogar neue Jobs schaffen. So hat die Haufe Group in Freiburg, zu deren Portfolio die redaktionelle Aufbereitung steuer- und arbeitsrechtlicher Fachinformationen gehört, für die Nutzbarmachung von KI zusätzliches Personal eingestellt.

Das ist die eine Seite. Aber es gibt auch die andere. Die Nordwest-Zeitung in Oldenburg erprobt derzeit ein KI-gestütztes Layoutsystem. Noch funktioniert es, wie zu hören ist, nicht gut genug, als dass auf die Blattmacher*innen verzichtet werden könnte. Aber das ist das Ziel – auch wenn den betroffenen Beschäftigten erst einmal nur die Versetzung droht: Vor dem Beginn des Projekts wurde vereinbart, dass niemandem deswegen betriebsbedingt gekündigt werden darf.

Zusammen mit dem Bremer Weser-Kurier testet die Nordwest-Zeitung seit dem vergangenen Sommer zudem einen Sprachroboter, der im ausgelagerten Leser*innen-Service der beiden Tageszeitungen zum Einsatz kommt. Nicht um Personal zu entlassen, sondern um die steigende Zahl von Anrufen zu bewältigen, wie es heißt. Doch das stolz verkündete Zwischenergebnis zeigte, wie groß das Einsparpotenzial sein könnte: Bereits fast ein Viertel der Zustellreklamationen habe die KI ohne Zutun eines Menschen erledigen können. Einige andere Verlagshäuser haben ähnliche Versuche gestartet und in ihren Serviceabteilungen damit für Unruhe gesorgt. »Die Leute, die da arbeiten, haben Angst«, sagt ein Betriebsrat.

KI braucht Regeln

Eines der Unternehmen, die für den Dialog mit den Leser*innen auf Voicebots setzen wollen, ist die Funke Mediengruppe. Der Verlag, dem unter anderem Hamburger Abendblatt, Westdeutsche Allgemeine Zeitung und Hörzu gehören, interessiert sich sehr für KI.

»Das ist an vielen Stellen noch in der Denkphase«, sagt Betriebsrätin Nina Estermann. »Ich gehe aber davon aus, dass nicht nur im Service, sondern auch in Buchhaltung, Rechnungslegung und Personalwesen etwas kommen wird.«

Der Konzernbetriebsrat möchte deshalb in den nächsten Monaten eine Rahmenbetriebsvereinbarung aushandeln, die Grundsätzliches zum KI-Einsatz regelt. Dass nie allein die Maschine entscheiden darf, beispielsweise. Dass extern wie intern transparent gemacht wird, wo KI drinsteckt. Dass es Qualifizierung geben muss – für die, die mit KI arbeiten, ebenso wie für die, deren Jobs wegfallen. Auch bei Heise strebt der Betriebsrat eine derartige Vereinbarung an. Inklusive Regelungen zur Beschäftigungssicherung, wie Betriebsrätin Anja Dannenberg betont. Denn dass es wirklich nur der Entlastung dienen wird und nicht doch zulasten von Arbeitsplätzen gehen könnte, wenn eine KI künftig E-Mails formuliert oder Geschäftszahlen für das Controlling zusammenstellt, darauf will man sich lieber nicht verlassen.

Was ist künstliche Intelligenz?

Künstliche Intelligenz (KI) umfasst unterschiedliche – und auch unterschiedlich weit gehende – Versuche, Maschinen das eigenständige Lernen, Entscheiden und Problemlösen beizubringen. Manches davon ist längst alltäglich, etwa Übersetzungstools, Sprachassistenten fürs Handy oder die Empfehlungsalgorithmen von Facebook, Amazon & Co. Wenn heute über KI gesprochen wird, ist aber meist sogenannte generative KI gemeint, die sekundenschnell Texte, Bilder oder Videos produziert. Am bekanntesten: der Sprachbot ChatGPT. Alle KI-Anwendungen haben jedoch gemeinsam, dass sie nichts verstehen, sondern menschliches Denken und menschliche Kreativität lediglich imitieren.

Während traditionelle Software nach feststehenden Regeln funktioniert (»wenn dies, dann das«), kann KI dazulernen. Erste Versuche gab es schon vor Jahrzehnten. Doch die gigantischen Serverkapazitäten der Gegenwart haben der Technologie einen Schub verliehen. Denn je größer die Datenmengen sind, mit denen eine KI trainiert wird, desto zuverlässiger erkennt sie auch hochkomplexe Muster, nach denen sie dann entscheiden kann. Wichtig: Dabei geht es nicht um echtes Wissen, sondern nur um Wahrscheinlichkeiten. ChatGPT zum Beispiel lernt, welche Wörter in Texten zu einem bestimmten Thema vorkommen und wie sie aufeinander folgen können. Auf dieser Grundlage kombiniert der Chatbot seine Antworten. Ob ein Ergebnis inhaltlich richtig oder falsch ist, kann eine KI nicht beurteilen.