Abgesichert – vom Arbeitsunfall bis zur Wiedereingliederung
Wie Sozialrecht Betriebsräten und Beschäftigten nützt | Interview mit dem Göttinger Professor Olaf Deinert
DRUCK+PAPIER: Sie haben ein »Handbuch für die betriebliche Arbeit« mit fast 800 Seiten zum Sozialrecht vorgelegt. Ist Sozialrecht für Betriebe und Betriebsräte wichtig?
Olaf Deinert: Und wie. In vielen Fällen können arbeitsrechtliche Regelungen nicht ohne sozialrechtliche Bestimmungen ausreichend beurteilt werden. Zum Beispiel beim Kurzarbeitergeld: Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht; dazu muss er jedoch wissen, welche Beschäftigten in welchem Umfang durch Kurzarbeitergeld sozial abgesichert werden.
Inwieweit ist das Sozialrecht von Belang für Beschäftigte, zum Beispiel für die Zeitungszustellerin oder den Druckhelfer?
Nehmen Sie die Unfallversicherung. Wenn ein Zeitungsausträger vom Hund gebissen wird, ist das ein Arbeitsunfall. Dann sorgt die gesetzliche Unfallversicherung dafür, dass man eine kostenlose Behandlung bekommt.
Oder die allgemeine Krankenversicherung. Diese klassische Sozialversicherung ist zuständig, dass ich eine Krankenbehandlung bekomme, die ich mir aus meinem Arbeitseinkommen allein nicht leisten könnte. Und dank sozialrechtlicher Gesetze bekomme ich nach den sechs Wochen Entgeltfortzahlung durch den Betrieb weiter Krankengeld von der Krankenkasse.
Als Beschäftigte*r muss ich aber nichts machen, denn die Krankenversicherung läuft über den Arbeitgeber.

Olaf Deinert lehrt an der Universität Göttingen unter anderem Arbeits- und Sozialrecht. Er ist Nachfolger von Michael Kittner als Herausgeber der jährlich im Bund-Verlag neu aufgelegten »Arbeits- und Sozialordnung«, gerade zum 50. Mal erschienen. Deinert ist ehrenamtlicher Richter am Bundesarbeitsgericht und Mitherausgeber der Zeitschrift Soziales Recht.
Foto: privat
Schon, aber es gibt auch Fälle, wo es entscheidend ist, selbst aktiv zu werden. Beispielsweise muss man selbst einen Rentenantrag stellen. Beim Arbeitslosengeld ist es ebenso. Bei einer Kündigung kann es sinnvoll sein, nicht nur selbst zur Arbeitsagentur zu gehen und Arbeitslosengeld zu beantragen, sondern sich auch dazu zu äußern, warum es zu der Kündigung gekommen ist, um eine Sperrzeit zu verhindern.
Welche Rolle spielt das Sozialrecht insgesamt im Recht?
Sozialrecht sichert gegen wirtschaftliche Not ab. Dahinter steht eine Schutzpflicht des Staates – das Sozialstaatsversprechen, dafür zu sorgen, dass niemand in materieller Not allein gelassen wird. Betroffene bekommen zwar manchmal nur eine Grundversorgung, aber immerhin. Letztlich sind die Ziele soziale Gerechtigkeit und materielle Sicherheit.
In Ihrem Handbuch schreiben Sie, das Sozialrecht sei ein schnelllebiges Recht. Trotzdem haben Sie sich für eine kompakte Druckausgabe entschieden?
Ich habe eine systematische Darstellung vorgelegt. Das hat vorher noch niemand gemacht, weil immer streng zwischen Arbeitsrecht und Sozialrecht getrennt worden ist. Zwar ist alles Recht in ständiger Bewegung. Auch die Rechtsprechung entwickelt sich stetig weiter. Aber die Grundlinien bleiben.
Das Handbuch gehört Ihrer Ansicht nach zu den notwendigen »sachlichen Mitteln« zur Arbeit von Betriebsräten nach Paragraf 40 des Betriebsverfassungsgesetzes? Das heißt, der Arbeitgeber muss es finanzieren.
Selbstverständlich. Mein Anspruch ist, Betriebsräte in die Lage zu versetzen, sich über ihre Rechte und Möglichkeiten und über die der Beschäftigten zu informieren. Dass ich weiß, wie ich mich im Sozialrecht orientieren und wo ich meine Leistungsansprüche finden kann.
Nix zum Schmökern – aber wichtiges Nachschlagewerk für Betriebsräte

Sozialrecht. Handbuch für die betriebliche Arbeit.
Olaf Deinert
Bund-Verlag, Frankfurt
November 2024, 779 Seiten, 59 Euro.
ISBN978-3-7663-7412-7