Rechtspopulismus

Warum Gewerkschafter rechts wählen

Feindliche Haltung gegenüber Geflüchteten | Sympathie für AfD und Pegida | Was Gewerkschaften tun sollten

Bei der Europawahl erhielt die AfD elf Prozent der Stimmen, bei Arbeiter*innen sogar 17 Prozent und zuvor 30 (Baden-Württemberg) und 37 Prozent (Sachsen-Anhalt) bei Landtagswahlen. Warum ist das so? DRUCK+PAPIER hat Professor Klaus Dörre, Arbeitssoziologe an der Universität Jena, gefragt.

Dörre befragt seit mehr als 25 Jahren abhängig Beschäftigte zu ihrer Arbeitssituation und zu ihren politischen Einstellungen. Die Bandbreite der Befragten reicht von Arbeitern, die knapp oberhalb des Mindestlohns verdienen, bis zu Angestellten, die über Tarif bezahlt werden. Schon früh fand Dörre unter ihnen rechte politische Einstellungen, aber nach Gründung der AfD deutlich stärker. Viele Gewerkschafter*innen sind Wähler*innen und Sympathisant*innen der AfD oder anderer rechtspopulistischer Gruppen wie Pegida.

Andere werden abgewertet

»Sie alle verbindet ein Gefühl, dass sich am besten in einem Bild beschreiben lässt: Sie stehen seit Langem in einer Warteschlange am Berg der Gerechtigkeit. Aber in dieser Schlange konnten sie nicht aufrücken.« Dafür hätten sie immer neue Gründe gehört: Globalisierung, Standortkonkurrenz, deutsche Einheit, sagt der Wissenschaftler. »Sie haben materiell immer verzichten müssen. Dann kam die Eurokrise. Plötzlich waren Milliarden da, um Banken zu retten.« 2015 drängelten sich Geflüchtete in der Warteschlange vor, sie hätten aber für die Finanzierung der Sozialsysteme nichts geleistet – so das Gefühl der AfD-Wähler*innen. Doch plötzlich war wieder viel Geld da: »Das alles wird auf dem Hintergrund, dass die Wirtschaft brummt, als zutiefst ungerecht empfunden.«

Das habe Folgen: »Wer sich so ungerecht behandelt fühlt, wertet andere ab, um sich selbst aufzuwerten.« Dann heiße es über Geflüchtete: »Die gehören nicht zu uns.« Die AfD-Wähler*innen und Sympathisant*innen produzierten eine Fülle von Vorurteilen und seien sich sicher: »Wir gehören nicht zu denen; wir sind etwas ganz anderes, wir sind Deutsche.«

Obwohl einige AfD-Sympathisant*innen und -Wähler*innen sogar Gewaltanwendung in der Politik nicht grundsätzlich ablehnen, warnt Dörre Gewerkschafter*innen davor, sie zu beschimpfen: »Man darf die gefühlte Abwertung keineswegs verstärken, indem man diese Menschen nur als Rassisten angreift. In ihrer Selbstdefinition sind sie weder Rassisten – viele von ihnen jedenfalls nicht – noch Antidemokraten.«

Klaus Dörre ist Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie in Jena und ver.di-Mitglied. Seine Schwerpunkte sind Kapitalismustheorie / Finanzmarktkapitalismus, flexible und prekäre Beschäftigung, Partizipation in Unternehmen, Arbeitsbeziehungen und Strategic Unionism, Digitalisierung, Rechtspopulismus. Er hat seit 1994 wiederholt Beschäftigte zu ihrer Arbeitssituation und zu ihren politischen Einstellungen befragt. Seine Veröffentlichungen sind zu finden unter bit.ly/Klaus-Dörre

Aufwertung dagegensetzen

Als wirkungsvolle Antwort empfiehlt Dörre Gewerkschafter*innen, die Stellung der abhängigen Beschäftigung und deren Berufe aufzuwerten: »Das passiert schon. ver.di hat in der Tarifauseinandersetzung bei Erzieher*innen beispielhaft eine Aufwertungskampagne betrieben, sodass sie Berufsstolz entwickeln konnten als eine Vorform von kämpferischem, und, sagen wir es ruhig, von Klassenbewusstsein.«

Zudem müssten Ohnmachtsgefühle von Arbeiter*innen und Angestellten durch energische Interessenpolitik durchbrochen werden wie in den Streiks der Erzieher*innen, den Streiks bei der Post gegen die DHL-Ausgliederungen oder den 24-Stunden-Streiks der IG Metall.

In einem Punkt gibt Dörre den AfD-Wähler*innen recht: »Das Wirtschaftssystem, der Kapitalismus, ist wirklich zutiefst ungerecht. Mit ein bisschen Sozialpolitik sind Ungerechtigkeiten nicht abzuschaffen.« Dörre sieht ein Grundproblem: »Gewerkschaften wie auch linke Parteien haben zu wenig diskutiert, wie eine bessere, gerechte, nicht-kapitalistische Gesellschaft aussehen könnte.«

Aber die Debatte habe begonnen, zum Beispiel auf dem linken Flügel der SPD, der die Eigentumsfrage aufwerfe und damit das kapitalistische Wirtschaftssystem grundsätzlich in Frage stelle. Und auch bei ver.di habe der Bundeskongress vor vier Jahren intensiv über Wirtschaftsdemokratie diskutiert: »Aber das war noch zu abstrakt, zu sehr über die Köpfe vieler Mitglieder hinweg. Ich glaube, dass man ausdrücklich über Wirtschaftsdemokratie, neuen Sozialismus, ökologischen Sozialismus sprechen muss.«

Wir verwenden Rechtspopulismus als (ungenauen) Sammelbegriff. Das soll AfD und Pegida nicht verharmlosen. Dort finden extrem rechte, rassistische, islamfeindliche und antisemitische Einstellungen ihre Heimat.