Arbeitsorganisation

Zum Zoomen in die Box

Christiane Göbel bucht ihren Arbeitsplatz immer über die App. Andere Kolleg*innen tun das nicht. Sie setzen sich, wo ein Schreibtisch frei ist. »Das verfälscht die Zahl der Buchungen und bestärkt die Geschäftsführung womöglich darin, noch mehr Flächen abzumieten«, moniert der Betriebsrat. Der versucht gerade, die zunehmende Büroverdichtung durch die Geschäftsführung abzuwehren.

Die Arbeitsplätze bei Giesecke+Devrient sind in Homebases unterteilt, getrennt nach Betrieben, denen die Beschäftigten zugeordnet sind. Woanders heißen die betrieblichen Heimatstationen Nachbarschaften. Das Ziel ist gleich: mehr Zusammengehörigkeit, mehr Produktivität.

Unternehmen wollen einerseits Büroflächen einsparen; andererseits wünschen sie mehr Präsenz im Büro, um die Nachteile von Homeoffice und Desksharing auszugleichen. Etwa den fehlenden sozialen Kontakt zu Kolleg*innen. Neueingestellte seien schneller bereit, für ein besseres Angebot das Unternehmen zu wechseln, erzählt eine Betriebsrätin. Aber alle ins Büro zu beordern, damit der soziale Kontakt wieder funktioniert, können sich besonders Branchen mit vielen unbesetzten Stellen nicht leisten. Hybrides Arbeiten (im Büro und mobil) gehört für Bewerber*innen zur Standardanforderung.

Auf dass die Ideen nur so sprudeln!

Deshalb setzen Unternehmen Anreize, damit Beschäftigte wieder öfter im Büro arbeiten. Gemeinsames Wandern oder Kochen, Sommerfeste und Adventsfeiern – alles, was hilft, die Zusammenarbeit zu befördern. Oder sogenannte All-hands Meetings, zu Deutsch: Führungskräfte und Teammitglieder treffen sich zu Vorträgen oder der Präsentation neuer Projekte. Dort gibt es Gesprächsstoff, Kontakte, Schnittchen.

Das reicht nicht. Ob die Teams produktiv im Büro arbeiten, ist abhängig davon, wie gut die Arbeitsplätze gestaltet sind. Also: Loungeecken, offene Bereiche mit mehreren Arbeitsplätzen, kleine Büros für konzentriertes Arbeiten, geschlossene Besprechungsräume, Telefonboxen, freundlich, farbig, modern, ergonomisch.

So ähnlich wie bei der Süddeutschen Zeitung Digitale Medien. Seit Anfang Oktober wird im 19. und 20. Stockwerk des Hochhauses in München umgebaut. Wände werden nicht versetzt, Türen nicht entfernt und die Sofas nicht abgeschafft. Dennoch verändert sich mit Desksharing die Arbeitsorganisation. Vieles werde auf einer Pilot-Etage ausprobiert, sagt Geschäftsführer Johannes Hauner. So würden die ersten Trennwände wieder entfernt werden, weil sie zu wenig Schall absorbiert hätten, und durch andere ersetzt. »Wir testen uns durch bis zur besten Lösung, so wie wir das auch bei der digitalen Produktentwicklung machen.«

Mehr Lärm, mehr Enge

Persönliche Schreibtische gibt es in den interdisziplinären Teams, die die digitalen Produkte der Süddeutschen Zeitung entwickeln, nicht mehr. Aber für die gut 100 Beschäftigten werde auch in Zukunft ein Arbeitsplatz zur Verfügung stehen, sollten alle gleichzeitig im Büro arbeiten wollen, erklärt die Geschäftsführung. Darauf legt auch der Betriebsrat Wert. Andernfalls müsse das Unternehmen die Kosten für eine ergonomische Ausstattung im Homeoffice bezahlen.

Geschäftsführer Johannes Hauner ist zufrieden mit den ersten Schritten des Umbaus. Andere weniger. Statt einem seien nun zwei Entwicklungsteams im Großraumbüro untergebracht. Statt sich wie früher auf kurzem Weg zu verständigen, säßen jetzt oft Leute zusammen, die nicht zusammengehörten. Und für Besprechungen müssten sich die Teammitglieder auf die Suche nach einem geeigneten Platz machen. »Weil Softwareentwicklung Konzentration braucht, bleiben viele Kolleg*innen lieber auf eigene Kosten im Homeoffice, um ungestört zu arbeiten«, hat Softwareentwicklerin und Betriebsrätin Patricia Jung beobachtet. Was wiederum den Austausch im Team erschwere.

Mit Desksharing gibt es mehr Unruhe, Lärm, Enge. Und Platz spare das neue Arbeitsmodell auch nicht. Anders als geplant werde fast das gesamte 19. Stockwerk zusätzlich gebraucht, berichtet der Betriebsratsvorsitzende Andreas Friedl. Eines schätzen aber auch die Kritiker*innen: die höhenverstellbaren Schreibtische, die guten Bürostühle und in Höhe und Tiefe veränderbare Monitore. »Eigentlich eine Selbstverständlichkeit«, sagt der Betriebsratsvorsitzende.

Der Drang der Belegschaft, zu Hause zu arbeiten, sei groß, sagen Betriebsräte. Die frühere Betriebsvereinbarung, wonach bis maximal 50 Prozent der Arbeitszeit im Homeoffice gearbeitet werden darf, kippte der Betriebsrat der VRM (Mainzer Allgemeine Zeitung) auf Drängen der Belegschaft. Nun heißt es lediglich, dass 100 Prozent Homeoffice nicht möglich ist. »Viele Beschäftigte arbeiten regelmäßig von zu Hause aus«, erklärt Betriebsratsvorsitzender Andreas Kunert-Werneburg. Die Geschäftsleitung hat angeordnet, dass jede Abteilung 30 Prozent der Arbeitsplätze einzusparen hat. Die Umgestaltung zum Desksharing soll bis zum Frühjahr 2024 umgesetzt sein, geplant sind vier sogenannte Nachbarschaften. Persönliche Gegenstände werden bis dahin von den Schreibtischen verschwinden. Stattdessen erhält jede*r ein Körbchen für persönliche Stifte und einen abschließbaren Schrank.

Redakteur Daniel Holzer findet es nicht gut, demnächst keinen eigenen Schreibtisch mehr zu haben. »Mein Arbeitsplatz ist mein Zuhause im Büro. Muss ich jeden Tag woanders sitzen, entsteht ein Gefühl von Beliebigkeit, als wäre man austauschbar.«

In der VRM sei Desksharing ein Mittel, um Geld zu sparen, sagt der Betriebsrat. Es sei zu befürchten, dass sich die Zusammenarbeit der Teams verschlechtere. »Wir werden durch diese Arbeitsorganisation immer weniger mitbekommen, wie es den Kolleg*innen geht«, sagt Betriebsratsvorsitzender Andreas Kunert-Werneburg. Die Folgen von Vereinsamung und psychischer Belastung würden in den nächsten Jahren sichtbar.

Mobile Arbeit

Unternehmen legen Wert darauf, die Arbeit zu Hause mobile Arbeit (oder Homeoffice) zu nennen, und vermeiden den Begriff »Telearbeit« aus der Arbeitsstättenverordnung. Dann wäre der Arbeitsplatz so auszustatten wie im Büro – mit ergonomischen Möbeln, Eingabegeräten, Bildschirm, Beleuchtung etc. Das gilt fürs Homeoffice nicht.