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Wie es Unternehmen durch die Digitalisierung erleichtert wird, die Belegschaft zu bespitzeln
Mit der neuen Maschine kam die Überwachung. Als eine kleine Düsseldorfer Akzidenzdruckerei vor einem halben Jahr eine moderne Druckmaschine anschaffte, ließ sie gleichzeitig rundherum Videokameras installieren. »Sie richten sich auf den Bereich, in dem wir uns bei der Arbeit hauptsächlich aufhalten«, berichtet ein Drucker. Weil er lieber anonym bleiben möchte, wird auch der Name des Betriebs hier nicht genannt – das Unternehmen hat gerade einmal
15 Beschäftigte.
Der Chef guckt zu
Durch fünf Kameraaugen kann der Arbeitgeber nun beobachten, was diese übersichtliche Belegschaft bei der Arbeit tut. Eine Smartphone-App ermöglicht das Ein- und Ausschalten aus der Ferne, die Bilder bekommen die Chefs live aufs Telefondisplay. Mit Sicherheitsgründen werde die Überwachung gerechtfertigt, erzählt der Drucker, mit der Gefahr von Arbeitsunfällen oder Einbrüchen. »Wir glauben aber eher, dass sie sehen wollen, wie aktiv wir bei der Arbeit sind, ob wir zwischendurch telefonieren oder zusammenstehen und reden«, sagt er. »Wir fühlen uns dadurch natürlich unter Druck gesetzt.«
Rechtlich ist eine solche Videoüberwachung am Arbeitsplatz in aller Regel nicht erlaubt, weil sie die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten verletzt. Doch ohne Betriebsrat, den es in der kleinen Düsseldorfer Druckerei nicht gibt, lässt sich dieses Recht nur schwer durchsetzen – wer will schon durch eine Klage gegen den Arbeitgeber seinen Job aufs Spiel setzen? Ein Betriebsrat dagegen könnte nicht nur darauf bestehen, dass das Datenschutzgesetz eingehalten wird, er hätte auch ein Vetorecht: Jedwede technische Einrichtung, die zur Verhaltens- und Leistungskontrolle dienen kann, darf ohne Zustimmung des Betriebsrats nicht betrieben werden.
Kameras sind altbacken
Diese gesetzliche Vorschrift, obwohl schon fast ein halbes Jahrhundert alt, hat durch den technologischen Fortschritt nichts an Aktualität verloren, im Gegenteil. Im Zeitalter der Digitalisierung und der großen Datenmengen entstehen fortlaufend neue Möglichkeiten der Kontrolle. Dagegen muten schlichte Kameras, auch wenn sie wie in Düsseldorf digital gesteuert werden, geradezu altbacken an. Selten sind diese neuen Technologien so offensichtlich wie eine Videoüberwachung. Und oft bleiben sie unbemerkt, weil Daten gar nicht in erster Linie zur Verhaltens- und Leistungskontrolle gesammelt werden.
»Man muss sich lösen vom Gedanken der Nur-Überwachung«, sagt Datenschutzexperte Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht an der Frankfurt University of Applied Sciences. Als Beispiel verweist er auf computergesteuerte Druckstraßen, bei denen nicht nur die Laufzeiten der Maschinen, sondern auch die Handlungen der Bediener digital erfasst würden. »Der Mensch als Anhängsel der Maschine wird immer transparenter.« Selbst wie fit ein Beschäftigter bei der Arbeit sei, lasse sich aus den Bedienerprofilen ableiten. Was keineswegs bedeuten muss, dass das auch geschieht. Aber es ist möglich. Und Datenschützer Wedde hat oft genug die Erfahrung gemacht: Wenn Daten gesammelt werden, werden sie früher oder später auch ausgewertet – ganz gleich, ob das von vornherein so geplant war oder nicht. »Deshalb sind Betriebsvereinbarungen, in denen Arbeitgeber und Betriebsrat die Grenzen der Datennutzung genau festlegen, absolut unverzichtbar.«
Überwachung per Smartphone und Software
Die große Herausforderung für Betriebsräte und Beschäftigte lautet: trotz des digitalen Alltags sensibel zu bleiben für den Datenschutz. DRUCK+PAPIER hat einige Beispiele für das, was in Sachen Überwachung am Arbeitsplatz möglich ist, zusammengestellt.
Jeder Tastaturanschlag wird protokolliert
Alles, was man am Computer macht, hinterlässt Spuren. Um zu verhindern, dass etwa besuchte Internetseiten oder Suchanfragen protokolliert werden, müssen erst Grundeinstellungen verändert werden – was nicht alle Nutzer*innen beherrschen. »Kein Computer wird mit Datenschutz als Default-Einstellung ausgeliefert«, kritisiert der Berliner Experte Georg Siebert, der Betriebsräte in IT- und Datenschutzfragen berät. Mit zusätzlichen Keylogger-Programmen könne sogar jeder Finger-Anschlag auf der Tastatur mitgeschrieben werden, Passwörter eingeschlossen. »Und davon merken Sie gar nichts.« Beschäftigte per Keylogger zu überwachen ist in Deutschland allerdings illegal – es sei denn, es besteht der begründete Verdacht einer Straftat oder anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung. Das hat das Bundesarbeitsgericht höchstrichterlich festgestellt.
Das Smartphone verpetzt Gestresste
Wie hektisch hackt ein Mitarbeiter auf seine Tastatur ein, wie nervös klingt seine Stimme am Telefon, wie lange schaut er auf den Bildschirm? Die Smartphone-App »Kelaa« des Münchner Softwareherstellers Soma Analytics kann Stresslevel und Vitaldaten der Belegschaft messen und an den Arbeitgeber melden. Sogar mit ins Bett sollen die Beschäftigten ihr Handy nehmen, damit ihre Schlafqualität kontrolliert werden kann. Dabei ist der Umgang mit Gesundheitsdaten durch den Arbeitgeber – auch wenn sie wie bei »Kelaa« nur anonymisiert und gehäuft ausgewertet werden sollen – grundsätzlich tabu. Im vergangenen Jahr bekam die App deshalb von Datenschützern die Negativ-Auszeichnung »Big Brother Award« verliehen.
Datenmissbrauch in der Personalverwaltung
Zur Abwicklung der Einkommensteuer übermittelt das Finanzamt die persönlichen Daten jedes Beschäftigten, die für die Berechnung wichtig sind, an das Unternehmen. Dabei sind jedoch auch Informationen enthalten, die die meisten Arbeitgeber nichts angehen – etwa die Zahl der Kinder. Statt die betreffenden Felder in der SAP-Anwendung für andere Nutzungen zu blockieren, würden diese Informationen in manchen Personalabteilungen gezielt genutzt, warnt Computerexperte Georg Siebert. »Es wird fortlaufend ausgerechnet, wie teuer die Trennung von einem Arbeitnehmer bei einem potenziellen Sozialplan wäre.« Eigentlich dürften diese Daten aber nur erhoben werden, wenn wirklich Entlassungen anstehen. Ein anderes SAP-Problem: Es ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, wer Zugriff auf welche personenbezogenen Daten hat. Siebert hat deshalb das Prüfprogramm »Wer kann meine Daten sehen?« entwickelt. Oftmals, sagt er, würden Zugriffsberechtigungen zu freigiebig verteilt oder die Berechtigungsprüfung umgangen.
Die Durchleuchtung der Belegschaft
Ob gemeinsames Arbeiten an Dokumenten in der Cloud oder Kommunikation über innerbetriebliche Social-Media-Systeme: Immer stärker ist die Zusammenarbeit in Unternehmen online organisiert. Eine Auswertung des digitalen Beziehungsnetzwerks, das dabei entsteht, kann dem Arbeitgeber viel über sein Unternehmen verraten: Welche Mitarbeiter haben eine zentrale Stellung im sozialen Gefüge des Unternehmens? Wer ist randständig? Bilden sich Cliquen? Und wo weicht das Verhalten eines Beschäftigten vom Durchschnitt ab? Auch wenn einschlägige Auswertungstools wie »Workplace Analytics« von Microsoft nur anonymisierte Metadaten liefern, seien Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich, sagt Datenschützer Peter Wedde. »Das ist das Fatale.« In den USA und im europäischen Ausland würden derlei Analysen schon massenhaft genutzt. »In Deutschland sind wir da noch ein, zwei Jahre hinterher.«