Corona-Krise

»Zu viel Aufregung um wirtschaftliche Verluste«

Sozialethiker Professor Bernhard Emunds: Reichen Vermietern sind Verluste zuzumuten | Nach der Krise Vermögende zur Kasse bitten | Für gerechten Ausgleich sorgen

DRUCK+PAPIER: Wie trifft die Krise die 
Menschen in Deutschland wirtschaftlich?

Bernhard Emunds: Es gibt Akteure, die keine materiellen Einbußen haben oder sogar profitieren. Daneben gibt es viele Menschen, die in arge Nöte geraten sind. Ökonomisch mit am schlimmsten betroffen sind diejenigen, die jetzt in eine Überschuldung rutschen. Das sind nicht nur Unternehmen. 
In die Überschuldung geraten auch private Haushalte, häufig durch Mietschulden, die aktuell gestundet werden, aber doch spätestens im Sommer 2022 gezahlt werden müssen. Dazu werden viele Haushalte mit niedrigem Einkommen nicht in der Lage sein. Deshalb sollte man im nächsten Jahr prüfen, ob Vermieter überhaupt auf diese Mietzahlungen angewiesen sind. Falls nicht, sollten sie die Verluste tragen. Bei den anderen müsste der Staat einspringen, sollte sich dies jedoch später von den dann gut verdienenden Vermietern wieder zurückholen.

Aber es geht doch nicht nur um Mietschulden.

Richtig. Zwischen Profiteuren und Verlierern insgesamt muss es nach der Krise einen gerechten Ausgleich geben. Zugleich wird man dann wohl auch die Staatsverschuldung wieder reduzieren müssen.

Professor Dr. Bernhard Emunds leitet das Oswald-Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik in Frankfurt am Main. Er 
ist Finanzwirtschaftler, Theologe und Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Dabei gilt das Prinzip der Solidarität: Starke Schultern müssen auch schwerere Lasten tragen. So könnte man zum Beispiel jenseits eines bestimmten Einkommens einen Zuschlag auf die Einkommensteuer erheben. Oder eine Vermögensabgabe, die diejenigen zur Kasse bittet, die über Jahrzehnte Profiteure eines massiven Anstiegs der Vermögenswerte waren.

Selbst zaghafte Vorstöße in diese Richtung haben zu heftigen Protesten seitens der Betroffenen geführt. Wer soll diese Maßnahmen durchsetzen?

Aktuell können Ökonominnen oder Wirtschaftsethiker diese Probleme ansprechen. Politische Kräfte können es nicht; das akute Management der Krise steht im Vordergrund. Aber für die Zeit nach dem Lockdown brauchen wir einen konkreten, gut ausgearbeiteten Vorschlag, den dann starke gesellschaftliche Kräfte vertreten. Ich denke da an Gewerkschaften, an linke und an sozial aufgeschlossene Parteien, auch an die Kirchen.

Wenn Sie sich die gegenwärtigen Maßnahmen anschauen: Haben sie das richtige Verhältnis in der Abwägung zwischen Interessen der Wirtschaft und dem Schutz von Gesundheit und Leben getroffen?

Die Regierung hat – abgesehen von Details – den richtigen Weg eingeschlagen, um Leid zu verhindern, Leben zu retten. Klar, dieser Weg ist für viele Menschen mit erheblichen Belastungen verbunden, sei‘s durch die soziale Isolation Älterer, häusliche Gewalt, durch Arbeitslosigkeit und den Verlust wirtschaftlicher Existenzen. All das muss mit abgewogen werden.

Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass es zu viel Aufregung gibt über wirtschaftliche Verluste. Wichtig ist, dass alle auskömmliche Einnahmen haben. Doch jetzt, wo weite Teile der Wirtschaft eingefroren sind, werden eben auch einige wirtschaftliche Vorteile, die weit darüber hinausgehen, nicht realisiert. Auch das gehört zu dem vielfach beklagten Rückgang des BIP (Bruttoinlandsprodukt: Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft; d. Red.) im Lockdown. Aber aktuell geht es um Menschenleben, darum, Leid möglichst gering zu halten, und nicht darum, dass einige Chancen verbaut werden, Gewinne zu machen.

Der argentinische Präsident Alberto Fernández hat zugespitzt formuliert: »Den Verlust eines Prozentes des BIP kann man wettmachen, den Verlust eines Menschenlebens nicht.« Ist das auch Ihre Sicht?

Ja, das gilt gerade in Deutschland, wo auskömmliche Einnahmen für fast alle gesichert sind!