Unterwegs zur

Unterwegs zur Buchbinderin

Claudia Viel ist selbstständig, Buchretterin, Restauratorin. Sie bindet alles – von »Herr der Ringe« bis zu uralten Chroniken.

Die Tür ist offen. Wer eintritt, hört erstens: eine Barockkantate. Und zweitens: das Bellen der Hündin Smilla. Rechts ums Eck, ein paar Stufen aufwärts, leimt die Buchbinde-Meisterin gerade einen Quartalsband der Königsteiner Woche. Sie spannt eine Gaze über den verklebten Seitenrand und hebt den fürs Archiv bestimmten Band der Lokalzeitung aus dem Klemmbrett heraus.

Die Buchbinderei am Ölmühlweg im hessischen Königstein hat Regale für Pappen, Papiere und Bücher sowie ein Schränkchen mit vielen Fächern für Messer, Vergolder-Rollen und Fileten: Prägeformen, die zum Setzen der Ornamente auf Einbände dienen. Instrumente für kunstvolles Handwerk.

»Ich mag das gemischte Programm«, sagt Claudia Viel. Auf ihrem Arbeitstisch liegt Material für unterschiedliche Aufträge. Ein Kunde mit Jagdleidenschaft hat Hefte seines Wild und Hund-Abonnements zum Binden gebracht. Daneben liegen die abgegriffenen Bände der »Herr der Ringe«-Trilogie. Der Nachlass eines Erbonkels soll schöne Einbände bekommen.

Schwieriger wird die Restaurierung des Usinger Flurbuchs von 1671. Die ist nach 227 Jahren wieder mal nötig. Die Buchbinderin streicht über den schweinsledernen Einband. Der wird seine Flecken bald los. Im Buch setzte der Katasterbeamte einst mit brauner Tinte die Namen der Besitzer auf die eingezeichneten Grundstücke des Taunus-Städtchens. Das Rathaus und das Schloss malte er farbig hinzu.

Seit mehr als 20 Jahren ertüchtigt Claudia Viel Archivschätze der umliegenden Städte für die nächsten Jahrhunderte. Uralt- Dokumente sind oft in besserem Zustand als solche aus dem 19. Jahrhundert. Damals fingen die Papiermühlen an, Holzfasern in die Lumpen zu mischen, um das Material zu strecken. Die Säure hinterlässt braune Flecken, die die Buchbinderin mit Wasserstoffperoxid vorsichtig ablöst.

Ihr schönster Auftrag? »Ich durfte eine Schedelsche Weltchronik aus dem 15. Jahrhundert wiederherstellen.« Jemand hatte aus dem extrem seltenen Buch die Holzschnitte gefleddert, um sie einzeln zu verkaufen. Die Buchbinderin ließ die Illustrationen auf Büttenpapier erneut drucken und fügte sie in den Folianten ein. Buchbinder gibt es immer weniger. Falsch: Buchbinderinnen. Denn die meisten der rund 30 Menschen, die jährlich die dreijährige Ausbildung im Handwerk beginnen, sind Frauen.

Claudia Viel hatte ursprünglich Philosophie studiert. Und zufällig jemanden kennengelernt, der von seiner Buchbinder-Ausbildung erzählte. Sie wusste sofort: »Das ist es. Bücher liebte ich ja sowieso.«

www.buchbinderei-koenigstein.de