Prekäre Arbeit

Harte Arbeit lohnt sich kaum

»Verkannte Leistungsträger:innen« heißt ein Buch, in dem Menschen aus verschiedenen Branchen von ihrer Arbeit berichten. Arbeit, die als unverzichtbar für die Gesellschaft gilt. Wer sie verrichtet, steht allerdings im Schatten. DRUCK+PAPIER hat mit der Mitherausgeberin des Buches, Professorin Nicole Mayer-Ahuja, gesprochen.

DRUCK+PAPIER: In Elenas Arbeitsvertrag sind lediglich 120 Stunden im Monat garantiert. Der Lohn reicht kaum zum Leben. Die junge Frau scheint in einem Kreislauf aus Arbeit, Erschöpfung und Perspektivlosigkeit festzustecken. Ist ihre Geschichte eine Ausnahme?

Mayer-Ahuja: Keineswegs. Sie gehört zu den Menschen, die viel und hart arbeiten, ein geringes Einkommen haben und unter enormem psychischem Druck stehen. Ihr gesellschaftliches Ansehen ist gering und sie haben wenig Chancen, ihre gesellschaftliche Position zu verbessern, egal wie sehr sie sich anstrengen. Obwohl sie ihr Leben lang arbeiten, erwartet sie eine dürftige Rente. Ob in der Fleischindustrie oder bei Amazon, ob im Verkauf oder bei der Paketzustellung – in diesen Branchen finden sich massenhaft unsichere Beschäftigungsverhältnisse: befristete Jobs, in Leiharbeit, im Werkvertrag, als Minijob, auf Abruf, als Scheinselbstständige. Oft gibt es weder Tarifverträge noch Betriebsräte.

Gilt das nur für Dienstleistungsbranchen und nicht für die Industrie?

Nein. In der Öffentlichkeit wird vor allem die Exportindustrie mit starken Gewerkschaften und Betriebsräten, einer hohen Tarifbindung und guten Löhnen zur Kenntnis genommen. Aber auch in der Industrie gibt es ausgelagerte Bereiche, etwa Reinigung, Sicherheitsdienst, Kantine. Der billigste Anbieter erhält den Zuschlag. Eine weitere Tendenz in der Industrie ist die Zergliederung der Wertschöpfungskette. Unternehmen beschränken sich auf ihre Kerntätigkeit – alles andere wird extern zugekauft. Häufig ist es so, dass auf einem Firmengelände verschiedene Subunternehmen, Werkvertrags- und Leihfirmen zugange sind.

Nicole Mayer-Ahuja ist Professorin für Soziologie an der Georg-August-Universität Göttingen.
Foto: Klaus Peter Wittemann

Warum haben Sie die Menschen in Ihrem Buch verkannte Leistungsträger*innen genannt?

Das war als Provokation gedacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg verstanden sich Arbeiter- und Handwerkerschaft als diejenigen, die den gesellschaftlichen Reichtum dieses Landes produzierten. Sie waren stolz auf das, was sie leisteten. Anfang der 1980er-Jahre wurde die Bedeutung des Begriffs umgekehrt. Mit dem Versprechen »Leistung muss sich wieder lohnen!« leitete Helmut Kohl (CDU) 1982 die sogenannte geistig-moralische Wende ein. Als Leistungsträger*innen galten fortan Unternehmer*innen, Manager*innen, Berater*innen und all diejenigen, die über Geld, Einfluss und Macht verfügten. Damit einhergehend wurde die Botschaft transportiert: Wer so viel Geld verdient, hat sicher viel dafür geleistet. Das war die Begründung dafür, diesen Leistungsträger*innen die Steuern zu senken. Nicht anders wird heute gegen die Vermögenssteuer argumentiert.

Zum Lesen

Nicole Mayer-Ahuja und Oliver Nachtwey:
Verkannte Leistungsträger:innen.
Berichte aus der Klassengesellschaft.
Edition Suhrkamp 2021, Berlin, 567 Seiten, 22 Euro.