ver.di intern

Von Krisen, Häuserkämpfen und Paukenschlägen

Bundeskonferenz der Fachgruppe Druck, Verlage, Papier und Industrie: Wahlen, Berichte, Diskussionen

»Wir erleben nicht nur eine Krise, sondern eine Vielfachkrise.« Finanzmarktkrise, Eurokrise, Schuldenkrise, Krieg in der Ukraine, Klimakrise, Legitimationskrise der Demokratie, sagte Alfred Roth, Mitglied des Bundesfachgruppenvorstands, auf der Bundesfachgruppenkonferenz Mitte Februar in Berlin. Neoliberale Strategien der Krisenlösung bestünden darin, Wirtschaft frei von staatlichen Eingriffen zu halten und frei von Mitbestimmung durch Betriebsräte und Gewerkschaften. Der herrschenden Klasse und ihren politischen Eliten ginge es allein darum, ihre Profite zu steigern und die Einkommen der Beschäftigten auf ein Minimum zu beschränken. »Wir haben es seit vielen Jahren mit einer Intensivierung der Ausbeutung und sozialen Schieflage zu tun.«

Im ver.di-Haus am Paula-Thiede-Ufer in Berlin tagten am 11. und 12. Februar drei Bundesfachgruppenkonferenzen gleichzeitig. Delegierte tauschten Einlasskärtchen gegen rote Stimmkarten, streiften Bänder mit ihrem Namensschild über und verteilten sich auf ihre Konferenzräume. Im unteren Stockwerk waren die Kolleg*innen von Druck, Verlage, Papier und Industrie platziert. Kurz: DVPI. An dieser ungewohnten Abkürzung wird sich so manch einer am Mikro verholpern.

Meistens einstimmig

Die Bundesfachgruppenkonferenz als höchstes Organ der Fachgruppe tagt alle vier Jahre. Delegierte – auf den Konferenzen der Landesbezirke gewählte ver.di-Mitglieder – diskutieren den Geschäftsbericht, wählen und legen den Kurs der Fachgruppe fest.

Alles ist digitalisiert: Redelisten, Tagesordnungen, Anträge werden in Echtzeit aktualisiert und an die Leinwand projiziert. Delegierte können sich von ihrem Platz aus auf die Redeliste setzen und holen sich per Autopilot den überarbeiteten Antrag auf den Laptop. Nur abgestimmt wird per Handzeichen.

Moderne Technik, alte Probleme. Und noch ein paar neue wie die Covid-Pandemie. Die trieb die Druckindustrie noch stärker in die Krise. Ständige Themen für Betriebsräte und ver.di sind die Forderungen der Unternehmen, Kosten zu senken, Personal abzubauen, aus der Tarifbindung zu gehen. Immer wieder werden Druckbetriebe komplett geschlossen.

Schwierige Zeiten für die Tarifpolitik. Der Manteltarifvertrag in der Druckindustrie steht seit Jahren auf der Kippe. Mit Streiks gelang es 2019, den Tarifvertrag ohne Abstriche wieder in Kraft zu setzen. Es folgte eine Verlängerung während der Covid-Pandemie und eine weitere bis zum 31. Oktober 2024.

»Die Taktik der Unternehmer ist immer die gleiche«, kritisierte Thomas Dörr in seinem Redebeitrag. Die Beschäftigten behielten den Manteltarifvertrag, müssten sich im Gegenzug aber mit geringen Lohnsteigerungen zufriedengeben. Die einst guten Einkommen der Druckindustrie würden im Vergleich zu anderen Branchen abgehängt; gleichzeitig existierten immer weniger tarifgebundene Betriebe. In Rheinland-Pfalz seien es nur noch zwei. Die Folge: »Wir befinden uns permanent im Häuserkampf«, so der Betriebsratsvorsitzende der Görres-Druckerei. Soll heißen: Ohne Tarifbindung müsse jeder Betrieb für sich allein bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld durchsetzen.

Den Manteltarifvertrag wollte sich Torsten Friedrich nicht schlechtreden lassen. »Der hat einen hohen Wert und geschenkt kriegt man ihn nicht.« Man sei im Abwehrkampf – um das zu ändern, müssten sich mehr Belegschaften in den Tarif zurückkämpfen, so der Appell des Betriebsratsvorsitzenden der Druckerei des Süddeutschen Verlags.

Redebeiträge

Als fatales Signal bezeichnete Alfred Roth, altes und neues Mitglied des Bundesfachgruppenvorstands, die Äußerung der DGB-Bundesvorsitzenden Yasmin Fahimi zum Jahreswechsel, jetzt sei nicht die Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten. Im Gegenteil. Die Klassengegensätze hätten sich in den vergangenen 20 Jahren zunehmend verschärft.

Gewerkschaftsmitglieder sind glücklicher

Pausengespräche

Zentrales Thema war für Roth die digitale Transformation in der Arbeitswelt, beschleunigt durch die Pandemie. Unternehmen nutzten mobile Arbeit, Projektgruppen und agile Arbeitsmethoden, um Arbeitsplätze durch Desksharing abzubauen, Arbeit zu flexibilisieren und Betriebskosten auf Beschäftigte abzuwälzen. »Gerade dann, wenn die Energie teuer wird, kommen die Unternehmer auf die Idee, uns nach Hause zu schicken.« Sie setzten darauf, dass Beschäftigte unbezahlt mehr arbeiteten und allzeit erreichbar seien. Als Aufgaben der Fachgruppe skizzierte Roth: mehr Kolleg*innen in der Gewerkschaft organisieren, höhere Löhne durchsetzen, Ausbildung stärken und gewerkschaftliche Bildungsarbeit intensivieren. Apropos Ausbildung: Die Zahl der Ausbildungsverträge in der Druck- und Verpackungsindustrie geht kontinuierlich zurück. In manchen Berufen werden bis zu einem Drittel der Ausbildungsplätze nicht besetzt. Warum das so ist, versuchte der Bundesverband Druck und Medien in seiner Umfrage 2022 herauszufinden. »Ungeeignete Bewerbungen« war die häufigste Antwort.

Trotz fehlender Fachkräfte werden ausgelernte Azubis allerdings nicht immer übernommen. Hier scheint in den Betrieben etwas im Argen zu liegen: 43 Prozent der Unternehmen gaben an, die frisch ausgebildeten Fachkräfte wegen angeblich fehlender Eignung nicht weiter zu beschäftigen. Fast die Hälfte der Ausgebildeten wollten allerdings von sich aus nicht bleiben, berichtete Anette Jacob, Geschäftsführerin des ZFA – einer gemeinsamen Einrichtung von ver.di und dem Bundesverband Druck und Medien.

Mehr Mitglieder gewinnen – das war der Tenor der Konferenz. Gründe für die Gewerkschaft gebe es genug, machte Tarifsekretär Holm Sieradzki deutlich. Gewerkschaften hätten sich als Krisenmanager bewährt – außerdem: »Gewerkschaftsmitglieder sind glücklicher!«

Der neue Bundesfachgruppenvorstand von Druck, Verlage, Papier und Industrie.

Zu Ende fusioniert

Aus 13 Fachbereichen machte ver.di fünf. Die Fachgruppe Druck, Verlage, Papier und Industrie (DVPI) gehört nun zum Fachbereich A – gemessen an den Mitgliederzahlen die drittgrößte von 13 Fachgruppen. Die 51 Delegierten der Konferenz wählten unter anderem den Bundesfachgruppenvorstand, die Tarifkommissionen Druckindustrie und Papierverarbeitung sowie die Tarifausschüsse Zeitungsverlage und Buch- und Zeitschriftenverlage.

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Unbarmherzig

Es gibt Momente auf einer Konferenz, die dazu einladen, sich mit irgendwas anderem zu beschäftigen. So ein Moment ist gekommen, wenn der Bericht der Mandatsprüfungs- und Wahlkommission aufgerufen wird. Allein der Begriff löst Assoziationen von Verwaltungsvorgängen aus, an deren Ende der Bürger und die Bürgerin erschöpft daniedersinken. Die Aufmerksamkeit der Delegierten schwindet dahin. Frauenquote erreicht – ja schön. Jugendquote nicht – selber schuld; sollen sie halt kommen, wollen doch sonst immer und überall mitreden. Seniorenmandat erfüllt – wen wundert’s. Lauter Grauschöpfe.

Dann hebt Torsten Friedrich seine Stimme – im richtigen Leben Betriebsratsvorsitzender der Druckerei des Süddeutschen Verlags, Sprecher jener Kommission, deren hervorragendste Kompetenz das Zählen ist. Er schaut vom Pult hinunter und sieht, wie der Gott des Schlafs seine Flügel über die Versammlung ausgebreitet hat, was ihn angesichts seiner redlichen Bemühungen erzürnt. Und er verspricht, sich zu rächen. »Das Durchschnittsalter auf dieser Konferenz«, die Stimme plätschert an halb offenen Ohren vorbei, »beträgt 74,5 Jahre.« Die Wirkung ist nicht kleiner als in Haydns Sinfonie, als der die Paukenschläger anwies, mit dicken Stöcken unbarmherzig dreinzuschlagen. Der Kommissionsvorsitzende hat jetzt die volle Aufmerksamkeit. Sorry, ein Versprecher: 20 Jahre weniger. 54,5 Jahre ist das Durchschnittsalter. Ziemlich jung.