Fachkräftemangel

» Betriebe müssen erfinderischer werden«

Wie die Druckindustrie ihren Nachwuchs sichert | Fachkräftemangel wird zum großen Problem | Mechatroniker*innen an der Druckmaschine lösen keine Probleme

Barbara Janssen war nicht die typische Umschülerin. Das sind in der Regel junge Leute. Die es sich dennoch nicht leisten können, während der Umschulung von Ausbildungsvergütung leben zu müssen. Deshalb erhalten sie Zuschüsse. Gefördert werden beispielsweise Qualifizierungen, die auf einen anerkannten Berufsabschluss vorbereiten. Dafür kommen Menschen ohne Beruf in Frage oder An- und Ungelernte, die ihren ursprünglichen Beruf seit Jahren nicht mehr ausüben. Das Unternehmen zahlt die Ausbildungsvergütung und die Agentur für Arbeit stockt die Differenz zum bisherigen Lohn auf. Die Umschulung wird in der Regel auf zwei Jahre verkürzt.

Barbara Janssen ist eine von zwei Hilfskräften, die bei Schaffrath in den vergangenen fünf Jahren zu Drucker*innen umgeschult wurden. Das ist nicht viel. Denn an Potenzial fehlt es in der Druckerei nicht: Von den rund 220 Beschäftigten sind etwa 70 Hilfskräfte. Aushänge brächten kaum Resonanz, hat Nicole Schoofs aus der Personalabteilung beobachtet. Inzwischen würde jede neue Hilfskraft bereits beim Vorstellungsgespräch auf die Möglichkeit einer Qualifizierung hingewiesen. Auch die direkten Vorgesetzten sprächen die Hilfskräfte an.

Mehrere Hundert Betriebe suchen auf Internetportalen Fachkräfte für den Druck, die Werkstatt und die Weiterverarbeitung. Oft dauert es Wochen und Monate, bis freie Stellen besetzt werden. Das Problem ist nicht neu, verschärft sich aber. Denn bislang verfuhren viele Druckereien so: Wer Personal suchte, bediente sich auf dem Arbeitsmarkt und stellte Entlassene aus insolventen Betrieben ein. Doch irgendwann ist der Personalpool leer. Zumal von Jahr zu Jahr weniger Drucker*innen ausgebildet werden. In Zahlen: 2021 gab es 510 neue Ausbildungsverträge für Medien- technolog*innen Druck, 45 weniger als im Vorjahr. Knapp 20 Jahre zuvor unterschrieben noch 1.701 ihren Ausbildungsvertrag als Drucker*in. Ein Rückgang um 70 Prozent.

Weniger Bewerbungen

Azubi-Tag, Kicker-Turnier, Ausbildungsmesse – die Druckerei Schaffrath unternimmt viel, um Azubis zu finden. Mit Erfolg.

Bildet eine Branche immer weniger junge Leute aus, fehlt es ihr an Fachkräften. Warum Ausbildungsplätze nicht besetzt wurden, fragte der Bundesverband Druck und Medien im Jahr 2020. Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen fanden nach eigenen Angaben keine geeigneten Bewerber*innen. Fakt ist: Die Zeiten sind vorbei, als Unternehmen aus 100 Bewerbungen die besten Kandidat*innen herauspicken konnten. Auch Schaffrath erreichten heute nur zehn bis 15 Bewerbungen, sagt Nicole Schoofs. Früher seien ausschließlich Schüler*innen mit mindestens Abschlussnote 2 in die engere Wahl gekommen. Heute würden alle eingeladen, die sich auf die Ausbildung im Druck bewerben. »Wir stellen fest, dass jemand mit den besten Noten nicht automatisch die beste Fachkraft ist.«

Ausgetretene Pfade verlassen

Berufsbildungsexpert*innen wissen, dass Unternehmen Zeit und Ideen investieren müssen, um Nachwuchs zu finden. Das bedeutet: guten Kontakt zu Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen, den Betrieb in den Abgangsklassen präsentieren, Schulpraktika anbieten, auf Ausbildungsmessen präsent sein. Heike Krämer vom Bundesinstitut für Berufsbildung ergänzt: Druckereien sollten sich öffnen – für junge Frauen ebenso wie für migrantische Menschen – und sie – falls notwendig – beim Lernen unterstützen.

Kein Zweifel: Die Druckindustrie hat es schwerer als andere Branchen, Auszubildende zu finden. Sie gilt als krisenanfällig, weniger gut auf Digitalisierung vorbereitet und durch Belastungen wie Schicht-, Nachtarbeit und Lärm weniger attraktiv.

»Je schwieriger die Situation, desto mehr Anstrengungen sind nötig und desto erfinderischer muss ein Betrieb werden«, sagt Thomas Hagenhofer vom ZFA (Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien). Er regt an, »ausgetretene Pfade« zu verlassen und Neues auszuprobieren. Etwa mit Ausbildungspat*innen. Die könnten zweierlei tun: als Branchenkundige aus der Region als Netzwerk zu Betrieben, Berufsberatungen und Schulen fungieren und Azubis auf ihrem Weg unterstützen. Hagenhofer ist überzeugt: »Betriebe, die bekannt dafür sind, dass sie sich um ihre Azubis kümmern, gut bezahlen, Aufstiegsmöglichkeiten bieten und familienfreundlich sind, haben weniger Probleme, Nachwuchs zu finden.«

Manche Druckereien versuchen, das Problem des Fachkräftemangels dadurch zu lösen, dass sie anstatt ausgebildeter Medientechnolog*innen Druck Hilfskräfte an die Druckmaschine stellen. »Das widerspricht dem Manteltarifvertrag«, sagt Rachel Marquardt, ver.di-Verhandlungsführerin für die Druckindustrie. In den Anhängen zum Manteltarifvertrag ist festgelegt, dass Druckmaschinen von Drucker*innen zu bedienen sind. »Der Facharbeiterschutz hat einen hohen Stellenwert. Drucker*innen haben gelernt, die Maschinen einzurichten und anzufahren, Druckprozesse zu steuern und die Qualität zu beurteilen.« Dass Drucker*innen lernen, was sie in der Praxis brauchen, ist auch Verdienst eines modernen Berufsbildes, das technische Veränderungen aufnimmt und neue Anforderungen integriert. Gemeinsam erarbeitet von ver.di und dem Bundesverband Druck und Medien unter Regie des ZFA.

Den Facharbeiterschutz hätte der Bundesverband Druck und Medien schon vor Jahren am liebsten abgeschafft. Die Unternehmen wollten freie Hand bei der Entscheidung der Besetzung von Druckmaschinen. Neben Drucker*innen sollten druckfremde Fachkräfte wie Elektroniker*innen oder Mechatroniker*innen eingesetzt werden und zur Maschinenbesetzung zählen. Auch jetzt gibt es die Idee, Mechatroniker*innen an die Druckmaschine zu stellen. Die Berufsexpertin für Druck- und Medienberufe Heike Krämer gibt allerdings zu bedenken, dass ausgebildete Mechatroniker*innen zusätzlich eine mehrmonatige druckspezifische Qualifikation für die Arbeit an der Druckmaschine bräuchten. Bleibt die Frage, warum es für junge Menschen attraktiv sein soll, nach einer 3,5-jährigen Mechatroniker*innen-Ausbildung noch weitere Monate Schulung anzuhängen. Zumal sie in vielen Branchen einsetzbar sind und als berufserfahrene Kräfte etwa in tarifgebundenen Metallbetrieben 55.000 Euro im Jahr verdienen. Kurzum: Das Problem fehlender Drucker*innen wird nicht dadurch gelöst, dass der tarifliche Facharbeiterschutz ausgehebelt wird.

Wer einen Blick in die Stellenanzeigen wirft, hat den Eindruck, viele Druckereien hätten den Fachkräftemangel noch nicht bemerkt. Statt Drucker*innen mit guten Konditionen zu locken, zahlen sie unter Tarif und verlangen Wochenend- sowie Schichtarbeit und lange Arbeitszeiten. Zum Beispiel: Eine 40-Stunden-Woche im Druckhaus Dessauerstraße, Bruttolöhne von 2.500 Euro (plus kostenlose Getränke) in einer Digitaldruckerei, Stundenlöhne von 14,50 Euro in einer Leihfirma bei Augsburg – vom bayerischen Wirtschaftsministerium 2015 als »Bayerns Best 50« ausgezeichnet.

Auch die Funke-Zeitungsdruckerei in Braunschweig sucht Drucker*innen. Unterstützung sei dringend nötig. Denn die 25-köpfige Belegschaft habe einen hohen Altersdurchschnitt, eine hohe Krankenquote und man habe eine knappe Personalbesetzung, sagt Betriebsratsvorsitzender Holger Musiol. Jetzt habe sich ein Drucker beworben, versiert im Zeitungsdruck und bereit, in seinen eigentlichen Beruf zurückzukehren. »Erst bot ihm die Firma 16 Euro pro Stunde, dann hat er sie auf 21 Euro hochgehandelt. Allerdings wollte man ihm keine Antrittsgebühr und weniger Zuschläge für Nacht- und Wochenendarbeit als im Tarif zahlen. Arbeiten sollte er 40 Wochenstunden«, berichtet Musiol. Der Drucker habe abgelehnt. »Er hat nicht verstanden, warum er für die gleiche Arbeit wie früher jetzt auf einmal deutlich weniger verdienen sollte, obwohl doch Drucker gesucht werden.« Den Betriebsratsvorsitzenden wundert es nicht, dass Stellen oft monatelang unbesetzt bleiben. Neue Kräfte werden in der Funke-Service-Firma eingestellt, weit unter Tarif. Das war das Zugeständnis für Fortführung und Auslastung der Druckerei bis 2025. »Die Neueinstellungen unter Tarif seien marktgerecht, wurde uns mitgeteilt.«