Rechtspopulismus

»Man muss genauer hinschauen, wen man noch erreichen kann«

Warum geben Gewerkschaftsmitglieder der AfD ihre Stimme? Antworten hat der Soziologe Klaus Dörre. Er beschäftigt sich seit 30 Jahren mit dem Verhältnis von Rechtsextremismus und Gewerkschaften.

DRUCK+PAPIER: Gewerkschaften beziehen immer wieder klar Stellung gegen rechts. Trotzdem wählen auch viele Gewerkschaftsmitglieder die AfD. Wie lässt sich das erklären?

Klaus Dörre: Sie haben das Gefühl, am Fuße eines Berges der Gerechtigkeit zu stehen. Manche sind schon ein Stück weit hochgekommen, aber es geht nicht voran. Und dann haben sie das Gefühl, dass Geflüchtete oder Migrant*innen an ihnen vorbeiziehen und vermeintlich alles bekommen. Zugleich sehen sie, dass die gesamte soziale Infrastruktur bröckelt, dass gerade auf dem Land Geschäfte, Buslinien, Schulen verschwinden. Nie gibt es Geld. Man wird immer wieder vertröstet.

Das heißt, im Kern geht es um soziale Ungerechtigkeit?

Klaus Dörre, Professor für Soziologie an der Universität Jena
Foto: Angelika Osthues

Nicht nur, aber das ist aus meiner Sicht der zentrale Punkt. Das Deutschsein steht dabei einerseits für den Anspruch auf Gleichbehandlung und grenzt andererseits aus, nach dem Motto: Deutsche zuerst. Im Grunde ist das eine Denkweise, die sehr nahe an dem ist, was früher zum Alltagsbewusstsein sozialdemokratischer Arbeiter*innen gehörte. Und das kippt jetzt in eine andere Richtung. Der AfD gelingt es, die Protesthaltung aufzugreifen und zu radikalisieren. Der gesellschaftliche Konflikt zwischen oben und unten wird in einen Konflikt zwischen innen und außen umdefiniert.

Nun gibt es aber auch Umfragen, die zeigen, dass sehr viele AfD-Wähler*innen mit dem Rechtsextremismus der Partei einverstanden sind oder er ihnen zumindest egal ist. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Protest und rechter Überzeugung?

Natürlich ist eine erhebliche Zahl an AfD-Wähler*innen von den politischen Zielen wie der Bekämpfung der Migration völlig überzeugt – zumal die etablierten Parteien immer wieder den von der AfD gesetzten Themen folgen. So entsteht der berechtigte Eindruck, dass man mit der AfD etwas bewirkt. Die derzeitigen Stimmenzuwächse lassen sich mit Überzeugung aber nicht erklären. Deshalb muss man genauer hinschauen, wen man noch erreichen kann. Und man muss deutlich machen, dass die AfD für sämtliche Zukunftsthemen von der Migration bis zur sozialökologischen Transformation keine echten Lösungen zu bieten hat.

Bei der jüngsten Bundestagswahl kam die AfD auf gut zehn Prozent. Bei den Gewerkschaftsmitgliedern erreichte sie mehr als im Durchschnitt, aber deutlich weniger als insgesamt bei Arbeiter*innen. Wirkt eine Gewerkschaftsmitgliedschaft also doch gegen rechts?

Ganz klar. Wo es keine Gewerkschaften und keine Betriebsräte gibt, wo die Arbeitsverhältnisse schlecht sind, da greift die rechtsradikale Propaganda umso besser. Andersherum ist es ein Alleinstellungsmerkmal der Gewerkschaften, dass sie Menschen, die zur AfD tendieren, überhaupt noch erreichen. Das schaffen andere Organisationen nicht mehr.