Arbeitsunrecht

Mayr Melnhof und die Sache mit dem Gesetz

Geschäftsführer drangsaliert Betriebsratsvorsitzenden | Mieses Betriebsklima | Strafanzeige

Vier Abmahnungen für Norbert Hillemacher im März. Vier Mal wurden ihm »Pflichtverletzungen« vorgeworfen. Der Maschinenführer ist seit sechs Jahren Betriebsratsvorsitzender bei Mayr Melnhof Graphia in Trier. Freigestellt für die Betriebsratsarbeit ist er nicht. Das wäre erst ab 200 Beschäftigten möglich. In Trier, wo Verpackungen für die Tabakindustrie hergestellt werden, arbeiten etwa 155 Kolleg*innen.

Im Betriebsverfassungsgesetz ist das so geregelt: Sobald ein Betriebsratsmitglied  Aufgaben für den Betriebsrat erledigt, ist er von seiner beruflichen Arbeit freizustellen. Um Erlaubnis muss er nicht fragen.

Das sieht Mayr Melnhof offenbar anders. In den Abmahnungen ist immer wieder die Rede davon, dass Hillemacher etwas »ohne Genehmigung« getan habe. Rechtsanwalt Joachim Wagner aus Bielefeld vertritt den Betriebsratsvorsitzenden und seit Langem auch den Konzernbetriebsrat. »Die Auffassung von Mayr Melnhof, Betriebsratstätigkeit genehmigen oder verweigern zu dürfen, ist falsch. Das hat mit der Rechtslage nichts zu tun und gilt vor allem auch für Reisen von Betriebsratsmitgliedern, wenn diese dabei ihren gesetzlichen Aufgaben nachkommen.«

Gremium wird abgestraft

Es ist nicht der einzige Fall, wo sich Geschäftsführer Norbert Adam im Namen des Konzerns über das Gesetz hinwegsetzt.

Mayr Melnhof mahnt nicht nur ab, sondern zieht auch Lohn ab. Norbert Hillemacher, 52, fehlten Ende März 1.400 Euro auf seinem Konto. Das Unternehmen hatte das Geld mit der Begründung einbehalten, er habe seine Krankheit selbst verschuldet.

Der Betriebsratsvorsitzende war im März zu einer Gerichtsverhandlung nach Wien an den Konzernsitz gereist. Bei seiner Rückkehr fühlte er sich nicht gut. Es war der Beginn der Corona-Pandemie: Die Firma empfahl ihm, zum Arzt zu gehen. Sein Arzt, überzeugt, dass sein Patient aufgrund atypischer Symptome nicht an Covid-19 erkrankt war, sah keinen Grund für einen Test. Anders Mayr Melnhof: Die Firma behauptete, Hillemacher habe sich mit dem Corona-Virus am Hotspot in Wien angesteckt. Die Lohnfortzahlung wurde einbehalten. Erst auf Druck ist ihm das Geld nachbezahlt worden.

Inzwischen verweigert der Konzern dem gesamten Gremium in Trier die Vergütung. Für die Dauer der Betriebsratssitzungen zieht Mayr Melnhof Arbeitszeit oder Lohn ab. Der Grund: Das Gremium lädt seit einiger Zeit Markus Bach nicht mehr zu den Sitzungen ein. Der ist gewähltes Ersatz-Betriebsratsmitglied, aber auch Personalleiter, also leitender Angestellter. Und diese dürfen laut Betriebsverfassungsgesetz nicht Mitglied im Betriebsrat sein. Manche vermuten, Bach sei vom Unternehmen zur Kandidatur aufgefordert worden, um die Arbeit des Betriebsrats auszukundschaften.

Bach vertritt die Firma außerdem gegenüber dem Betriebsrat. Denn Geschäftsführer Norbert Adam spricht nicht mit dem Betriebsrat. »Er grüßt nicht. Und wenn ich den Raum betrete, verlässt er ihn«, sagt ein Betriebsratsmitglied.

Das Betriebsklima in Trier wird als schlecht beschrieben. »Der Geschäftsführer übt Druck auf Kollegen und Kolleginnen aus. Besonders solche, die krank waren oder einfach nicht mehr so können wie früher«, sagt ein Beschäftigter. Adam führe ein Schreckensregiment, klagt eine Kollegin. Julia Mole von ver.di bestätigt, dass vermehrt Kolleg*innen aus dem Trierer Standort nach Rechtsberatung fragen – von der Eingruppierung bis zum Kündigungsschutz.

DRUCK+PAPIER hat Geschäftsführer Norbert Adam um Stellungnahme gebeten. Doch kurz vor dem vereinbarten Telefonat sagt er den Termin ohne Begründung ab. Der Pressesprecher des Konzerns rückt daraufhin auch von seiner Zusage ab.

Widerstand formiert sich

Reisekosten nicht zahlen, abmahnen, schikanieren – Michael Heizmann, Betriebsratsvorsitzender des Europäischen Betriebsrats, beschreibt das Vorgehen aus eigener Erfahrung als »System Mayr Melnhof«: »Wir müssen jeden Cent für dienstliche Reisen privatrechtlich einklagen, weil der Konzern die Zahlung verweigert. Mit dem Ziel, uns von unserer eigentlichen Betriebsratsarbeit abzuhalten und uns zum Aufgeben zu bringen.«

Davon ist nichts zu spüren. Der Delmenhorster Betriebsrat veröffentlicht eine Solidaritätserklärung, die Betriebsratsmitglieder in Trier klagen ihre Vergütung ein, Norbert Hillemacher zog gegen die Abmahnungen vors Arbeitsgericht. Die Belegschaft steht hinter ihrem Betriebsrat. Als Mayr Melnhof regelmäßige Sonntagsarbeit forderte, damit sich die neue Druckmaschine bezahlt macht, stimmten die ver.di-Mitglieder erst zu, nachdem die Gewerkschaft dem Unternehmen etliche Zugeständnisse abverhandelt hatte.

»Ich bin erstaunt, wie ein internationaler Konzern duldet, dass sich ein einzelner  Geschäftsführer über Recht und Gesetz hinwegsetzt, um den Betriebsrat an seiner rechtmäßigen Arbeit zu hindern«, sagt Julia Mole. Der Betriebsrat hat Strafanzeige wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit gestellt.

Lesetipp

Im Text »Auf die Plätze, fertig, los!« in DRUCK+PAPIER 1/2020 geht es ebenfalls um Mayr Melnhof.