Nachruf

Klassenkämpfer aus gutem Hause

Detlef Hensche, lange Jahre Vorsitzender der IG Medien und einer der Mitbegründer von ver.di, starb am 13. Dezember 2023 mit 85 Jahren in Berlin.

Es schreibt sich so dahin. Dass der Gestorbene eine Lücke hinterlässt. Sein Tod als großer Verlust. Man werde ihn nie vergessen. Für Detlef Hensche trifft es zu. Die Lücke, der Verlust, das Nicht-Vergessen. Das zeigt sich nicht erst nach seinem Tod. Schon als ihn seine Krankheit zum Rückzug zwang, vermissten Menschen die Gespräche mit ihm und Hanne Daum, vorzugsweise bei den beiden zu Hause. Verabschiedete man sich doch mit dem Gedanken, endlich mal wieder »über kontroverse Themen in freundschaftlicher Atmosphäre, getragen vom Impetus des ›eingreifenden Denkens‹, debattiert zu haben«, erzählte die Politikwissenschaftlerin Birgit Mahnkopf (wie Detlef aktiv in attac) auf seiner Trauerfeier am 1. Februar 2024 auf dem Zehlendorfer Friedhof.

Detlef Hensche vereinte vieles in sich: ein exzellenter Jurist, ein politischer Intellektueller, ein grandioser Essayist, schrieb Hans-Jürgen Urban von der IG Metall in den Blättern für deutsche und internationale Politik. Anderen Menschen herzlich zugetan, ironisch, aber nicht zynisch, ein sensibler und mit Empathie reichlich ausgestatteter Mensch, so Mahnkopf, dazu klug, liebenswert, nachdenklich, humorvoll, ergänzt Margret Mönig-Raane, einst Vorsitzende der in ver.di aufgegangenen Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen.

Bescheiden, wie er war, hätte Detlef das alles nicht hören wollen. Von seinen Gewerkschaftsaktiven war er ohnehin nicht verwöhnt. Mochten Mitglieder anderer Gewerkschaften den Reden ihrer Vorsitzenden ehrfurchtsvoll lauschen und sie widerspruchslos beklatschen, in der IG Medien war es gepflegtes Ritual, heftig zu streiten. Und doch blieb Detlef der geschätzte und beliebte Vorsitzende. Nicht kraft Amtes. Sondern kraft Ausstrahlung, Wissen und Einsatz für die Menschen, die nichts haben, als ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

Das Presse-Etikett des »linksradikalen Einpeitschers und Aufrührers« bekam Detlef in den 1970er-Jahren verpasst. Es war die Zeit der zwei großen Streiks, die die kleine Gewerkschaft umso stärker machten. 1976 forderte die IG Druck und Papier neun Prozent mehr Lohn – als Signal und Widerstand gegen den Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), der glaubte, sich in die Tarifautonomie einmischen zu können, und fünf Prozent für genug befand. Auf den Streik in »48 ausgewählten Druckbetrieben« reagierten die Druckereibesitzer mit Aussperrung. »Auf einmal wird Klassenkampf zelebriert«, erkannte Hensche.

Am Ende gab’s nur sechs Prozent mehr Lohn, aber einen großen Willen, sich nicht beugen zu lassen. Und zwar bereits zwei Jahre später. 1978 machte die IG Druck und Papier vor, was heute unter dem Label Transformation laufen würde. Die Umstellung von Bleisatz auf elektronische Satzherstellung wollten die Unternehmen nutzen, um »die aufmüpfige Schar der Schriftsetzer« loszuwerden und deren Facharbeit künftig billig zu entlohnen. Ohne Erfolg. Die Arbeit blieb in Händen der Facharbeiter, kein Setzer wurde entlassen. Es waren diese Erfahrungen, die laut Hensche dazu beitrugen, dass die IG Druck und Papier (und die IG Metall) 1984 den Einstieg in die 35-Stunden-Woche schaffte und dem übergroßen Gegenwind aus Politik, Medien und Unternehmen standhielt.

Detlef hinterließ seinen Lebensmenschen Hanne Daum. Sie starb wenige Wochen nach ihm.

Dem Bürgertum entkommen

Detlef Hensche hätte überall Karriere machen können – von Herkunft und Ausbildung stand ihm vieles offen. Der Vater war selbstständiger Kaufmann, die Mutter stammte aus einer Industriellenfamilie. So studierte der Sohn in Bonn Rechts- und Staatswissenschaften, es folgten zwei Staatsexamen plus Promotion. Doch Aufrüstung, NATO-Beitritt, Antikommunismus und die fehlende Liberalität in der Adenauer-Zeit hatten ihn schon als Schüler in die Opposition geführt. Hensche trat mit 25 Jahren in die SPD ein (verließ sie 40 Jahre später und wurde Mitglied der Partei Die Linke), arbeitete zunächst beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und wechselte 1976 in den Vorstand der IG Druck und Papier, eine »sehr selbst- bewusste, tarifpolitisch erfolgreiche Facharbeitergewerkschaft, die sich selbst am linken Rand im DGB-Spektrum verortete.« Von 1992 bis 2001 war er Vorsitzender der IG Medien, arbeitete maßgeblich an der Gründung der neuen Gewerkschaft ver.di mit, kandidierte jedoch nicht mehr für den Vorstand.