»Hohe Lohnsteigerungen würden aktuell nur die Preise nach oben treiben.«
Um Wirtschafts-Hokuspokus geht es in unserer neuen Serie. Patrick Schreiner aus der ver.di-Wirtschaftspolitik prüft, was dran ist an den neoliberalen Behauptungen.
»Man kann die Uhr danach stellen. Wollen Gewerkschaften ordentliche Lohnerhöhungen durchsetzen, warnen die Arbeitgeber und ihre neoliberalen Helferlein vor steigenden Preisen. Klar, Beschäftigte sollen mehr Geld bekommen, aber doch bitte moderat und mit Augenmaß. Sonst heizten die Löhne die Inflation an, schadeten der Wirtschaft und stürzten uns in die Krise. So lauten ihre Kommentare.
Solche Horrorszenarien sind derzeit jedoch nur Angstmacherei. Fakt ist: Die hohen Inflationsraten der vergangenen Jahre hatten andere Ursachen. Treiber waren nicht die Löhne, sondern Liefer- und Materialengpässe. Es gab hohe Preissteigerungen bei importierter Energie und Lieferschwierigkeiten infolge der Corona-Pandemie. Danach stiegen in vielen Branchen die Preise auch aufgrund steigender Gewinne. Darüber reden die Neoliberalen nicht so gerne.
Fakt ist auch: Die Beschäftigten haben in den vergangenen Jahren drastische Reallohn-Einbußen erlitten. Die gezahlten Löhne abzüglich der Teuerung sind also zurückgegangen. Erst eine Lohnerhöhung von insgesamt 17 Prozent würde die Inflationsraten von knapp acht Prozent im Jahr 2022, knapp sechs Prozent im Jahr 2023 und voraussichtlich 2,9 Prozent in diesem Jahr ausgleichen. Davon sind quasi alle Branchen und Betriebe weit entfernt.
Leider. Denn nur mit deutlichen Lohnsteigerungen ließen sich die Reallöhne sichern.«
Patrick Schreiner, Kai Eicker-Wolf:
Wirtschaftsmärchen. Hundertundeine Legende über Ökonomie, Arbeit und Soziales.
PapyRossa Verlag, September 2023, 270 Seiten, 19,90 Euro