Menschen & Meinungen

ver.di fusioniert mit sich selbst

Die 13 Fachbereiche von ver.di sollen zu vier großen verschmelzen. Das ist die Idee des Bundesvorstandes. 
Zu der neuen Struktur gibt es Zuspruch, aber auch Einwände. Die Diskussion ist im Gang.

Pro

Stärker werden

»Das Anliegen ist richtig. Es geht doch darum, Kräfte zu bündeln, stärker zu werden. Das gelingt besser, wenn enge Fachbereichsgrenzen überwunden und gemeinsame Ziele angesteuert werden. Ich denke an wichtige gesellschaftspolitische Themen wie Rente und Altersarmut, Daseinsfürsorge, aber auch die Flüchtlingsfrage, zu denen von ver.di klare Positionen erwartet werden. Und wo die Gewerkschaft auch konsequent die Interessen der Mitgliedermehrheit vertreten muss. Da kann auf Gemeinsamkeiten und Erfahrungen der letzten Jahre gebaut und selbstbewusst nach vorn geschaut werden.

Viele Veränderungen betreffen ja nicht nur einzelne Branchen. Selbst wir in einem juristischen Fachverlag, wo lange traditionelle Printerzeugnisse – Bücher, Fachzeitschriften, sogar Lose-
Blatt-Sammlungen – den Alltag bestimmten, bestücken heute zunehmend Datenbanken.

Jan Schulze-Husmann, 
Betriebsratsvorsitzender 
Dr. Otto Schmidt Verlag, 
Köln

Digitalisierung, demografischer Wandel, flexible Arbeitszeiten, so etwas beschäftigt uns. Da befinden wir uns bei ver.di doch in bester Gesellschaft. Fachliche Neuorientierung, Umgang mit veränderten Belastungen, das sind Anforderungen, die uns, Beschäftigte im IT-Bereich, aber auch im Handel oder in der Logistik betreffen. Es lohnt sich, sinnvolle neue Strukturen zu schaffen, die Problemlösungen für viele ermöglichen. Wie sie am Ende genau aussehen, wird sich herauskristallisieren. Ich schätze die Diskussionskultur bei ver.di hoch. Es geht ja um ein gemeinsames Anliegen. Zukunftsfähige Fachbereichszuschnitte sind nicht nur wegen der Finanzen nötig, sondern machen uns als gesamte Organisation stärker. Ich bin absolut dafür, dass dennoch die Fachlichkeit und traditionell erworbene Fachgruppenkompetenzen gepflegt und erhalten werden. Und die einzelnen ver.di-Gliederungen bis zu den Ortsvereinen müssen in einem solchen Fusionsprozess mitgenommen werden, niemand soll vor den Kopf gestoßen werden. Schließlich sind wir eine solidarische Gemeinschaft.«

Contra

Schnellschuss

»Ich lehne das Vorhaben nicht total ab. Aber so ein grund-
legendes Papier ins Sommerloch zu platzieren und den Entstehungsprozess nicht transparent zu machen, missfällt mir. Ich sehe es als Schnellschuss. Ausreichende Vertiefungen wie ein diskutables Organigramm fehlen. Noch schlimmer fände ich, eine so grundlegende Strukturveränderung nun einfach durchzuwinken. Auch der Gewerkschaftsrat sollte Chancen und Risiken genau hinterfragen. Das braucht mehr Zeit und Debatte. Und: Eine Organisationsreform allein schafft nicht mehr Attraktivität für die Mitglieder. Die sollen aber vorrangig etwas davon haben – mit funktionierenden Betreuungsstrukturen und fachlicher Heimat. Dazu steht kaum etwas im Positionspapier. Für mich ist die bisherige Arbeit der Fachgruppen ver.dis Herzstück. Die Fachgruppen haben Statuten, autonome Gremien und Finanzausstattung.

Alfred Roth, 
Betriebsratsvorsitzender Verlagsgruppe Rhein-Main (Mainzer Allgemeine 
Zeitung), Mainz

Dort wurde die Tarifarbeit vorangebracht. Solche Strukturen und Erfahrungen müssen auch in einer neuen Fachbereichsstruktur erhalten bleiben. Aus den Fachgruppen sind Anstöße gekommen, die für die Gewerkschaft und die Gesellschaft insgesamt wichtig sind – sozialpolitische Forderungen wie der gesetzliche Mindestlohn, Kritik an den Hartz-Gesetzen, Haltungen zum Datenschutz oder dem Tarifeinheitsgesetz. Solche Positionen sind aus spezieller Betroffenheit und Fachkenntnis entwickelt worden. Das muss so bleiben. Auch die sogenannte vierte Ebene, also die Ortsgruppen – besonders bedeutsam in der Fläche – oder die Senderverbände beim Rundfunk, ist zu erhalten. Wir haben eine sehr heterogene Mitgliedschaft. Etliche stehen in Konkurrenz zu reinen Berufsverbänden oder sogenannten gelben Gewerkschaften. Jemand, der sich mit den Besetzungsregeln an Druckmaschinen auskennt, kann nicht unbedingt mit Mitgliedern aus dem Bankenbereich über den Wert bestimmter Finanzprodukte diskutieren. Callcenter werden umfassende Mitgliederbetreuung schon gar nicht leisten. Also: Wenn eine grundlegende Strukturdebatte, dann ohne jedes Tabu!«