Arbeitszeit

Vier-Tage-Woche – Fake oder Fortschritt?

Gewerkschaften fordern Verkürzen statt Umverteilen

Nur vier Tage statt fünf pro Woche arbeiten. Das klingt nach mehr freier Zeit für Familie, Hobbys und Sport. Tatsächlich sollen Beschäftigte bei einer kürzeren Arbeitswoche produktiver sein, weniger gestresst und seltener krank. Das ergaben Pilotprojekte in Großbritannien.

Etliche Unternehmen testen die Vier-Tage-Woche und hoffen, damit attraktiver für Fachkräfte zu werden. Auch die Beschäftigten sind dafür: Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung wünschen sich 81 Prozent der befragten Vollzeitkräfte, einen Tag pro Woche weniger zu arbeiten.

Nicht aber bei der tarifgebundenen Druckerei Haubold im nordhessischen Eschwege. Dort stimmten fast 88 Prozent der Wechselschichtarbeiter gegen den Plan ihres Chefs. Geschäftsführer Ingo Eichholz wollte die 35 Wochenstunden umverteilen: Alle 14 Tage sollte der Freitag frei sein. Davon erhoffte er sich, den Energieverbrauch zu verringern und weitere Kosten durch eine höhere Produktivität auszugleichen.

Doch daraus wird vorerst nichts. Eine Arbeitszeit von acht Stunden an fünf und 7,5 Stunden an vier Tagen lehnten die Schichtarbeiter ab. »Die Spätschicht macht mir jetzt schon zu schaffen. Man fühlt sich wie gerädert«, berichtet ein Drucker.

Hinter dem Schlagwort der Vier-Tage-Woche verstecken sich unterschiedliche Modelle. Zum Beispiel in einer Tischlerei in Hamburg. Die 15 Beschäftigten haben freitags frei und arbeiten an vier Tagen jeweils zehn Stunden. Ein solches Modell nennt der Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Josef Bontrup »Arbeitszeitverkürzungs-Fake«, weil die Wochenarbeitszeit nicht verkürzt, sondern nur anders verteilt wird. Außerdem darf die tägliche Arbeitszeit nach dem Gesetz acht Stunden nicht überschreiten.

Ein anderes Modell wird in einem Einrichtungshaus in Oldenburg erprobt. Dort arbeiten einige Beschäftigte 36 statt 40 Stunden in der Woche – zwei davon sind unbezahlt. Auch das lehnt Bontrup ab. Arbeitszeitverkürzungen mit Einkommenskürzungen seien genauso ein Arbeitszeitverkürzungs-Fake, den sich so gut wie keiner leisten könne, sagte der emeritierte Professor der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen Bocholt Recklinghausen in der Frankfurter Rundschau. Er fordert, die Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu verkürzen.

»Selbstverständlich muss es vollen Lohnausgleich geben«, sagt die IG Metall in Nordrhein-Westfalen und fordert für die Beschäftigten der Stahlindustrie in der kommenden Tarifrunde, die Wochenarbeitszeit von 35 Stunden an fünf Tagen auf 32 Stunden an vier Tagen zu senken.

Übrigens: Knapp 73 Prozent der Vollzeitkräfte wollen laut der Hans-Böckler-Stiftung nur dann kürzer arbeiten, wenn der Lohn gleich bleibt.

Erholung nicht garantiert

Manch ein Unternehmen verteilt eine lange Wochenarbeitszeit kurzerhand auf vier Tage: Das macht bis zu zehn Stunden täglich. Arbeitswissenschaftler Friedhelm Nachreiner hält nichts davon.

DRUCK+PAPIER: Welche gesundheitlichen Folgen haben Arbeitszeiten jenseits der täglich acht Stunden?

Friedhelm Nachreiner: Arbeiten über acht Stunden hinaus schaden der Sicherheit und der Gesundheit. Zuerst zeigen sich Ermüdungserscheinungen. Menschen können die Arbeit dann nicht mehr so sicher ausführen und machen mehr Fehler. Damit steigt das Risiko von Unfällen, aber auch von Krankheiten und gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Magen-Darm- oder auch psychischen Problemen.

Viele junge Leute trauen sich Arbeitszeiten von mehr als acht Stunden am Tag zu.

Sie irren! Erholung lässt sich nicht aufschieben. Ermüdung merkt man anfangs nicht. Wenn man sie merkt, ist es zu spät. Ähnlich ist es bei der Lebensarbeitszeit. Je älter Beschäftigte werden, desto stärker merken sie, dass sie die Belastung nicht auf Dauer durchhalten können, und steigen vorzeitig aus.

Wer nur vier Tage arbeitet, hat drei Tage frei. Ist das nicht gut für die Erholung?

Bei der Abstimmung mit dem Leben in der Familie und mit Freunden kann die Verkürzung sicher hilfreich sein. Aber eine längere freie Zeit nach vier Arbeitstagen hat nicht die gleiche Wirkung wie Freizeit nach einem kurzen Arbeitstag.

Friedhelm Nachreiner, Psychologe und Arbeitswissenschaftler, ehemals Professor an der Universität Oldenburg, ist heute Vorsitzender der GAWO (Gesellschaft für arbeits-, wirtschafts- und organisationspsychologische Forschung).
Foto: privat