Tapetenindustrie

Was Rubel und Corona 
mit Tapeten zu tun haben

Vom Export abhängige Industrie | Umsatzeinbrüche durch Sanktionen und Wirtschaftskrisen 
von Libyen bis Russland | Kurzarbeit wegen Corona-Krise

Das Foto entstand in Zeiten, bevor wegen der Vorsichtsmaßnahmen zum Coronavirus SARS-CoV-2 Kontaktsperren und Abstandsregeln eingeführt wurden. Die Beschäftigten der Marburger Tapetenfabrik machen mit bei der Aktion »Deutschland tapeziert«.

Jetzt auch noch Corona. Die Marburger Tapetenfabrik hat ihre Beschäftigten aus der Produktion seit 23. März mit kurzen Unterbrechungen in Kurzarbeit geschickt. Wie es weitergeht, wird von Woche zu Woche entschieden. »Viele Kollegen und Kolleginnen haben Angst um ihren Arbeitsplatz«, sagt Betriebsratsvorsitzender Armin Sackewitz.

Dabei hat die Tapetenfabrik, die zwei Drittel ihres Umsatzes im Ausland macht, viel Erfahrung mit Krisen. Der wichtigste Absatzmarkt war stets in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, vor allem in Russland. Dort lieben die Menschen opulente Tapeten mit viel Gold und barocken Formen. Bis 2013 ging etwa jede dritte Tapete aus Marburg in den Osten.

Sanktionen

Doch 2014 kam es zur Übernahme der Halbinsel Krim. Die Europäische Union verhängte daraufhin Sanktionen gegen Russland. In der Folge verlor der Rubel drastisch an Wert. Die Menschen hatten schlicht kein Geld mehr, um die teuren Tapeten aus Deutschland zu kaufen. Damit brachen auch die Umsätze in der Marburger Tapetenfabrik ein. Ebenso erging es den Tapetenherstellern Rasch im niedersächsischen Bramsche und der börsennotierten A.S. Création in Gummersbach.

Rasch hatte in der Westukraine mit rund 100 Beschäftigten Tapeten im Siebdruckverfahren produziert. Als Russland 2014 die Grenze für Waren aus der Ukraine dichtmachte, brach auch dieses Geschäft ein. Seitdem exportiert das Unternehmen aus Bramsche mehr Tapeten nach Frankreich, berichtet Betriebsratsvorsitzender Rainer Lange. Zudem wird in die Benelux-Staaten, nach Skandinavien und Großbritannien geliefert. Ob die Exporte nach Großbritannien nach dem Brexit noch unkompliziert und ohne zusätzliche Kosten möglich sind, sei offen. Doch seit der Pandemie funktionieren auch diese Märkte nicht mehr. Die Produktion wurde bei Rasch komplett eingestellt. Erst für drei Wochen, dann nach einer Arbeitswoche erneut ab 20. April. Kurzarbeit null bedeutet heftige Einbußen. Etliche Beschäftigte, so Lange, würden sich auf Jobs bewerben, um das Kurzarbeitergeld zu ergänzen. Denn eine Aufstockung zahlt Rasch nicht.

Schon länger abgestürzt ist der Markt im Nahen und Mittleren Osten. »Durch den Arabischen Frühling kam es zu Umsatzeinbußen«, sagt Wolf Kappen. Er ist Marketing- und Vertriebsgeschäftsführer der Marburger Tapetenfabrik. Bis zum Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 schickten die Marburger jedes Jahr mehr als 60.000 Tapetenrollen in das nordafrikanische Land. Seitdem ist der Absatz auf null zurückgegangen. Kappen fürchtet sogar, dass der dortige Händler ums Leben gekommen ist.

Einbußen

Eingebrochen sind auch die Märkte in Ägypten – das Land steckt in einer massiven Wirtschaftskrise – und im Iran, einst einer der wichtigsten Exportmärkte. »Chomeini hielt seine Brandreden vor unserer Textiltapete«, erinnert sich Kappen. Durch die Sanktionen der US-Amerikaner haben die Iraner kaum noch Geld – der Absatz ging drastisch zurück.

Das hat Folgen: Bei der Tapetenfabrik Rasch und der Marburger Tapetenfabrik ist die Zahl der Beschäftigten in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Damit die Krise keine weiteren Arbeitsplätze kostet, hat ver.di
 mit dem Unternehmerverband der Papierverarbeitung für die beiden tarifgebundenen Tapetenfabriken eine Vereinbarung getroffen. Danach kann die Jahresleistung bei negativem Betriebsergebnis um 30 Prozent gekürzt werden.

Möglich ist es auch, die Arbeitszeit zu verlängern oder zu verkürzen. Im Gegenzug darf bis 31. Dezember 2021 niemandem betriebsbedingt gekündigt werden. Bei Rasch arbeiteten die Beschäftigten von März bis Dezember 2019 eine Wochenstunde mehr – ohne Bezahlung. Dafür erhielten sie die volle Jahresleistung. Bei der Marburger Tapetenfabrik wurde die Jahresleistung gekürzt. Und jetzt auch noch Kurzarbeit.

Bei der Werbung für Tapeten ziehen Unternehmen und Belegschaften gleichwohl an einem Strang. Zum Auftakt der bundesweiten Aktion »Deutschland tapeziert« gingen Anfang des Jahres fast alle Beschäftigten der Marburger Tapetenfabrik vors Werkstor – in der Hand Plakate und Tapetenrollen. Das Ziel der Aktion: Die Tapete wieder ins Bewusstsein holen. Vor allem junge Leute sollen mit Bloggern, Influencern und Gewinnspielen auf Instagram, Facebook und Pinterest erreicht werden. Denn der aktuelle Baustil mit großen Fensterfronten, offenen Wohnräumen, karger Einrichtung und Putz anstelle von Tapeten schadet der Branche. Zudem herrsche bei vielen »immer noch das Image von Omas Blümchentapete« vor, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Tapeten-Instituts, Karsten Brandt.

Die Corona-Krise biete vielleicht auch eine Chance, hofft Wolf Kappen von der Marburger Tapetenfabrik: »Corona führt dazu, dass die Leute so viel Zeit zu Hause verbringen, dass die Einrichtung mehr ins Blickfeld gerät. Das könnte den Absatz ankurbeln.«

Weniger Umsätze, weniger Beschäftigte

Bei der Tapetenfabrik Rasch in Bramsche sank der Umsatz in der Unternehmensgruppe von 2007 bis heute von 180 auf 130 Millionen Euro. In der gleichen Zeit schrumpfte die Belegschaft in der Tapetenfabrik von 490 auf 420 Beschäftigte. Die Marburger Tapetenfabrik nennt keine Umsatzzahlen. Hier reduzierte sich die Zahl der Beschäftigten von 380 im Jahr 2013 auf 320 in diesem Jahr. Die Umsätze bei den deutschen Herstellern gingen 2019 insgesamt um fünf Prozent zurück, so das Deutsche Tapeten-Institut.